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mein neu­er Be­kann­ter an­ge­re­det, ver­stärk­te die Aner­bie­tun­gen, in­dem er sich für die gan­ze Zeit mei­nes Auf­ent­halts mit al­lem, was in sei­nen Kräf­ten stand, mir zur Ver­fü­gung stell­te. Ich dank­te lä­chelnd, wenn auch mit we­hem Her­zen, ich kön­ne von Hau­se nicht ab­kom­men. Das Mär­chen pass­te ja nicht in den wa­chen Tag. Es tue ihm leid, weil er nur we­ni­ge Tage blei­ben kön­ne, sag­te er, in­dem wir un­ser Son­der­ge­spräch fort­setz­ten, aber er ver­ste­he wohl mein Nein und dür­fe es mir nicht vor­wer­fen. Er wür­de sich je­doch da­durch nicht ab­hal­ten las­sen mich wie­der­zu­se­hen, son­dern im Win­ter Ur­laub neh­men und sel­ber nach Flo­renz kom­men. Ich hat­te aus der Hal­tung der Ge­sell­schaft be­grif­fen, dass ich einen Mann aus vor­neh­mem Ge­schlecht und von glän­zen­der Le­bens­stel­lung vor mir hat­te, von dem aus­ge­zeich­net zu wer­den für eine Ehre galt und der na­tür­lich von vie­len be­gehrt war; um so we­ni­ger schi­en mir bei der Kür­ze der Be­kannt­schaft ein Ent­ge­gen­kom­men am Plat­ze. Ich muss­te an eine Häus­lich­keit den­ken, in der sich wohl die völ­lig un­kon­ven­tio­nel­len Rus­sen zu­recht­fan­den, aber schwer­lich ein Trä­ger fes­ten ge­sell­schaft­li­chen und geis­ti­gen Her­kom­mens. Dazu Müt­ter­leins un­be­wach­te Re­den und Ed­gars plötz­li­che Ab­leh­nun­gen, die häu­fig nur Fol­ge über­star­ker be­ruf­li­cher Ner­ven­span­nung wa­ren, und es schrie aus mei­ner See­le nein und aber­mals nein. Ich hät­te sa­gen müs­sen, dass un­ser Haus kein ge­sel­li­ges sei, weil mir ein Bru­der an lan­gem Lei­den hin­s­t­er­be und mei­ne Mut­ter kei­ne Be­su­che emp­fan­ge. Aber mir schau­der­te da­vor, die trau­ri­ge Wirk­lich­keit in das Mär­chen hin­ein­zu­zie­hen, da sich doch bei­de nie­mals mit­ein­an­der ver­tra­gen konn­ten; so ließ ich al­les zu Bo­den glei­ten. Nur nicht den Zau­ber bre­chen, nur nicht über das Wun­der der Stun­de hin­aus­den­ken. Aber wenn es zu Ende war, mit dem Ster­nen­kleid aus dem Kö­nigs­saal flie­hen und dem Su­chen­den kei­nen gol­de­nen Schuh, wor­an ich zu fin­den war, zu­rück­las­sen.

      Er fühl­te den Wi­der­stand und schlug mir nun bei der nächs­ten Be­geg­nung einen ihm be­freun­de­ten Sa­lon in Flo­renz vor, wo vie­le an­ge­se­he­ne Frem­de ver­kehr­ten und wo ich mich leicht hät­te ein­füh­ren las­sen kön­nen. Dort mein­te er, wür­de sich bei sei­ner Hin­kunft ein Wie­der­be­geg­nen am zwang­lo­ses­ten ein­lei­ten las­sen. Ich schwieg. Ich sah da kei­ne Brücke und es gab auch kei­ne. Vor al­lem war schon mein Stolz viel zu groß, um an­ders denn als glei­che vor ei­nem Wer­ber ste­hen zu wol­len; ich glaub­te ja auch gar nicht, dass ein Mann mich durch Na­men und Stel­lung zu mehr ma­chen könn­te, als ich mich von Ge­burt aus fühl­te. Und zu dem al­lem noch Ma­mas Ab­scheu vor dem Sol­da­ten­stand. Ich frei­lich dach­te auf die­sem Punkt wie auf so vie­len Punk­ten an­ders: hat­te doch sie selbst, die Sol­da­ten­toch­ter, mir, o Wi­der­sinn! aus ih­rem vä­ter­li­chen Blut ein Wohl­ge­fal­len an mi­li­tä­ri­schen Schau­spie­len, an Waf­fen­übun­gen und Rei­ter­zü­gen und eine wah­re Lust an der Dar­stel­lung krie­ge­ri­scher Aben­teu­er ver­erbt. Mehr Ein­druck mach­te mir ein Wink der welter­fah­re­nen Son­ja: in der Uni­form lie­ge die Be­gren­zung, die das Wort sel­ber aus­sagt. Die Be­gren­zung, das traf! Ge­bun­den­heit an un­ver­wisch­ba­re Prä­gun­gen und nicht zu ent­wur­zeln­de An­schau­un­gen, die den Ein­zel­nen zur Gat­tung ma­chen, war mir im­mer tief un­heim­lich. Wie viel bes­ser der Wild­west und das Rei­ten auf Prä­rie­pfer­den, das ein­mal mei­ne Ju­gend­hoff­nung ge­we­sen war! Es mach­te mich wohl glück­lich, mei­ne alte Sehn­sucht nach le­ben­di­ger ho­her Kul­tur­form und Schön­heit auf dem klas­si­schen Bo­den ge­stillt zu se­hen und mich dar­in wie mit­ge­bo­ren zu be­we­gen, aber es war nur eine Ga­strol­le die ich spiel­te; dau­ernd hät­te ich nicht in ih­ren Bin­dun­gen und Schran­ken le­ben kön­nen. Dem Dich­ter ist das Ge­hen von Sphä­re zu Sphä­re nicht zu per­sön­li­chen Zwe­cken ge­ge­ben: er muss als Bru­der ne­ben dem Kö­nig und dem Bett­ler ste­hen, von kei­ner Da­seins­form sich ver­wir­ren las­sen und in al­len hei­misch sein, er sel­ber aber darf kei­nen Stand ha­ben. Das lag mir im Ge­fühl, be­vor es in mein Be­wusst­sein trat. Meist emp­fand ich mich ja nicht ein­mal als Zeit­ge­nos­sin son­dern als Bür­ge­rin ei­ner Welt, die erst kom­men wür­de, wenn ich nicht mehr war. Aber viel­leicht wa­ren die­se Tage doch die schöns­ten mei­ner Ju­gend, ge­ra­de weil sie so un­wirk­lich wa­ren, und ich sie so ganz nur als Poe­sie ge­noss, de­ren Erin­ne­rung ich vor je­der spä­te­ren Dis­so­nanz be­wah­ren woll­te. Wenn ich ne­ben dem rit­ter­li­chen Mann durch die Säle ging an der spa­lier­bil­den­den Ju­gend vor­über und uns ein Bei­falls­mur­meln durch die Rei­hen folg­te, so freu­te ich mich, weil er es mit­ver­nahm; und wenn die jun­gen Of­fi­zie­re mit lie­be­vol­ler Ver­eh­rung ih­ren früh zu ho­her Stel­lung ge­lang­ten Kom­man­deur nann­ten, so freu­te ich mich wie­der. Ei­nes war es, was mich vor al­lem an der ed­len Er­schei­nung an­zog und was die in­ni­ge Be­zau­be­rung nähr­te: dass in sei­ner Hal­tung nicht eine Spur von Leicht­fer­tig­keit lag und mehr Ehr­furcht vor dem weib­li­chen Ge­schlecht, als ich sie sonst bei ro­ma­ni­schen Män­nern ge­fun­den hat­te. Nur den au­gen­schein­li­chen Sinn, der sich hin­ter sei­nen Wor­ten barg, muss­te ich mir ge­walt­sam fern­hal­ten.

