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immer einen kleinen Hang zur Schwermut. Du betrachtetest eben das Bild sehr traurig, als ich hereinkam.

      LUISE. Ich? –

      WALLER. Ich bemerkte es wohl. Dies Gemälde macht dich wirklich melancholisch, – häng' es in das Nebenzimmer.

      LUISE. Laß es! Diese Melancholie ist mir sehr angenehm; – es ist eine gewisse Wehmut, in die mich dies Porträt meines verstorbenen Bruders versetzt, – ich denke dabei an meine Kinderjahre zurück. – Laß es immer, es ist ja das einzige, was ich von ihm übrigbehalten habe. – Du hast mir schon oft gesagt, ich möchte es wegnehmen, – wie kann es dir mißfallen, wenn ich es zuweilen mit einiger Rührung betrachte?

      WALLER. Mißfallen, Luise? Wie könnte mir an dir etwas mißfallen? – Aber ich weiß nicht, – es ist wirklich eine sonderbare Grille, – sieh, ich wollte, dein Bruder hätte sich in einer andern Stunde malen lassen. – Es ist ein schönes, ein ausdrucksvolles Gesicht, sein Auge, seine Stirn kündigt den denkenden Mann an, – aber keiner von den Zügen in dem Bilde, die ich an dir so sehr liebe. – Es gibt viele Gesichter, die mich auf eine seltsame Art von jeder Vertraulichkeit zurückschrecken, die immer noch etwas Fremdes behalten, wenn man sie auch seit Jahren kennt, – dies Bild gehört zu diesen Leuten. – Sich, diese Falte um den Mund, – sie hat so etwas Zurückstoßendes, – nichts Boshaftes, – aber eine gewisse so feststehende Kälte, daß es scheint, als könnte sie sich von keiner Rührung, von keinem Lächeln hinwegschmelzen lassen.

      LUISE. Du bist doch auch in allen Sachen Schwärmer, lieber Karl.

      WALLER. Ich gestehe, daß es bloße Grille ist, und darum laß es nur! – Sollte ich auch so früh schon mit dir zu streiten anfangen? Die ersten, goldnen Tage unsrer Ehe sind ja kaum verflossen, – nicht wahr, Luise, wir müssen kein schlimmes Beispiel geben?

      LUISE. Freilich nicht, Karl. – Sollten wir jemals weniger glücklich sein, als wir es jetzt sind?

      WALLER. Gewiß nicht, Luise, – wenn du dich nur nie unglücklich fühlst.

      LUISE. An deiner Brust ewig nicht.

      WALLER. Wirst du in unsrer ländlichen Einsamkeit auch nie die große Welt vermissen, Luise?

      LUISE. Die große Welt? – War es nicht von jeher mein Lieblingswunsch, auf dem Lande, nur der schönen Natur und dir zu leben? – Die kleine große Welt, »Wie klein, wie armselig ist diese große Welt!« Tellheim in Lessings »Minna von Barnhelm«, V, 9. wo man sich ewig in einem Zirkel von Langeweile, Affektation und schalen Komplimenten herumdreht, – ach nein, ich fühle, es ist hier besser, mir bleibt nichts zu wünschen übrig.

      WALLER. Auch ich, Luise, auch ich fühle mich ganz glücklich. – Ich habe den ganzen Tag über schon so süß geträumt, ich habe mir unser ganzes Leben so reizend gedacht. – Wir leben hier nun den einen Tag so wie den andern, in einer schönen, ununterbrochenen Einförmigkeit; unser Garten, alle die schönen Gegenden umher, werden uns nach und nach bekannt, wie wir uns selbst, – Luise, Kinder hüpfen um uns her, eine Quelle der Freude öffnet sich nach der andern, – Enkel; – mit Falten in der Stirne, vor Alter zitternd, gehn wir dann froh, Arm in Arm, dem letzten Tage entgegen; wir erzählen uns die Geschichte unsers Glücks und durchleben in der Erinnerung noch einmal den freudenreichen Kreis. – Bei der Linde hinter deinem Hause sah ich dich zuerst, – so erzähl' ich dir beim Sonnenuntergang, – ich brach dir eine Hyazinthe, die du mit süßem Lächeln annahmst. – Weißt du noch, wie du mir auf dem Klavier oft noch so spät etwas vorspieltest, wie ich hundertmal Abschied nehmen wollte und doch immer noch dablieb, – wie ich es endlich einmal in einer dämmernden Laube wagte, dich beim vertraulichen Schein des Abends zu küssen, wie du den ganzen Abend über so still warst und am Morgen wieder so freundlich wie sonst – Luise, nicht wahr, wir werden glücklich sein?

