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das berühmte, analytisch knappe »Tötet Schwaben!«.

      Höchste Zeit, einen ausführlichen Essay zu dem Thema zu schreiben.

      Was ist ein Essay? Ein Essay ist, wenn man etwas erlebt hat, oder wenn man von etwas gehört hat, was einer von einem erzählt bekommmen hat, der was erlebt hat, und wenn man das dann aufschreibt. Man schreibt es auf und wickelt beim Aufschreiben eine Theorie drumrum. Die Theorie ist wichtig, besonders wichtig ist aber das Aufschreiben, weil: wenn man es nicht aufschreibt, nennt man den Essay nicht Essay, sondern Stammtisch.

      Ein bekannter Essay ist zum Beispiel das Buch von Thilo Sarrazin, »Deutschland schafft sich ab«. Auch so ein leeres Politikerversprechen.

      Der Verlag hat inzwischen mitgeteilt, »Deutschland schafft sich ab« sei »das meistverkaufte Sachbuch seit 1945«. Hm. Da scheut wohl einer den direkten Vergleich.

      Jedenfalls, mein Essay heißt: »Berliner und Schwaben«.

      Abstract: Berliner und Schwaben – man darf sie nicht miteinander kreuzen, denn sonst bekommt man Großmaultaschen.

      Bis 1990 waren Schwaben die zweitgrößte Minderheit Berlins, gleich nach den Türken. Seit der Wiedervereinigung besteht die größte Minderheit Berlins aus Ostberlinern. Der Prozess ihrer Anpassung an das großstädtische Leben verläuft schleppend und führt regelmäßig zu Unmut unter den alteingesessenen Türken, Schwaben und Westberlinern.

      Exkurs:

      In Prenzlauer Berg kursiert eine mythische Zahl: In den letzten zwanzig Jahren seien achtzig Prozent der Bevölkerung »verdrängt« worden!

      Diese achtzig Prozent sind merkwürdigerweise seit circa zehn Jahren konstant. Ethnologen vermuten, es handele sich um eine Heilige Zahl. Es ist tabu, sie zu verändern, zu verringern oder zu erhöhen, und wer es trotzdem tut, wird in einer Dachgeschosswohnung am Kollwitzplatz wiedergeboren.

      In den letzten zwanzig Jahren achtzig Prozent verdrängt. Schlimm. Welcher Schrecken wird die Menschen überkommen, wenn sie erst einmal erfassen, dass in den letzten hundert Jahren sage und schreibe hundert Prozent der Bevölkerung verdrängt worden sind? Ja, man muss es so hart sagen: Von denen, die 1910 in Prenzlauer Berg lebten, ist praktisch keiner mehr übrig! Wo sind sie hin? Keine Panik – die meisten sind ins Grüne gezogen.

      Ende des Exkurses.

      Jeder klagt über Gentrifizierung. Dass die Häuser alle saniert werden. Dass die Mieten jetzt so hoch sind. Am lautesten jammert, wer selbst am meisten dazu beigetragen hat.

      »Mieter vor Wild-West schützen!« plakatiert im Wahlkampf DIE LINKE – eine Partei, die in Berlin zehn Jahre lang an der Regierung war und alles getan hat, Zigtausende von landeseigenen Wohnungen irgendwelchen Investmentfonds zum Fraß vorzuwerfen und die Verwandlung von Wohnraum in Ware bloß nicht zu behindern.

      Ach, Linkspartei. Fidel Castro zum Geburtstag gratulieren, aber eine Wohnungspolitik wie von Batista.

      Der Lokalpatriotismus will wie der große Patriotismus eines Sarrazin, dass alles bleibt, wie es ist. Wer zuerst da war, ist im Recht!

      Jeder will, dass die Straße exakt so bleibt, wie er sie zuerst gesehen hat. Egal, ob das vor zwei, vor fünf oder vor zwanzig Jahren war. Die kleine Graugans schlüpft, sieht eine Bruchbude und hält sie bis zum Ende ihres Lebens für die Mama.

      My Kiez is my castle.

      In Flugblättern wird gegen »Vertreibung« gewettert, als ob Erika Steinbach persönlich die Schriftleitung übernommen hätte, und von der NPD abgekupferte Slogans wünschen Schwaben und anderen Eindringlingen »Gute Heimfahrt«.

      Aber woher kommt nun dieser Hass ausgerechnet auf die Schwaben?

      Es ist wegen dem Essen. Raffinesse und Distinktionsvermögen der Berliner Kochkunst gipfeln in einer einzigen Frage: »Mit Darm oder ohne?«

      Erbspüree ißt der Berliner für sein Leben gern. Überhaupt ist Matsch die präferierte Zubereitungsweise: Erbsenmatsch, Kartoffelmatsch, Grünkohlmatsch, Rotkohlmatsch. Matsch mit Salz.

      Das Grundrezept ist so einfach wie schmackhaft: Beliebige Zutat grob schreddern und mit der gleichen Menge Salz zwei bis drei Wochen zugedeckt köcheln lassen. Am Wochenende das Umrühren nicht vergessen!

