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son­der­ba­re Frau, durch und durch an­ci­en ré­gime aus der Zeit der Leib­ei­gen­schaft und so un­wis­send wie es ihre Ge­ne­ra­ti­on und ihr Stand mit sich brach­ten. Sie sprach ein sehr schlech­tes Fran­zö­sisch, und Rus­sisch konn­te sie, wie ihre Töch­ter klag­ten, so gut wie gar nicht. Man hät­te sie wie sie ging und stand in einen Ro­man Tur­gen­jews oder einen frü­hen Tol­stoi hin­ein­stel­len kön­nen. Die Woh­nung ne­ben der uns­ri­gen wur­de jetzt zu klein, der Schwie­ger­sohn Po­tem­kin kauf­te weit drau­ßen auf Mont’ Ughi um lä­cher­lich ge­rin­gen Preis die eben feil­ste­hen­de his­to­ri­sche Vil­la, wo die be­rühm­te Ver­schwö­rung der Paz­zi an­ge­zet­telt wor­den war. Die alte Fürs­tin war zu dem aus­ge­spro­che­nen Zwe­cke ge­kom­men, sich mit der Ver­hei­ra­tung ih­rer jün­ge­ren Toch­ter zu be­schäf­ti­gen. Die­sem Plan war eine Freund­schaft, die so viel Platz in Tat­ja­nas Le­ben aus­füll­te, hin­der­lich; sie be­schränk­te also un­se­ren Um­gang, der oh­ne­hin bei der großen Ent­fer­nung und den da­mals noch un­ent­wi­ckel­ten Ver­kehrs­ver­hält­nis­sen nur schwer auf­recht­zu­er­hal­ten war. Die Freun­din­nen sa­hen sich nur sel­ten mehr in dem neu­en Raum, noch sel­te­ner bei mir in dem al­ten. Tat­ja­na war im­mer schwa­chen Wil­lens ge­we­sen, so durf­te ich ihr nicht ver­ar­gen, dass sie die herrsch­süch­ti­ge Mut­ter zwi­schen uns bei­de tre­ten ließ. Bald dar­auf wur­de sie mit ei­nem ita­lie­ni­schen Di­plo­ma­ten ver­lobt; der Zar hat­te die Toch­ter des al­ten aber ver­arm­ten Fürs­ten­hau­ses stan­des­ge­mäß aus­ge­stat­tet. Sie kam als Ge­sand­tin an einen Bal­kan­hof, was ih­rer stil­len, im­mer et­was men­schen­scheu­en Art we­nig ent­sprach. Wir tausch­ten nur noch sel­te­ne Brie­fe; da un­ser Bund auf kei­ne geis­ti­ge Ge­mein­schaft, nur auf herz­li­che Nei­gung und Ver­trau­en ge­grün­det war, konn­te er in der Fer­ne nicht an­ders als durch die zärt­li­che Erin­ne­rung fort­be­ste­hen.

      Aber nach mei­ner Er­fah­rung kann kei­ne in­ner­lich gute Saat, die ein­mal ge­grünt hat, spur­los un­ter­ge­hen. We­ni­ge Wo­chen vor Aus­bruch des Welt­kriegs, wer klopft da ei­nes Ta­ges in Mün­chen an mei­ne Tür? Son­ja, die seit vierund­drei­ßig Jah­ren für mich Ver­schol­le­ne. Die lan­ge Zwi­schen­zeit ver­sank im Nu vor der le­ben­di­gen Ge­gen­wart, wir stan­den uns ge­gen­über, als ob wir uns ges­tern ver­las­sen hät­ten. Sie war ganz und voll­stän­dig die alte, mit der schö­nen Wür­de ih­rer Hal­tung und der Wär­me ih­res Her­zens, nur dass sich durch die blauschwar­zen Flech­ten ei­ni­ge wei­ße Fä­den zo­gen und dass ihre hohe Ge­stalt lei­se vom Lei­den be­rührt war, über das sie mit den Wor­ten: il faut bien que j’aie quel­quecho­se er­ge­ben hin­weg­ging. Vor dem Re­lief­bild mei­ner Mut­ter und der Büs­te mei­nes Bal­de brach sie in eine sol­che Flut von Trä­nen aus, dass ihr fei­nes Tüch­lein schnell durch­ge­weint war und ich nicht Er­satz ge­nug her­bei­schaf­fen konn­te, um sie zu trock­nen. Sie wein­te um mei­ne To­ten, als ob es ihre ei­ge­nen wä­ren! In Eben­hau­sen wohn­te sie mit Tat­ja­na, die nicht so­fort mit­ge­kom­men war, weil sie, ein­sam und men­schen­scheu ge­wor­den, zu­vor wis­sen woll­te, ob ich sie noch lieb­te. Bei­de Schwes­tern wa­ren ver­wit­wet und, wie ich se­hen konn­te, wie­der in be­schränk­ter Le­bens­la­ge wie ehe­dem, aber noch im­mer durch und durch fürst­lich in Ge­sin­nung und We­sen. Son­ja, die im­mer geis­ti­ger ge­we­se­ne, hat­te sich’s nicht neh­men las­sen, aus der Fer­ne mei­nen Weg zu ver­fol­gen und sich so­gar Bü­cher von mir zu kau­fen, die sie ja nicht le­sen konn­te. Wir ver­brach­ten ein paar schö­ne Nach­mit­tage, Un­ver­ge­ss­li­ches zu­rück­ru­fend, teils bei ih­nen auf dem Lan­de, teils in der Stadt bei mir, wo mein Ju­gend­freund Mohl aus den frü­hen Tü­bin­ger Ta­gen, der nach vier­zig in Russ­land ver­brach­ten Jah­ren in Mün­chen An­ker ge­wor­fen hat­te, um sei­ne letz­ten Jah­re ne­ben mir zu ver­le­ben, zu sei­ner Freu­de Ge­le­gen­heit hat­te, wie­der ein­mal rus­sisch zu spre­chen, und auch mein Ohr an die lang ver­ges­se­nen Lau­te sich wie­der ge­wöhn­te. Nur zu bald wur­den die bei­den zu­ge­flo­ge­nen lie­ben Vö­gel durch den Kriegs­aus­bruch hin­weg­ge­sprengt. Aber der von al­len Sei­ten los­bre­chen­de blind­wü­ti­ge Völ­ker­hass ver­moch­te die wie­der­ver­bun­de­nen Her­zen nicht mehr zu tren­nen. Son­ja, die Tä­ti­ge, Ge­treue, war es, die mei­nen Post­ver­kehr mit dem ita­lie­ni­schen Freun­de, der mir mein ver­wais­tes Haus in For­te dei Mar­mi brü­der­lich be­treu­te, so­lan­ge es in ih­rer Macht stand, ver­mit­tel­te. Man be­haup­tet so gern, dass nur ein Volk die Treue ken­ne. Sie ist eine Wun­der­blu­me, aber frei­lich eine sel­te­ne, die über­all wächst, wo Men­schen woh­nen.

