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noch vernünftiger Unterricht möglich. Der Dönermann verwendet ausschließlich Bio-Masse, und wenn sie könnten, würden wahrscheinlich selbst Ratten und Tauben hier die Grünen wählen.

      Der Gründe viele, die Gentrifizierung zu begrüßen. Was dagegen spricht, ist natürlich die andere Seite der Medaille, die ich mir hier aber mal schenke, schließlich wohne ich selber in einem gentrifizierten Bezirk und »muss« da auch noch ’ne Weile wohnen bleiben. Dass dieses »muss« hier in Anführungsstriche gesetzt ist, hat übrigens überhaupt nichts zu bedeuten. In echt jetzt!

      Ihr kriegt uns hier nicht raus!

      Dan Richter

      Die Mülltonnen unseres Wohnblocks wurden immer über ein leerstehendes Nachbargrundstück abgeholt. Ein ödes Grundstück, wären da nicht die zwölf Pappeln, die einem die Illusion von Naturnähe spendeten. Seit zwei Monaten darf die Müllabfuhr dieses Gelände nicht mehr befahren, und die Mülltonnen werden durch unser Haus gebollert, so wie fast überall in Berlin. Schade um unseren Morgenschlaf. Aber was heißt das für das öde Grundstück? Für die Naturnähe-Illusion? Soll hier gebaut werden? Aber was? Da müsste man ja schon die Pappeln fällen. Dürfen die das? Vorsicht! Ich hole aus zum Exkurs:

      In Alt-Treptow atmet man schon mal auf, wenn in der Ödnis von Nagelstudio, Gräue, Netto und Schlecker kleine Sprenkelchen des guten Geschmacks auftauchen. Ein Kollege schrieb vor ein paar Jahren, dass sich hier kein Laden halten könne, nicht mal ein Bestatter. Man kann den Betreibern eines geschmackvoll eingerichteten Cafés oder Plattenladens regelrecht zuschauen, wie sie Monat für Monat die Kondition verlässt, wie sie, Ertrinkenden gleich, ein letztes Mal wild mit den Beinen strampeln und dann untergehen. Die Wohnhäuser sind solide in dem Sinne, dass sie DDR-Konservatismus verströmen. Und doch scheint sich in den letzten ein bis zwei Jahren etwas geändert zu haben.

      Eigentlich hätte ich es wissen sollen. Ich bin die Vorhut des Booms. Das war in den Neunzigern schon einmal so. Ich war vermutlich der erste Student im Friedrichshain. Vorher hatte man hier von so etwas allenfalls gehört. Als ich mich 1997 exmatrikulierte, machten es mir alle nach. Selbst mein unnachahmliches Outfit »Billig-aber-trotzdem-hässlich« kopierten sie tausendfach. Es gab keinen Copy-Shop und keinen Kleintierpsychologen. Bis 1998 gab es in meiner unmittelbaren Nachbarschaft auch zwei Friseurläden, wo man sich für zwanzig Mark schnell mal die Mähne kürzen lassen konnte. Wegen ihrer mangelnden Anpassungsfähigkeit schlossen sie. Vier Jahre keine Friseure. Dann in fast genau denselben Läden zwei neue Coiffeurs, aber hier schnipp-schnappt die Schere im Takt zum Drum’n’Bass, es kostet zehn Euro, und man hat schon ein schlechtes Gewissen, wenn man die Haare nicht selber wegfegt.

      In einem Radius von zehn Minuten Laufweite gab es Mitte der Neunziger kaum eine Kneipe, kaum ein Café, in dem ich mich guten Gewissens mit einer Frau hätte verabreden können. Ein biederes Eiscafé oder Juhnkes Eck – das wäre die Wahl gewesen, wenn man von der ost-alternativen tagung absah. An einem heißen Sommertag 1994 saß ich mit einem Freund in der Eckkneipe Gleis 13, und fragte den Wirt, ob wir einen Tisch nach draußen stellen könnten. Er glotzte mich an, als hätte ich einen Cappuccino bestellt. Die Angestellten des nun an seiner Stelle befindlichen Via Nova wundern sich auf ähnliche Art, wenn man im Sommer nicht draußen sitzt. Zwischen 1994 und 1996 beobachtete ich fünf vergebliche Versuche, in der Simon-Dach-Straße ein Café zu eröffnen. Alle mussten mangels Kundschaft schließen.

      Doch 1997 tat sich etwas. In der Simon-Dach-Straße hatte das erste Café nicht nur einen Versuch gestartet, sondern diesen Versuch sogar überlebt. Von da an verdoppelte sich die Cafédichte im Jahrestakt. Ein kleiner, aber feiner Buchladen eröffnete in der Wühlischstraße. In den Second-Hand-Läden hing nicht mehr nur Ramsch, den man bei Humana nicht feilzubieten wagte. Eine Öko-Coop entstand, die später dem Druck mehrerer Bioläden ausgesetzt war. Häuser wurden saniert – manche sanft, die meisten aggressiv.