      Die Zunge des Berliners unterscheidet die Geschmäcker »heiß« und »kalt«. Zur differenzierten Würdigung der indigenen Küche genügt das vollauf.

      Da ist es nur zu verständlich, dass die Konfrontation mit der überlegenen Kultur des deutschen Südwestens Neid erzeugt, Frustration, ohnmächtige Wut und schließlich Hass. Der Hass geht durch den Magen.

      Das soll nicht heißen, dass der Berliner sich überhaupt nicht um die Verfeinerung seiner kulinarischen Sitten bemüht. Damit täte man ihm wirklich unrecht. Folgendes Rezept etwa wird in Berliner Familien seit Langem sorgfältig gehütet und von Generation zu Generation weitergetragen – und ganz zart schlägt das Rezept ein kleines Brücklein der Versöhnung zu den Schwaben:

      »Hausgemachte Berliner Maultaschen (2 Pers.):

      1 Dose Ravioli 10 min. im Wasserbad erwärmen – fertig!«

      Wie mal etwas überhaupt nichts zu bedeuten hatte

      Ahne

      Es gibt sicher viele Sachen, die man an der Gentrifizierung kritisieren kann. Es gibt aber auch schickere Autos, größere Sonnenbrillen, ganzere Häuser. Es gibt farbenfrohere Obst- und Gemüsesorten in den Auslagen der Geschäfte zu bestaunen. Die Kinder sind nicht so frech, die Frauen schöner und die Männer unbedingt auch. Das Zeug, was vor die Tür gestellt wird, ist oftmals noch voll funktionstüchtig, und man kriegt, wenn man das bei Ebay reinstellt, mehr dafür, als man sonst im ganzen Monat verdienen würde. Die Hundebesitzer sammeln den Kot, den ihre vierbeinigen Prunkstücke aus den Aftern drücken, hinterher liebevoll von der Straße und stopfen ihn in kleine Plastesäckchen, die sie zu Hause, wahrscheinlich in speziellen Containern, aufbewahren, um ihn später zum Recyceln der Hundefutterindustrie wieder zur Verfügung stellen zu können. Nazis treten nicht offen in Erscheinung. Alkoholkranke sieht man nur selten auf der Straße. Kaum einer kotzt mittags in den Hausflur und findet das völlig normal. Du kannst Leute einfach anpflaumen, ohne von ihnen gleich die Fresse vollzubekommen. In jedem Zeitungskiosk werden Presseartikel anderssprachiger Länder offeriert. Die Speisekarten der Imben und Restaurationen sind vielfältiger. Die Kleider edler. Die Chancen, einem Prominenten auf der Straße zu begegnen, deutlich besser. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, plötzlich in einem Fernsehsender im Hintergrund zu erscheinen oder von diesem nach einer Meinung zu Ausländerkriminalität, dem Euro-Rettungsschirm oder der Eissorte der Saison befragt zu werden. Es wird in gentrifizierten Bezirken sehr viel weniger aus den Fenstern geschmissen. Auch aus den Fenstern gepinkelt wird seltener. Es wird auch seltener aus den Fenstern gekackt. Ganz, ganz selten nur kommt mal jemand mit dem Vorschlaghammer aus dem Hinterhaus gestürmt und drischt die Heckscheiben irgendwelcher Autos ein, ohne Grund. Die Kinder hören weniger Schimpfwörter auf der Straße. Dummkopf, Arschloch, Wichser, Fotze, Malaka, Schwanzlutscher, Missgeburt oder auch … Wichser hört man nur ganz selten einmal. Dafür blühen Blumen in den Vorgärten und die Vögelchen singen des Morgens, bis in den späten Abend hinein. Und die Fußballfans verhalten sich anständig. Und die Alten stehen nicht im Weg herum. Wenn überhaupt einmal alte Menschen da sind, dann sind sie nicht als solche zu erkennen. Dann sitzt deren Haut festgetackert am Fleische, bei jedem Wetter straff, der Rücken ist gerade, und nervöse Blicke zur Uhr verraten, dass man sich voll im Stress befindet. Von wegen alt, zum Altsein haben die doch gar keine Zeit. Genauso wie deren Enkel keine Zeit haben, Kind zu sein, weil sie sich nämlich durch Bratschen-, Englisch-, Chinesisch- und Spanischunterricht, Yoga, Pilates und Ballettunterricht, Spielerische Finanzökonomie sowie Tantra für Kids auf kommende Aufgaben vorbereiten müssen, denn schließlich ist es nicht einfach, lässig zu sein und trotzdem so viel Geld zu verdienen, dass man sich das Lässigsein auch leisten kann. In gentrifizierten Bezirken kann man gefahrlos jeden nach der Uhrzeit fragen. Man sollte lediglich wissen, was »Hallo«, »Uhrzeit« und »Handy« auf Englisch heißen. Und das Wetter ist schöner. Und der Bus kommt pünktlich. Und die Bordsteinkanten

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