      Noch er­in­ne­re ich mich ei­ner ge­mein­sa­men Meer­fahrt am letz­ten Abend, wo der Lie­bens­wür­di­ge beim Aus­s­tei­gen mei­ne Hand fest­hielt und et­was ab­seits von den an­de­ren schnell und drin­gend aber­mals die Fra­ge stell­te: Wo also se­hen wir uns wie­der?

      Im Pa­ra­dies, ant­wor­te­te ich leicht­hin, in dem an­ge­nom­me­nen Tone blei­bend – ein ver­häng­nis­vol­les Wort, bei dem mir gleich sel­ber nicht wohl war und das mir spä­ter erst recht aufs Herz fiel. – Nein, so lan­ge wer­de er nicht war­ten, – mehr konn­te er nicht mehr sa­gen, weil die Ge­sell­schaft sich ab­schied­neh­mend da­zwi­schen­dräng­te. Nur noch ein stum­mer Hän­de­druck und ein lan­ger Blick, dann gin­gen wir aus­ein­an­der, und am nächs­ten Mor­gen war die Fan­tas­ma­go­rie zer­sto­ben, die Ge­gend leer.

      Der Be­such, den ich weit mehr fürch­te­te als wünsch­te, wur­de nicht zur Wahr­heit. Nur ein­mal, bald nach der Heim­kehr, er­reich­te mich noch ein flüch­ti­ger Be­weis, dass ich nicht ver­ges­sen war. Der Win­ter ging hin und das Früh­jahr brach­te die Nach­richt von sei­nem Tode.

      Es war ein wie­der­keh­ren­der Zug in mei­nem Le­ben, dass in das »Nei­gen von Her­zen zu Her­zen« sich der Tod misch­te. Hat­te ich ihn in frü­her Ju­gend zu zärt­lich an­ge­blickt, als ich ihn so schön und ernst ne­ben mei­nen frühster­ben­den Lieb­lings­hel­den ste­hen sah, dass er nun im­mer in mei­ner Nähe sein woll­te? Aber er such­te nicht mich, er woll­te nur von mir ver­herr­licht sein. Und ich stand je­dem die­ser To­ten mit ei­nem ban­gen Schuld­ge­fühl ge­gen­über, weil ich noch hat­te, was er nicht mehr be­saß, das at­men­de Le­ben. So als ob ich bei der Ge­burt von dem pul­sen­den Le­bens­ele­ment mehr für mich ge­fasst hät­te, als mir zu­kam, und es nun de­nen, die ich lieb­te, die mich lieb­ten, im­mer wie­der dar­an feh­len müs­se.

      An je­nem Mai­tag, als ich über der Trau­er­an­zei­ge Strö­me von Trä­nen wein­te, leg­te Tat­ja­na ihre Wan­ge an die mei­ne und wein­te in­nig mit: Vous ne sa­vez pas - je l’ai aimé aus­si. Das edle Herz hat­te sich von mei­ner Hin­nei­gung mit­rei­ßen las­sen, war aber lie­be­voll wie im­mer in den Hin­ter­grund ge­tre­ten.

      Ein Men­schen­al­ter soll­te ver­ge­hen, bis ich noch ein­mal den Na­men nen­nen hör­te, der in Ri­mi­ni mein Herz be­wegt hat­te. Zu­gleich er­fuhr ich auch von der Wir­rung, die nach

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