      LUISE. Gewiß! gewiß! – Ach ja, diese Welt hat viele Freuden, sie wäre ein Paradies, wenn alle Menschen so dächten, so empfänden wie du!

      WALLER. Es wäre nicht gut, du selbst hast ja so oft über meine auffahrende Heftigkeit geklagt.

      LUISE. Und nicht ohne Ursach'. Wie oft hast du mir nicht dadurch schon tausend Angst gemacht. – Etwas sanfter, lieber Karl, und du bist der beste aller Menschen, – wenn ich dich auch vielleicht deiner Wildheit wegen zuerst liebte. Bald stürzest du mit unbändigen Pferden, bald entzweist du dich mit einem Fremden, der dich zu erschießen droht, – wirst du mir noch öfter solchen Kummer machen?

      WALLER. Nicht doch, sei ohne alle Sorgen. – Auch dieses Grams um mich wirst du dich einst mit Vergnügen erinnern. Welche Erinnerung kann die Liebe nicht versüßen? – (Indem er Luisen in die Arme faßt,) Ach Gott, wenn ich der Zeit noch gedenke, wie du mir fremd warst, – oft kann ich es gar nicht fassen, daß du nun mein bist! – Luise, jeder Augenblick meines Lebens ist mir itzt kostbarer, als sonst eine Woche, da ich dich noch nicht kannte.

      LUISE. Und du kannst noch fragen, ob ich die Freuden der großen Stadt vermissen werde?

      WALLER. Wir wollen sie gern vermissen; hier in einer einsamen Häuslichkeit leben wir mit unserm kleinen Vermögen froh und glücklich, pflanzen unsern kleinen Garten und genießen jede Stunde; in deinen Armen erhole ich mich von meinen mühevollern Arbeiten, – so schwimmen wir den schönen, hellen Strom des Lebens hinab, bis unser Kahn nach und nach auseinander zu fallen droht, und dann, Luise, das hoff' ich zu Gott, landen wir an einer schönen Insel.

      LUISE. Scheitern an keiner Klippe.

      WALLER. Und leben in unsern Nachkommen weiter.

      LUISE. Wir gehn sanft unter, wie ein schöner Sommertag, und sehn dann noch einmal heiter auf unsre Bahn zurück, – ohne Reue, ohne Thränen.

      WALLER. Auch ohne Seufzer!

      LUISE (seufzend). Ohne Seufzer! –

      WALLER. Und doch seufztest du eben. Aber auch die Freude kann den Busen schwellen und das Herz schwer machen.

      LUISE. Jawohl, Karl.

      WALLER (sich nach dem Bilde wendend). Dein Bruder war nicht so glücklich. – Nicht wahr, Luise, so hat er nie gelächelt, wie du itzt lächelst« – Es war ein kalter Mann?

      LUISE. Nein, gewiß nicht, – ach, er war oft nur zu warm, zu gefühlvoll.

      WALLER. So hatte der Maler desto weniger Gefühl.

      LUISE (ihn anlächelnd). Mußt du denn immer wieder auf dies Bild zurückkommen?

      WALLER. Verzeih! – Hast du kein Messer?

      LUISE (scherzhaft). Du willst mich doch nicht gar des Bildes wegen erstechen? – Hier.

      WALLER. Bewahre! ich wollte dir nur ein Geschenk machen.

      LUISE. Ein Geschenk?

      WALLER. Sieh, Luise, diesen Apfel! Es ist der erste reife im ganzen Garten.

      LUISE. Wirklich?

      WALLER. Sieh das schöne Rot, – wie vom Abendschein überflogen oder wie deine Wangen. ( Indem er ihn teilt) Da hast du die rote Hälfte.

      LUISE. ( indem sie sie auf das Klavier legt.) Ich will sie mir zum Abend aufheben.

      WALLER. Vergiß sie auch nicht.

      LUISE. Gewiß nicht.

      WALLER. Ei, du böses Kind, du erinnerst mich auch an nichts; ich wollte ja fortgehen. Adieu, Luise!

      LUISE. Kömmst du bald wieder?

      WALLER. In einer halben Stunde.

      LUISE. Gewiß?

      WALLER. Ich will durch den Garten gehn, der Weg ist dort etwas näher. ( Er geht.)

      LUISE. Karl!

      WALLER ( bleibt stehn). Was willst du?

      LUISE. Warte nur noch einen Augenblick, ich will dich wenigstens bis zur Gartenthür des Nachbars begleiten, – sieh, wie schön die Sonne untergeht. – Komm! ( Sie faßt ihn unter den Arm,

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