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hier spricht ein Unwissender, kein Einwohner der Elbmetropole – und so einer kann eigentlich nicht über Hamburg sprechen. Aber zu meiner Ehrenrettung: Ich habe ein Buch gelesen, von einem Hamburger, Christoph Twickel heißt er, und sein Buch »Gentrifidingsbums. Oder: Eine Stadt für alle«.9 Darin beschreibt er zum einen, wie mit der inzwischen berühmt gewordenen Besetzung des Gängeviertels versucht wurde, anders mit Aufwertung und Gentrifizierung umzugehen. Künstler und Kulturschaffende wandten sich mit einem Manifest an die Öffentlichkeit und stellten klar, sie wollen mit der städtisch geförderten Aufwertung, mit der kreativen Klasse, nichts zu tun haben: »Not In Our Name, Marke Hamburg«.

      Seit einigen Jahren betrachten sich Städte wie Hamburg plötzlich nämlich nicht mehr als Kommunen, sondern – wie es der neoliberale Mainstream fordert – als Unternehmen. Eine Stadt ist eine Marke geworden, die mit anderen Städten auf der globalisierten Welt im Wettbewerb um Innovation und Kreativität steht. Ja, ja, ich weiß, alles Bullshit-Wörter, aber so reden die halt wirklich. Schuld daran ist der amerikanische Ökonom Richard Florida, der festgestellt hat, dass Städte heutzutage auf die sogenannte kreative Klasse angewiesen sind, er berechnet zum Beispiel den »Boheme Index« oder den »Gay Index«, weil er Homosexuelle für besonders innovativ hält. Das finden Politiker, gerade auch des vermeintlich linken Spektrums, wahnsinnig aufregend. Die denken dann: Die Industrie ist weg, das ganze Geld auch, wir brauchen also jetzt die Intellektuellen, die Kreativen, die Künstler. Die schaffen ein schönes Umfeld, alle halten uns dann für hip, am Ende kommen die großen Unternehmen, weil sie sich auch so einen subkulturellen Anstrich geben wollen und alles wird gut. Vielleicht bauen wir auch noch ein paar große »Landmark«-Projekte, eine Elbphilharmonie zum Beispiel oder ein Riesenrad, das wir total kreativ »Wheel« nennen, damit wir allen zeigen, dass es mit unserer Stadt voll aufwärts geht.

      Oft genug werden für diese Strategien Künstler benutzt, wie Twickel am Beispiel der Bergstraße in Altona zeigt. In einem leerstehenden Kaufhaus werden Ausstellungen organisiert, bis mit IKEA endlich ein neuer Mieter gefunden wurde. Und sofort ist für die Politiker klar, dass die Künstler ihre Rolle erfüllt haben und jetzt bitte weggehen sollen. Twickel bringt es auf den Punkt: »Die Kreativstadt mit ihren lebendigen, subkulturellen Szenen ist nur der schöne Schein der Gentrifizierung.« Es geht um etwas ganz anderes, es sollen Bedingungen hergestellt werden für »die Stadt als Verwertungsraum für hochtourigen Massenabsatz«. Und die Realität sieht am Ende ganz anders aus, es ist die »Privatisierung durch globale Franchise-Gastronomie, Malls, Megastores und andere ›Frequenzbringer‹, die Straßen und Plätze in Shoppingzonen verwandelt«.10

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      Zum Schluss kommen wir noch einmal zu den drei klugen Suhrkamp-Professoren vom Anfang. Die Frage lautet nämlich: Was kann gegen Gentrifizierungsprozesse, gegen Verdrängung unternommen werden? Die Professoren weisen daraufhin, dass immer die finanzielle Notlage der Kommunen angeführt wird, wenn es um Rechtfertigungen geht, warum die postmoderne Stadtentwicklung auf private Investoren angewiesen ist. Aber sie zeigen auch, dass die finanzielle Notlage keine Strafe Gottes ist, sondern eine politische Entscheidung, die Kommunen mit zu wenig Geld auszustatten. »Die marktförmige Organisation der Wohnungsversorgung« ist das Problem, diese führt nämlich zu »sozialer, kultureller und ethnischer Segregation.«11 Ihr Gewinnstreben kann man den privaten Investoren nicht einmal vorwerfen, anders wie den Kommunen geht es ihnen eben ausschließlich um Rendite, das ist ihr Sinn und Zweck. Politische Lenkung von Wohnungsfragen bleibt also unerlässlich. Eine Stadt muss auch für jene sorgen, die weniger zum Bruttosozialprodukt beitragen: Arbeitslose, Migranten, Rentner, Geringverdiener und viele andere. Eine Stadt darf nicht handeln wie ein renditeorientiertes Unternehmen oder gar ein Hedgefonds.

      Aber auch die Künstler und Pioniere sind nicht von ihrer Verantwortung befreit. Es gilt aufmerksam zu sein, was man mit seiner kulturellen Aktivität bewirkt. Ebenso sollte nicht das Umfeld verleugnet werden, in dem man sich eingerichtet hat. Und man muss nicht in die Parolen der kreativen Stadt mit einstimmen, man muss nicht die ganze Zeit den kapitalistischen Verwertungsinteressen den Mund reden. Not in our name eben.

