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Und dumme Scherze treiben sie auch noch mit ihm, hauptsächlich die geizigen Bauern.

      Hat doch neulich der Eichenhofbauer angerufen, mitten in der Nacht. Gerade hatte dein Vater das Bein ins Bett gesetzt. Ruft vom Gasthof ›Lindenbaum‹ an und behauptet, seine Kuh sei schwer erkrankt. Ob er nicht helfen könne. Er wisse doch alles. Nun, gutmütig, wie dein Vater ist, zieht er sich an und fährt hin. Nimmt den Eichenhofer vom ›Lindenbaum‹ mit, und als er vor dem Hof ankommt, bedankt sich der Bauer höflich für die Fahrt. So, nun hätte er wenigstens die Taxe gespart. Dein Vater hat noch gelacht, als er wieder hier ankam. Ich habe getobt. Das geht doch ein bißchen zu weit, nicht wahr?«

      Martha hat sich ordentlich in Zorn geredet, und Sybilla muß abermals tüchtig lachen, was die Alte überhaupt nicht verstehen kann. Ganz entgeistert starrt sie Sybilla an.

      »Darüber kannst du auch lachen?« Sie schüttelt mißbilligend den Kopf. »Das ist doch die Höhe, deinen Vater mit einem Viehdoktor zu verwechseln.«

      Langsam fängt Sybilla sich wieder. »Sicher ist das ein übler Scherz, Mar-tha, aber doch ein Scherz, und er zeigt deutlich, wie beliebt Vater hier ist und wie genau man ihn kennt. Mit einem anderen würde man sich das bestimmt nicht erlauben. Vater fühlt sich eben mit den Leuten hier auf besondere Art verbunden. Das mußt du verstehen.«

      »Niemals!« widerspricht Martha heftig. »Um die Taxe zu sparen –« murmelt sie.

      »Wie ich Vater kenne, haut der das dem Eichenhofbauer auf die nächste Rechnung und sie sind wieder quitt. Sie spielen sich gegenseitig Streiche wie die Kinder.«

      »Weißt du, was dein Vater gemacht hat? Er hat sich beim Eichenhofbauer in die Küche gesetzt und solange gequengelt, bis er ihm ein ordentliches Frühstück aufgetischt hat. Zwei Würste hat er sich noch eingesteckt und der Bauer hätte sich nur am Hinterkopf gekratzt. Wer weiß, was der nun wieder ausheckt. Gehört sich das etwa von einem ordentlichen Arzt, vor dem die Leute Respekt haben sollen?«

      So hat Sybilla lange nicht gelacht, wie bei Marthas Erzählung. Sie wehrt mit beiden Händen ab. »Hör auf, Mar-tha, ich kann nicht mehr lachen. Vater hat mit den Bauern schon als Junge seine Streiche gemacht. Sie sind zusammen alt geworden und werden bis ins hohe Alter sich gegenseitig foppen und Dummheiten aushecken.«

      »Dein Vater nähert sich den Siebzig. Wird Zeit, daß er mit der Arbeit aufhört«, sagt Martha und setzt energisch hinzu: »Du solltest die Praxis übernehmen.«

      Gedankenverloren blickt Sybilla hinaus in den Garten. Vaters Praxis zu übernehmen, hieße, sich von Doktor Romberg zu trennen! Einen ordentlichen Schock haben Marthas Worte ihr versetzt.

      »Überhaupt, Liebling«, hört sie Marthas Stimme, die jetzt mit Zärtlichkeit getränkt ist, »du solltest mehr Gewicht auf dein Äußeres legen. So, wie du dich zurechtmachst, wird nie ein Mann aufmerksam auf dich werden. Willst du etwa als alte Jungfer in die Grube fahren?«

      Sybilla ist bis in die Lippen erblaßt. Um ihren schöngeschwungenen Mund zuckt es. Unwissend hat Martha eine Wunde berührt, die heftig zu schmerzen beginnt.

      »Auf was für merkwürdige Gedanken du heute kommst, Martha«, sagt sie mit unsicherer Stimme und weicht den Augen Marthas hartnäckig aus. »Ich habe meine Arbeit. Sie füllt mich restlos aus. Da bleibt mir keine Zeit für andere Dinge übrig.«

      Martha schlägt aufgebracht die Hände zusammen. Genau wie dein Vater. Die Welt geht nicht unter – und dein Krankenhaus besteht auch ohne dich weiter. Du bist zur Mutter, zur liebenden Frau geschaffen. Doch – doch«, beharrt sie eigensinnig, als sie die unwillige Bewegung Sybillas bemerkt, »leugne nicht. Ich kenne dich besser als du dich selbst.«

      Sybillas Augen sind dunkel vor Erregung. »Warum hast du nicht geheiratet?« stellt sie die Gegenfrage, die Martha sprachlos macht, dann neigt diese sich vor und erklärt bedächtig: »Weil du mein Kind warst, nachdem deine Mutter starb. Alle Liebe, deren ich fähig war, habe ich über dich ausgeschüttet. Mein Leben ist erfüllt.«

      Gerührt und sacht streichelt Sybilla über Marthas verarbeitete Hände. »Liebe, gute Martha, ich weiß ja alles«, sagt sie leise. »Ich bin dir auch sehr dankbar .«

      »Pah«, macht Martha, um die eigene Rührung zu unterdrücken. »Du liebst mich, das ist der schönste Dank.«

      Sybilla fährt empor. »Da kommt Vater. Wie schön, daß ich ihm noch guten Tag sagen kann.«

      Sie springt auf und läuft über die Verandastufen, über die Gartenwege dem Eingang zu. Vor dem Tor klettert soeben Doktor Sanders aus dem Wagen. Er strahlt, als er Sybilla erblickt.

