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»Jetzt habe ich dich reichlich lange aufgehalten, Wolfram. Ich bin heute dienstfrei, und meine Frau erwartet mich.« Er erhebt sich und reicht dem Arzt die Hand. »Komm recht bald zu uns, Wolfram«, bittet er sehr herzlich. »Wir haben uns noch sehr viel zu erzählen. Und du mußt dich aufs Ohr legen, alter Junge. Du siehst erbarmungswürdig aus. Also, Servus, Wolf!«

      Romberg gibt dem Freund das Geleit bis vor das Haus. Er zwingt sich zu einem Scherz.

      »Du hast zwei Cognacs getrunken, Julian. Gib Obacht, daß du nicht auch gegen einen Baum fährst.«

      »Erstens bin ich nicht im Dienst und zweitens fahre ich vorsichtig. Im übrigen hast du recht, Wolf. Was für die Allgemeinheit gilt, müssen wir Polizisten doppelt beachten. Nochmals, Wiedersehen!« Er zögert, ehe er den Schlag hinter sich schließt. »Wenn es dich interessiert, werde ich dich vom Ablauf des Falles Stücker unterrichten.«

      »Bitte, es würde mich interessieren«, sagt er rauh. Gedankenverloren sieht er hinter dem wendigen Wagen her und kehrt langsam in seine Wohnung zurück.

      Auf der Couch läßt er sich niedersinken und schließt die Augen. Schlafen – denkt er –, nichts als schlafen und vergessen, daß es eine schöne rotblonde, aber intrigante Frau gibt, die er meinte zu kennen und die ihm doch ein Rätsel ist.

      Plötzlich reißt es ihn hoch. Mein Gott! Was ist aus Tante Freytag geworden? Er hat sich weder um sie gekümmert noch nach ihrem Verbleib gefragt.

      Langsam läßt er sich wieder zurückgleiten. In dem heillosen und aufregenden Durcheinander wird man sie wohl nach Hause geschickt haben.

      Nach wenigen Sekunden ist er in einen tiefen Schlaf gesunken, der alles auslöscht, was ihn quält und bedrängt.

      *

      Auf der Chirurgischen Abteilung, gleich neben den Zimmern der 1. Klasse, liegt der Raum, der ausschließlich Oberschwester Magda zur Verfügung steht. Er ist schmal und hat ein großes Fenster. Links neben dem Fenster steht ihr Schreibtisch, an dem sie die Berichte für die Ärzte schreibt, daneben hat ein Stuhl seinen Platz gefunden, auf dem manchmal Besucher sitzen, die mit einem besonderen Anliegen zu ihr kommen. Anschließend nimmt ein Glasschrank den Rest der Wand ein. Dieser Schrank enthält alle Medikamente, die für die Kranken nötig sind, angefangen von leichten Beruhigungstabletten bis zu Morphiumampullen.

      Die andere Seite des Zimmers nimmt ein weißbezogener Diwan ein und anschließend das breite Spülbecken mit dem hellen Kristallspiegel.

      »Hier sind Sie.« Doktor Freytag steckt seinen Kopf zur Tür herein, bemerkt die Schwester am Schreibtisch und kommt näher.

      »Sie sehen mich?« Lächelnd blickt die Schwester zu dem jungen Arzt auf. »Haben Sie jetzt Dienst?«

      »Darf ich?« Ohne eine Aufforderung abzuwarten, setzt Freytag sich neben den Schreibtisch. »Doktor Müller hat den Nachtdienst für mich zu Ende gemacht – nun bin ich dran.«

      Die Oberschwester wirft einen schnellen, tastenden Blick über den Sprechenden. »War eine recht turbulente Nacht«, meint sie und neigt den Kopf wieder über ihre Schreibarbeit.

      »Sind Sie auch der Meinung, daß mein Schwager gestorben wäre, wenn Professor Becker operiert hätte?« fragt er und sieht an ihr vorbei zum Fenster hinaus.

      Die wasserblauen Augen der Oberschwester weiten sich. »Was – was wollen Sie damit sagen?« stößt sie erstaunt hervor und schiebt ihren Bericht beiseite.

      Doktor Freytag hebt die Schultern. »Vieles ist mir unbegreiflich.«

      »Sie – Sie waren doch betrunken und gar nicht dabei. Doktor Sanders kann Ihnen genau berichten.«

      »Bah«, unterbricht er sie rasch. »Fräulein Doktor Sanders ist doch blind verliebt in den Oberarzt. Oder?« er forscht eindringlich in ihren verwirrten Zügen, »ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«