      Ach ja, der Laden von meinem Freund in Neukölln heißt natürlich nicht »Gentrification«, sondern so wie der Kohleladen, der vorher die Räume nutzte. Immerhin irgendwie verbunden mit der Umgebung. Verdrängt hat er übrigens auch niemanden, der Laden stand jahrelang leer. Vielleicht kommt aber in fünf Jahren eine schöne Kaffeehauskette und verdrängt wiederum meinen Freund, wer weiß das schon. Ob er sich das dann einfach so gefallen lässt? Denn man sollte nie vergessen, was die unsägliche Band Starship schon in den Achtzigerjahren sang: Wir haben die Stadt selbst aufgebaut. Und zwar auf Rock’n’Roll.

      1. gentrification

      Hier isses nicht anders als woanders

      Julius Fischer

      Wenn in Berlin ein Haus umfällt, dann wissen alle Bescheid, ah ja, da, im Prenzlauer Berg, direkt neben dem Laden mit den Weinbergschneckencroissants, wo Marvin und Constanze ihren Laden haben, eine Mischung aus Boutique und Café, ein Bouticafé, bei dem wir noch froh sein können, dass sie ihn nur »Süßstoff« genannt haben und nicht »CoMa«, wegen Constanze und Marvin.

      In Leipzig gibt es solche Läden auch, aber es kennt sie eben keiner.

      Leipzig gilt nur einer ausgewählten Gruppe von Studenten und Frührentnern mit akademischem Hintergrund als interessante Adresse.

      Ab und zu kommen Nazis vorbei, aber die müssen schon am Hauptbahnhof die Schuhe ausziehen und verlieren damit ihre militärische Ordnung, denn dann offenbart sich die echte rechte Natur, und man kann wohl so viel verraten: Braun ist eine recht seltene Sockenfarbe. Was, wenn die Renee-Freundin am Tag vor der Demo Waschtag hatte und nun nur noch ein paar eingelaufene Diddl-Socken zur Verfügung stehen …

      Wie in Berlin, nur ohne dass davon Notiz genommen wird, ziehen in Leipzig alle paar Jahre Leute von dem einen in den anderen Stadtteil, weil es in ersterem zu teuer geworden ist, in letzterem aber nicht nur die Mieten günstiger sind, sondern auch auf der einen Hauptstraße zwei total schnuckelige Cafés aufgemacht haben, die von den Wohngemeinschaften oben drüber bewirtschaftet werden.

      Toll!

      Ich bin auch umgezogen, allerdings innerhalb meines Stadtteils, einfach zwei Straßen höher. Das kann man sich trauen, jetzt, wo die Aasgeier der Gentrifizierung weitergezogen sind.

      Stadtteile, die als nicht mehr so hip angesehen werden, finde ich sehr hip.

      Keine Studenten, kaum Kleinkinder, alles ein bisschen weniger provisorisch.

      Vielleicht bin ich aber auch nur ein Snob.

      Mir wurde neulich von einem Übernachtungsgast vorgeworfen, ich sei in der gehobenen Mittelschicht angekommen, weil ich ihm zwei unterschiedliche Sorten Käse vorsetzte, die nicht einer »ja!«-Packung »Aufschnitt light« entstammten.

      Ich wohne einfach gerne gut, ohne daraus gleich ein Happening zu machen.

      Ich bin Freund sanierter Altbauwohnungen, wo man nicht mehr auf halber Treppe dem Nachbarn dabei zuhören muss, wie er mit einer Leidenschaft, die er bei der Lebensplanung manchmal vermissen lässt, seinen Verdauungsapparat derart bemüht, dass ein postmoderner Künstler beim Hören der Audioaufnahmen vor Entzücken in Ohnmacht fallen würde.

      Diese Auffassung kann natürlich auch negative Auswüchse haben, Stichwort: repräsentative Neubauten. In Leipzig wurde scheinbar ein wildgewordener, cracksüchtiger Baubürgermeister auf die Innenstadt angesetzt. Wo man hinsieht, Glas und Beton vor den alten Fassaden.

      Ich frage mich, wie viele Universitätshauptbauten die Stadt seit dem Bestehen dieser heiligen Institution gesehen hat. Zehn oder zwanzig? Und dann pisst man auf die Tradition und klotzt an die DDR-Struktur ein bißchen Beton dran, baut eine Kirche nach, die aussieht wie aus Lego, putzt die Flure und nennt das Fortschritt?

      Das einzig Positive am Augustusplatz in Leipzig, der vor sogenanntem Fortschritt nur so strotzt, ist der Umstand, dass es dort kein Café gibt, von welchem man Übersicht über den ganzen Platz hätte.

      Ich

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<p>9</p>

Christoph Twickel: G entrifidingsbums. Oder: Eine Stadt für alle. Hamburg: Edition Nautilus 2010.

<p>10</p>

Ebd. S. 69.

<p>11</p>

Stadtpolitik. S. 289.