      Nun muss ich das Steu­er wie­der dre­hen, um aus dem vor­weg­ge­nom­me­nen Jahr 1914 in die acht­zi­ger Jah­re des vo­ri­gen Jahr­hun­derts zu­rück­zu­keh­ren.

      Bal­de

      An­fang 1882 neig­te sich der kur­ze Le­bens­tag un­se­res Bal­de zum Ende. Vier Jah­re lang hat­te das da­mals noch so mil­de Kli­ma von Flo­renz mit sei­nem kur­z­en son­ni­gen Win­ter und sei­nen gleich­mä­ßig glü­hen­den Som­mern, die der Kran­ke in glück­se­li­ger Dank­bar­keit am Golf von Spe­zia ver­brach­te, ihm die Wi­der­stands­kraft ge­stärkt. Un­ter Vö­geln und Blatt­pflan­zen, im­mer mit Al­lein­stu­di­um be­schäf­tigt, um den ver­säum­ten Schul­un­ter­richt zu er­set­zen, hat­te er als der ge­lieb­te Mit­tel­punkt des Hau­ses trotz der kör­per­li­chen Be­schwer­de, die sein schwe­res Herz­lei­den mit sich brach­te, doch kein ganz und gar un­glück­li­ches Da­sein ge­führt. Sei­ne edle, noch halb kind­li­che Jüng­lings­ge­stalt mit den schö­nen, tief ver­geis­tig­ten Zü­gen und dem Aus­druck ei­ner un­sag­ba­ren jung­fräu­li­chen Rein­heit und Zart­heit ist das er­grei­fends­te Bild, das mir die Erin­ne­run­gen mei­nes Le­bens zei­gen. Sein Bru­der Er­win hat ihn so in sei­nem letz­ten Som­mer un­ter ei­nem Li­mo­nen­baum sit­zend mit dem Blick aufs Meer ge­malt. Ich sehe ihn noch, wie er in sei­nen gu­ten Stun­den durch die Stra­ßen von Flo­renz ging, häu­fig einen um den Arm ge­leg­ten Schal acht­los am Bo­den nach­zie­hend, mit lang­sa­mem, vor­sich­ti­gem Gang, um das Herz nicht zu be­un­ru­hi­gen, aber in­ner­lich tief le­ben­dig und stets zu al­ler­lei Hu­mo­ren auf­ge­legt. Wie je­nes Ta­ges, wo er mit ei­nem großen ver­schnür­ten Pa­ket auf dem Arm ei­lig und ängst­lich durch die Por­ta San Gal­lo zu ge­lan­gen such­te, an den Maut­wäch­tern vor­über, die na­tür­lich wis­sen woll­ten, was in dem Pack sei. Nichts, nichts, bit­te las­sen Sie mich vor­bei, war die auf­ge­reg­te Ant­wort, ich habe nichts Zoll­ba­res. Jene be­stan­den auf ih­rer Pf­licht und nö­tig­ten den er­tapp­ten Schmugg­ler mit ih­rer Hil­fe die Schnü­re ab­zu­wi­ckeln. Un­ter dem ver­schnür­ten Pack be­fand sich ein zwei­ter eben­sol­cher, der gleich­falls ge­öff­net wur­de un­ter Bal­des fort­wäh­ren­der Be­teue­rung, dass ja ganz ge­wiss nichts in dem Pack sei. Um so eif­ri­ger wur­den die Zöll­ner, im­mer neue Schnü­re ab­zu­wi­ckeln, bis in dem al­ler­letz­ten und kleins­ten Päck­chen rich­tig das an­ge­ge­be­ne Nichts zum Vor­schein kam. Der klei­ne Streich, zu dem auch die Zoll­wäch­ter lach­ten –, o glück­li­che Zeit, wo die Or­ga­ne der Ob­rig­keit das La­chen noch kann­ten –, mach­te ihm eine die­bi­sche Freu­de.

      An mei­nen frü­hen li­te­ra­ri­schen Ver­su­chen, die auch teil­wei­se ihm zur Un­ter­hal­tung ge­schrie­ben wa­ren, nahm er herz­li­che­ren An­teil als die an­de­ren Brü­der; noch un­längst fand ich mit Rüh­rung einen Stoß Blät­ter von sei­ner Hand mit Ab­schrif­ten mei­ner da­mals ent­stan­de­nen Mär­chen. Er war aber kein kri­tiklo­ser Be­wun­de­rer, son­dern sah mir scharf auf die Fin­ger, denn er hat­te sich

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