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ich nicht, ich wäre ja Kaiser.

      An die Stelle der Architekten würden Restaurateure treten, Spitzenkräfte mit Blick fürs Alte. Herrlich wäre das.

      Ich bin ja nicht gegen Fortschritt. Fortschritt fetzt. Weiterkommen ist super, immer schön upleveln, die Gesellschaft.

      Ich verstehe nur nicht, wie das Gehirn des Menschen sich stetig weiterentwickelt, aber die Augen nicht. Oder der Sinn für das Schöne, Bewahrenswerte.

      Eine andere Möglichkeit ist die der Eigeninitiative, sprich, man übergibt alle restaurationswürdigen Gebäude einer Gruppe von Hippies, die ein alternatives Hausprojekt daraus machen.

      Dagegen habe ich nichts, mir fehlt nur für so etwas einfach die Zeit, das handwerkliche Geschick und die Ideale. Ich habe selbst Freunde in alternativen Hausprojekten.

      Hin und wieder besuche ich sie, sitze im Hinterhof, das Lagerfeuer flackert, alle trinken Wein und diskutieren über Anonymous. Dann denke ich: Wie schön wäre das, hier zu bleiben und mich in eine Ecke zu legen, zusammen mit den Hunden und dem Punker, der vorübergehend keine Bleibe hat. Aber eigentlich bin ich nicht so einer. Ich glaube nicht an den Kommunismus.

      Wer seine eigenen Bedürfnisse immer hinter die der Gruppe zurückstellt, der wird mit der Zeit depressiv oder aggressiv. Oder beides.

      Ich bin wahrscheinlich ein Opportunist, aber dafür habe ich immerhin keine Dogmen.

      Die Freunde wohnen im Leipziger Westen, einer Gegend, in der das einsetzt, was manche Leute mit der Bezeichnung »Gentrifizierung« versehen. Die Straßen sind gepflastert, die Häuser unsaniert, genau der richtige Ort für Künstler, Studenten und andere Menschen, deren Wunsch nach Gestaltung hyperaktive Züge erreicht. Das war so im Süden, das ist jetzt so im Westen und irgendwann, in zehn Jahren, wird es irgendein anderes Gebiet sein, vielleicht Halle.

      Das ist der Lauf der Dinge, und wenn mir wieder jemand mit Gentrifizierung kommt, weise ich gerne auf das Spiel Die Gilde 2 hin. Ich denke, alle Probleme in der Welt können behoben werden, indem man schaut, wie das in Computerspielen läuft. Wenn beispielsweise das Leben der Menschheit von Dämonen mit hundert Affenköpfen bedroht ist, bedarf es nur eines Auserwählten, der seine Skills durch Cheaten in die Höhe schraubt, um zum Schluss den Endgegner zu köpfen. Also mehrmals. Sind ja hundert Affenköpfe.

      In der Gilde 2 jedenfalls geht es darum, in einem Dorf ein Wirtschaftsimperium aufzubauen. Wächst das eigene Imperium, wächst auch das Dorf. Man beginnt als Bauer und bäckt Graubrot. Büke man Kuchen, wäre dieser ein Ladenhüter, da die anderen Dorfbewohner arme Schweine sind, die sich die Dukaten fürs Graubrot mühevoll in ihren eigenen Betrieben (zum Beispiel »Räubernest«) erarbeiten müssen. Steigt die Begütertheit der People, kaufen sie Kuchen wie blöde, als hätte Marie Antoinette ein Thesenpapier an die Dorfkirche gehängt. Und so geht das weiter, später gibt es dann die Optionen »Bio-Brötchen« und »vegane Sachertorte«.

      So ist es bei mir auf der Straße auch. Plötzlich, nach einigen Jahren florierender Geschäfte haftet an jedem zweiten Einzelhandel in den umliegenden Blocks ein Zettel mit dem Hinweis »Wegen Renovierung geschlossen«. Aus dem schäbigen Hähnchengrill mit angeschlossenem Dönerspieß wird ein orientalisches Bistro, aus dem Hippiekeramikladen wird ein Hippiekeramikladen, aber man hat mehr Auswahl und die Duftkerzen wechseln alle drei Tage. Aus dem Büro des Bauingenieurs Dipl. Ing. Herbert Dippel wird die »Bauen by Dippel Inc«.

      Ist doch klasse, kann man sich doch mal für die freuen.

      Ich meine: Klar, sobald ein BASE-Laden im Erdgeschoss aufmacht, muss man aufpassen.

      Da gilt die Devise: Böser Blick vom Morgengrauen bis in die Dämmerung.

      Nur reicht das manchmal nicht.

      Man muss es irgendwie schaffen, Stadtteile attraktiv zu machen, ohne sie attraktiv zu machen.

      Hier einige Vorschläge:

      1. Alle Investoren töten. Schwierig! Man bräuchte schon das geheimdienstlerische Potential der Vereinigten Staaten oder

      2. eine Atombombe, um sicherzugehen, dass wirklich niemand auf die Idee kommt zu investieren. Sehr sichere, wenn auch mit ein paar kleinen Problemen in der Nachbereitung behaftete Methode.

