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die ster­ben­de Pa­ti­en­tin nicht ganz al­lein in be­zahl­ten Hän­den wis­sen. Frau Wil­kin­son hat­te in gu­ten Ta­gen ver­säumt ihr Te­sta­ment zu ma­chen, sie war auch noch nicht in ei­nem Le­bensal­ter, das die­sen Schritt auf­er­legt; jetzt woll­te sie ihn an­ge­sichts des To­des nach­ho­len. Drei­mal wur­de nach dem eng­li­schen Kon­sul ge­schickt, und je­des Mal wei­ger­te sie sich ängst­lich, wenn er kam, und woll­te den Akt noch ver­schie­ben. Statt des weg­ge­schick­ten Kon­suls trat un­ver­se­hens eine stren­ge schwar­ze Ge­stalt über die Schwel­le. Die Kran­ke er­schrak und sah mich fle­hend an, ich ging dem Ein­tre­ten­den ent­ge­gen und sag­te, dass ich auf Be­fehl des Arz­tes jetzt nie­mand zu ihr las­sen dür­fe, weil sie äu­ßers­te Scho­nung nö­tig habe; so­bald sie geist­li­chen Bei­stand wün­sche, wür­de ich so­gleich nach ihm schi­cken. Er glitt stumm hin­weg, und die Kran­ke dank­te mir durch einen Blick, in dem die aus­ge­stan­de­ne Angst lag. Geist­li­chen Bei­stand ver­lang­te sie kei­nen mehr, aber als sie ihr Ende na­hen fühl­te, quäl­te sie sich um das nicht ge­mach­te Te­sta­ment. Sie ließ sich von mir einen großen Bo­gen Pa­pier und Blei­stift rei­chen und schrieb und schrieb, sah mich fra­gend an und schrieb wei­ter, je­doch nicht einen ein­zi­gen ge­form­ten Buch­sta­ben, nur Stri­che und Ha­ken ohne Sinn. Dazu schrie sie stöh­nend im­mer­zu das­sel­be sinn­lo­se Fie­ber­wort, dass man sie weit­hin hör­te. Ed­gar fand mich ver­zwei­felt, weil ich nicht er­riet, was sie woll­te; doch er ver­si­cher­te, dass sie sel­ber nur noch ei­nem dunklen An­trieb ge­hor­che, aber nicht mehr den­ke. Als der Geist schon ent­wi­chen war, lag noch im­mer ihre Hand mit dem Blei­stift auf dem Pa­pier, eine schö­ne Hand, die Er­win in die­ser er­grei­fen­den Stel­lung in Gips goss. Spä­ter er­fuhr man, was sie ver­mut­lich noch sa­gen woll­te: dass sie ein Ver­spre­chen hät­te ein­lö­sen und durch letzt­wil­li­ge Ver­fü­gung für ein un­ehe­li­ches Kind ih­res Man­nes sor­gen sol­len, das nun durch ihr Ver­säum­nis schutz­los zu­rück­b­lieb. Die Hand, die sich so tra­gisch ver­spä­tet hat, blieb vie­le Jahr­zehn­te lang, bis über den Welt­krieg hin­aus, als An­den­ken auf­be­wahrt. Als ich im Jah­re 1925 von der ita­lie­ni­schen Re­gie­rung mein lan­ge be­schlag­nahm­tes Ei­gen­tum in For­te dei Mar­mi zu­rück­er­hal­ten hat­te, fand ich auch die Hand He­le­ne Wil­kin­sons wie­der und habe sie mit an­de­ren Zeu­gen ei­ner fer­nen Ver­gan­gen­heit un­ter den Pi­ni­en mei­nes Gar­tens be­gra­ben.

      Als der Arzt die er­lo­sche­nen Au­gen zu­ge­drückt hat­te, glitt ich ganz lei­se in die ei­ge­ne Woh­nung hin­über. Ich woll­te Bal­des Zim­mer nicht be­tre­ten, um nicht die Luft des To­des mit­zu­brin­gen, son­dern leg­te mich in dem mei­ni­gen laut­los zur Ruhe. Ich hat­te zum ers­ten Mal ster­ben se­hen und lag wie er­schla­gen. Aber als es auf Mit­ter­nacht ging, wur­de lei­se von drü­ben her ge­weckt: es wa­ren Män­ner ge­kom­men, um die Ent­schla­fe­ne in den mit­ge­brach­ten Sarg zu le­gen; warum das in tiefer Nacht­stun­de ge­sche­hen muss­te, weiß ich nicht. Da­mit Ed­gar nicht ge­stört wür­de, der bei ei­ner an­stren­gen­den Pra­xis au­ßer dem Hau­se und der Pfle­ge des ster­ben­den Bru­ders der Ruhe noch be­dürf­ti­ger war als ich, ging ich sel­ber noch ein­mal hin­über und wohn­te auch noch die­sem trau­ri­gen Ver­fah­ren beim Schein der mat­ten Ker­zen bei. Das Schau­ri­ge des Vor­gangs wur­de durch den An­blick der To­ten ge­mil­dert, de­ren wie­der ge­glät­te­te und selt­sam ver­jüng­te Züge von ei­ner Schön­heit glänz­ten, die sie nie im Le­ben be­ses­sen hat­te.