      »Das hat doch nichts mit der Tüchtigkeit Rombergs zu tun«, entgegnet sie und begegnet seinen glänzenden tiefblauen Augen. Schöne Augen sind es, dunkel umsäumt, wie man sie nicht sehr oft bei Männern erlebt. Diese Augen lassen ihr Herz schneller klopfen. Sie hat eine Schwäche für diesen jungen Arzt, sogar eine sehr große. Aber sie verbirgt sie hinter Ruhe und Gelassenheit. Sie ist erst fünfunddreißig Jahre, aber sie sieht älter aus und ist fast zehn Jahre älter als der Arzt. Sie hat nur Arbeit, schwere, aufopfernde Arbeit gekannt. Immer war sie allein. Sie kennt nicht das schöne Bewußtsein, geliebt und verwöhnt zu werden. Sie hat es nur an unzähligen Krankenbetten erlebt und manchmal Sehnsucht nach der Liebe und den Zärtlichkeiten eines Menschen gehabt, der aus-schließlich ihr gehört. Aber das Glück ist immer an ihr vorbeigegangen. Sie hat auch oft erlebt, daß Schwestern gerade hier in dem großen Haus der Schmerzen ein großes Glück fanden. Sie hat sie mit leuchtenden Augen hinausziehen sehen in die weite, schöne Welt, nach der auch sie sich sehnt.

      Sie hat man übersehen. Das Glück – und die Männer. Sie ist zu herb, zu wenig hübsch. Dazu kommt noch, daß sie kaum Zeit hat, an sich und ihr Äußeres zu denken. Ihre Kranken, ihre Pflichten sind ihr stets wichtiger gewesen.

      Doch seitdem dieser junge Arzt auf der Chirurgischen Station ist und ihre Gedanken weitaus mehr in Anspruch nimmt, als sie will, ist sie etwas aus dem Gleichgewicht gekommen. Sie hat sich große Mühe gegeben, dieses Gefühl zu unterdrücken, doch sie kann es nicht ändern, daß seine Nähe sie verwirrt, sie erregt und hilflos macht.

      Sie zuckt zusammen, als sie eine schmale Männerhand über ihren Fingern spürt. Eine Stimme, schmeichelnd und eindringlich fragt: »War ich wirklich so betrunken, Magda?«

      »Ich – ich glaube doch«, stammelt sie, und sie kommt sich wie gefangen vor in seinem Blick.

      »Würden Sie das auch dem Professor sagen?«

      Oberschwester Magda zittert. Bis in die Fingerspitzen geht dieses Zittern, und Freytag spürt es. Kaum merklich lächelt er. Er weiß genau, daß sie etwas für ihn übrig hat. Es gilt nur, dieses Gefühl zu verstärken, und darin ist er nicht unbegabt.

      »Ich – ich weiß nicht«, flüstert sie, und sie vermag nicht, ihre Augen aus den seinen zu lösen. Sie halten sie fest, wie eine Schlange ihr Opfer.

      Langsam löst sich seine Hand von ihren Fingern. »Wann haben Sie endlich einmal einen freien Tag, Magda?«

      Magda sagt er? Was will er von mir? Ihr Herz klopft bis zum Halse hinauf.

      »Warum fragen Sie?«

      Er lächelt sie jetzt offen an. »Ach, ich hätte mich gern einmal außerdienstlich mit Ihnen getroffen. Wie wäre es mit einer kleinen Fahrt ins Grüne? Sie müssen doch einmal aus der Tretmühle des Alltags herauskommen!«

      »Sie wollen mit mir – ausgehen?« Ihr verschlägt es fast den Atem.

      »Sehr gern, Magda.« Unbefangen lacht er und erhebt sich. »Sie brauchen nur den Tag zu bestimmen.«

      »Soll das eine Einladung sein?« Noch immer vermag sie nicht daran zu glauben.

      »Überlegen Sie es sich, Oberschwester Magda«, hört sie ihn eindringlich sagen. »Ich stehe Ihnen zur Verfügung.«

      Ihr ist die Kehle wie zugeschnürt. Aber er scheint seiner Sache sehr gewiß zu sein, denn er wartet keine Antwort ab.

      Als er gegangen ist, erhebt sie sich schwerfällig und geht zu dem Spiegel.

      Aufmerksam betrachtet sie sich und schüttelt den Kopf. Nein! An ihr ist nichts Anziehendes. Die Augen sind zu farblos. Der Mund zu breit. Nur die Zähne sind tadellos. Ihr Haar ist von einem matten Blond. Figur zu schlank. Das kommt wohl daher, weil sie sich nie richtig Zeit zum Essen nimmt.

      Noch kaum hat sie Puder und Lippenstift benutzt. Man müßte sich etwas Glanz in das Haar bringen lassen. Und sie könnte sich auch ein nettes Kleid kaufen. Wozu hat sie die ganze Zeit das Geld gespart? Sie hat so wenig Gelegenheit, etwas auszugeben.

      Nachdenklich kehrt sie zu ihrem Schreibtisch zurück. Sie sieht nicht den unvollendeten Bericht, sie sieht nur ein junges Gesicht mit zwingenden blauen Augen. Sie zittert jetzt noch,

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