      »Sybilla, Kind«, ruft er und reckt sich, als er wieder Boden unter den Füßen spürt. Er ist ein Hüne, trotz seines hohen Alters ungebeugt, mit klaren, wissenden Augen, einem frischen Gesicht und etwas schütteren, weißen Haaren.

      Nachdem sich Doktor Sanders erfrischt hat, sitzen sie sich am Kaffeetisch gegenüber. Sybilla strahlt, und Sanders freut sich über seine Tochter.

      »Gut, daß du gekommen bist, Sybilla«, nimmt er das Gespräch auf, nachdem Martha ihren Herrn mit Kaffee und Gebäck versorgt hat. »Ich hätte dich sonst telefonisch gebeten, herauszukommen .«

      »Etwas Besonderes, Papa?« fragt sie beunruhigt.

      Er winkt mit feinem Lächeln ab. »Durchaus nicht, Kind.« Er lehnt sich bequem zurück und holt seine Zigarettendose hervor, aus der er auch seiner Tochter anbietet. »Wann hörst du im Robert-Koch-Krankenhaus auf?«

      Abermals erschrickt Sybilla und verfärbt sich. »Ich – aufhören?« flüstert sie. »Aber warum denn, Papa?« Soll ich dich arbeitslos machen?«

      Ohne ihren Einwand zu beachten, fährt er fort: »Ich möchte mich zur Ruhe setzen, Kind, möchte meine Rosen züchten und meinen Lebensabend nach einem Geschmack genießen.«

      »Und deine Patienten?« Sybilla ist direkt fassungslos.

      Er winkt lässig ab. »Die werden sich von dir genauso gern verarzten lassen wie von mir.«

      »Ich weiß nicht.« Ratlos preßt sie die Hände im Schoß zusammen. »Ich bin Chirurgin, Papa. Mir würde dieses Arbeitsfeld nicht genügen. Es gäbe mal einen Arm- oder Beinbruch, vielleicht mal einen Unfall. Nein, Papa, so schnell kann ich mich nicht dazu entschließen.«

      »Aber würdest du es dir einmal durch den Kopf gehenlassen?« Sein Ton ist so ernst und bittend, daß es sie schmerzt, nicht spontan ja sagen zu können. »Sieh mal«, spricht er in seiner ruhigen Art weiter, »immer hatte ich mir einen Sohn gewünscht. Nun, ich bekam eine Tochter, dich, mein Kind! Du bist Ärztin geworden, und ich weiß, keine schlechte. Ich möchte dir meine Praxis übergeben. Das wäre mein größter Wunsch.«

      »Natürlich, Papa – ich verstehe das.« Sie legt die Hand auf seinen Arm. Er spürt, wie diese Hand zittert, und ist betroffen darüber. »Aber ob ich mich zur Landärztin eignen werde?«

      »Überleg es dir, Sybilla. Ich betone nochmals, du würdest mir einen Herzenswunsch erfüllen.«

      Sie lächelt schwach zu ihm auf und nickt. Ihr ist die Kehle trocken. Sie schluckt ein paarmal. Sein Herzenswunsch! Wenn er ahnte, wie sehr sie mit ihrem Herzen im Robert- Koch-Krankenhaus wurzelt. Wie ihre Arbeit ihr unendliche Freude macht, weil sie neben Doktor Romberg schaffen darf.

      Sie würde ihn dann bestimmt nicht mehr sehen. Nein! Undenkbar! Er gehört zu ihrem Leben wie die Sonne draußen, die sich immer tiefer am Himmel neigt und mit ihren letzten Strahlen die Rosenhecken vergoldet. Wie die Luft, die sie atmet. Nie ist ihr der Gedanke gekommen, Papas Praxis zu übernehmen.

      Sie erhebt sich, und Doktor Sanders rückt den Tisch etwas zur Seite. »Du willst schon wieder fort?« Es klingt sehr enttäuscht.

      »Ich muß, Papa, Nachtdienst.«

      Er legt den Arm um ihre Schultern. Sie geht ihm gerade bis ans Kinn, obwohl sie hochgewachsen ist, aber doch von einer zierlichen, zerbrechlichen Schlankheit. Während sie in den leichten Mantel schlüpft, muß er sie immer wieder bewundern. Sie gleicht in allem ihrer Mutter – und doch stellt er fest,

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