      Als schließlich in der Kopernikusstraße ein Hundefriseur öffnete, wusste man: Die Gegend wird gentrifiziert. Das Haus, in dem ich wohnte, wirkte in der Libauer Straße wie ein Mitesser in einem hübschen Gesicht. Die Erbengemeinschaft konnte sich seit der Wende nicht einigen, und so beließen es die Verwalter beim Allernötigsten. Als ich achtunddreißig wurde, hatte ich schließlich die Nase voll vom Außenklo und zog mit Freundin nach Treptow. Eine putzige Glosse über meinen Umzug endete damals mit der Bemerkung, dass ich in Treptow mitnichten der einzige Schriftsteller sein würde, sondern lediglich der erste. Es scheint sich zu bewahrheiten. Die Biokette LPG hat eine Filiale in der Nähe eröffnet, und der Vollkornbäcker hat weniger Schwierigkeiten, sein Publikum zu halten als jener Imbissladen, in dem der Dönerspieß zehn Tage braucht, bis er – grau vom Zigarettenrauch – runtergebrutzelt ist.

      Ich spaziere weiter und bin mir sicher: Die Pappeln werden gefällt. Selbst wenn der Eigentümer dafür nicht die Genehmigung bekommt – die Ordnungsstrafe wird aus der Portokasse bezahlt. Auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain geschah dasselbe. Gestern den Öko-Investor spielen, morgen Bäume fällen; wahrscheinlich ohne gravierende Selbstzweifel. Adé Pappeln! Adé Naturnähe-Illusion. Welcome to the next Caipirinha-Bezirk.

      Der Boom der Investoren, so ein Flugblatt der Protestierer, nimmt aggressive Züge an. So sei der Obstgarten neben der Neuapostolischen Kirche plattgemacht worden, um dort zu bauen. Ich zähle fünfunddreißig Baumstümpfe. Wer kann was gegen eine Verschönerung haben? Gegen Innenklos? Gegen Vollkornbäcker statt Gammeldöner? Und wann kippt es? Verdrängung ist nicht immer bösartig, fies, gewalttätig, durch dreiste Mieterhöhungen am Rande der Illegalität verursacht. Gentrifizierung und die ihr folgende Segregation funktioniert vor allem dadurch, dass weniger wohlhabenden Zuzugswilligen der Weg in den Bezirk versperrt bleibt.

      Bei zwei Brachen nun haben sich ein paar Leute zusammengetan, ihr Gespartes zusammengelegt und bauen nun zwei Häuser – hell und transparent, mit Spielplatz und Wiese. Und doch werden sie bedroht, nicht von den Bullen, sondern von den Anti-Gentrifizierern, die die Häuser mit Farbbeuteln und Steinen angreifen. Ein wenig beneide auch ich die dort wohnenden um ihre schöne Aussicht auf den Kanal. Ich würde wahrscheinlich, wenn ich dort wohnte, einmal täglich das Fenster aufreißen und den Rauchhaus-Song von Ton Steine Scherben in voller Lautstärke abspielen:

      »Und wir schreien’s laut:

      Ihr kriegt uns hier nicht raus!

      Das ist unser Haus!«

      Gentrifizierung für Anfänger

      Ella Carina Werner

      Deutschland, ein Land im Umbruch: Tausende Stadtviertel werden Opfer der Gentrifizierung. Millionen Alteingesessene verlieren ihre Existenz. Doch langsam regt sich Widerstand.

      Es ist bereits die dritte Schließungswelle, die den Hamburger Stadtteil Eimsbüttel überrollt. Um das einstige Arbeiter- und Ausländerviertel steht es schlecht. Fast täglich macht ein Laden dicht. Auch heute. »Räumungsverkauf – alles muss raus!« steht in knalligen Lettern quer über der Eingangstür. Diesmal hat es das Druckfrisch, die traditionsreiche Fixerstube erwischt. »Am Ende waren die Fixkosten einfach zu hoch«, seufzt der betrübte Ladeninhaber und tritt gegen die Registrierkasse. Doch was tun, wenn die Stammkundschaft fortzieht?

      Der hanseatische Stadtteil ist kein Einzelfall. Ob in Berlin-Prenzlauer Berg, Köln-Ehrenfeld oder Leipzig-Südvorstadt: Überall werden innenstadtnahe Wohnviertel umstrukturiert, restauriert, luxussaniert, arisiert oder kurz gesagt: gentrifiziert. Überall werden statusniedrige Bevölkerungsgruppen durch statushöhere verdrängt: Arme durch Reiche, Farbige durch Hautfarbene, einfache Menschen durch komplizierte und so fort.

      Gentrifizierungsprozesse laufen nach typischen Mustern ab. Auch in Eimsbüttel. Bis vor wenigen Jahren war der Stadtteil ein malerisches Arbeiterviertel wie viele andere auch: abgelebte Gründerzeitbauten, Reih an Reih. Putz bröckelte von Hausfassaden. Stuck rieselte von Zimmerdecken. Ein paar Bumslokale mit Kohleöfen. Ein paar Spielhöllen mit schlecht saniertem Stuck. In den Eckkneipen gab’s Bier, Korn, Spezi oder ein paar aufs Maul. Die Menschen waren eher einfach verglast: Männer soffen. Frauen tratschten. Tauben balgten auf Balkonen. Kinder kackten von den Dächern. Und die Mieten waren billig

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