      3. Den Stadtteil abriegeln: Einem kleinen, bekannten gallischen Dorf gleich, da hatte ja auch kein Römer Lust, einen – sagen wir – Pizzaverleih aufzumachen. Man könnte das als Performance aufziehen, alle, die da einziehen, müssten mitmachen, jeder trüge Umlandhosen (vorne Cord, hinten Karo) und Hooligan-Inseln auf dem Kopf und jeder »Fremde« würde angepöbelt werden. Und zum Einkaufen geht’s per Assi-Shuttle in die Innenstadt, da ist eh nix mehr zu retten. Das wäre Assi-milation.

      4. Nicht via Twitter über Gentrifizierung aufregen, sondern einfach das Handy wegwerfen und in die Uckermark ziehen.

      Oder 5., um die Kritik für alle sichtbar zu machen, sollte man sich am Elsterufer eine Lehmhütte bauen und sich Bisamratten und Großstadtkabeljaue direkt von der Angel weg grillen.

      Aber es wird nicht lange dauern, bis junge Herren in Cord-jackets und Mädchen in viel zu großen, pastellfarbenen Anoraks sich nebenan auf ihre Stoffbeutel setzen und eine Club-Mate trinken. Dann macht ein Atelier auf, in einem hohlen Baum, zur ersten Vernissage kommt jemand und fotografiert das Ganze für Facebook, dann legt auch schon der erste Techno-DJ auf, dann kommen Horden mobiler Biersurrogatverkäufer und Zack, schon hat der erste BASE-Stand aufgemacht.

      Dann folgen die Stempel der postmodernen Konsumgesellschaft, die man so kennt: Bäckerkette, H&M, Marktforscher, BubbleTea-Läden, BubbleTea-Kaufhäuser, BubbleTea-Wolkenkratzer, BubbleTea-Freizeitparks.

      Man kann davon ausgehen, dass die Megastädte der Zukunft an genau solchen Orten geboren werden. Das ist Fortschritt. Und so schön Fortschritt ist, ich hoffe, ich bin dann irgendwo anders! In der Uckermark zum Beispiel oder in Halle.

      Kritik der modernen Architektur

      Oder: glas brennt nicht – schade.

      Tobias Kunze

      Diese Kanten, karatescharf geschnitten. Dieses glamouröse, gläserne, glatte Glitzern. Diese betonungslosen Betonrampen. Diese mondäne Monotonie. Ich frage mich, wer das schön findet. So durchsichtige, mehrstöckige Stahlwürfel mit Glaswänden, die die Ödnis der vorgelagerten Parkplätze reflektieren. Wer bloß findet das erhaben, wenn der Fluss damit zugestellt wird? »Oh, schau mal, wie toll sich das dunkelgrünbraune Brackwasser in den Fenstern spiegelt und mit dem Himmel vermischt!« Hui, wie poetisch, diese freudlos frontal dahingestemmten Blöcke, hingeknallt wie abgeworfene Borgwürfel, mit Oberflächen, wie sie für die Geschäftswelt nur sinnbildlich stehen können: vordergründig durchsichtig, aber innendrin intransparent. Oder: vorne glotzig, hinten fotzig.

      Da fällt eine Horde windiger Projektmanager, planierfreudiger Planer, obskurer Baulöwen, imminenter Immobilienspekulanten, angeblicher Architekten, eigentümlicher Grundstückseigner und begeisterter und anderweitig überzeugt wordener Pappkameradpolitiker in ein alternatives Viertel ein. Diese Baumöwen klemmen sich die Brachgelände und nachgenutzten Fabrikruinen – Meins! Meins! – Meins! – und entrollen fallschirmgroße Planungsplakate. Dann strecken die Bauherren die Arme aus wie einst andere unter Adi, entklappen ihre Zeigefinger, Handkanten zerschneiden die Luft wie bei Kung-Fu-Filmen in Zeitlupe und dann heißt es: »Da kommt das hin, hier das, dort das, da drüben entsteht das, so was bauen wir hier und da hinten, na ja, das wär dann so die kleine Stadtteilecke, da dürfen die Eingeborenen, äh, die Anwohner auch ma’ eine rauchen!« Yippiee! Und stolzgeschwollen bollern Bauherrenbrüste über Brückenbrüstungen, geldheischerisch schmirgeln sich Handteller heiß. Abriss in großem Stil wird angestrebt, rumorend heulen die Motoren der Knabberbagger auf und hungry vibriert die Maschinenmeute im Nahkampf. In den WGs des Bezirks klirren die aus den umliegenden Clubs geklauten Gläser im Buffet. Unterdessen fressen sich Betonköpfe in den Stadtplan wie Stephen Kings Langoliers. Kräne kreisen kranichgleich und krönen kranzartig die Stadt, Nest und Brutstätte der Kräne. Wie die Störche stolzieren, bezirzen und zirkulieren die Gerüste zirkusgleich über den Dachfirsten und picken sich Nistmaterial in ihre Horste, dass man sich

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