      Das al­les war so still vor sich ge­gan­gen, dass der kran­ke Bal­de ge­wiss kei­nen Ton ver­nom­men hat. Den­noch frag­te er von die­sem Tage an nie­mals mehr nach sei­ner Lei­dens­ge­nos­sin, wie er sonst täg­lich, wenn ich von drü­ben kam, ge­tan hat­te. Das über­fei­ne Wahr­neh­mungs­ver­mö­gen der Ster­ben­den hat­te ihm al­les durch die Luft zu­ge­tra­gen.

      Am 3. Fe­bru­ar, der auch der drit­te Tag ih­rer Krank­heit war, schloss He­le­ne Wil­kin­son die Au­gen. Bal­de kämpf­te noch wei­ter bis zum sie­ben­ten. In der letz­ten Nacht, als nicht nur die Hoff­nung, son­dern selbst der Wunsch, das ge­lieb­te Le­ben noch wei­ter zu fris­ten, vor dem qual­voll rin­gen­den Her­zen erster­ben muss­te, be­schwich­tig­te der tap­fe­re brü­der­li­che Arzt die un­er­träg­li­che Atem­not mit im­mer stär­ke­ren Schlaf­do­sen, bis sich ge­gen Mor­gen ein un­be­schreib­lich hol­des, aber jen­sei­ti­ges Lä­cheln über dem An­ge­sicht des end­lich ganz ent­schlum­mer­ten Kämp­fers aus­brei­te­te. Es war das glei­che rät­sel­haf­te Lä­cheln wie auf dem be­rühm­ten Gips­guss, der für die To­ten­mas­ke ei­nes un­be­kann­ten, aus der Sei­ne ge­zo­ge­nen schö­nen Mäd­chens gilt. Wir wa­ren zu drei­en die gan­ze Nacht um ihn ge­blie­ben. Die Mut­ter hielt noch sei­ne Hand, ich saß am Ka­min, des­sen Glut ich alle die Stun­den her gleich­mä­ßig un­ter­hal­ten hat­te – das letz­te, was es für ihn zu tun gab.

      Zwei Tage spä­ter senk­ten wir den Lie­ben, ganz mit Blu­men be­deckt, in je­nem stil­len Wall­gar­ten ober­halb San Mi­nia­to ein, dem klei­nen, da­mals noch fast un­be­nutz­ten Fried­hof der Nicht­ka­tho­li­ken, der als ein Rest von Mi­che­lan­ge­los Be­fes­ti­gungs­bau­ten hoch und schön auf die Ar­no­stadt hin­un­ter­schaut. Au­ßer der Fa­mi­lie wa­ren nur Hil­de­brand, der mit brü­der­li­cher Teil­nah­me den schö­nen ent­schla­fe­nen Jüng­ling hat­te in den Sarg bet­ten hel­fen, und Mar­che­se Gu­er­rie­ri, ein an­de­rer Freund des Hau­ses, er­schie­nen. An dem ge­mau­er­ten Grab wur­de der Sarg noch ein­mal ge­öff­net, weil alle im Glanz des son­ni­gen Win­ter­tags das strah­len­de Sie­ger­lä­cheln noch ein letz­tes­mal se­hen woll­ten. Kei­ner, der nicht beim An­blick sei­ner Gips­mas­ke, die ich noch heut be­wah­re, be­ken­nen müss­te noch nie ein To­ten­bild von so er­grei­fen­der Schön­heit ge­se­hen zu ha­ben.

      Hier sei es mir ge­stat­tet, für den Früh­ge­schie­de­nen, der der Ärms­te un­se­res Hau­ses war, aber nach sei­ner An­la­ge hät­te viel­leicht der Reichs­te sein kön­nen, wie er der Lie­bens­wer­tes­te war, ein paar Stro­phen ei­nes spä­te­ren Ge­dich­tes nie­der­zu­le­gen, da­mit nicht sein Grab al­lein von al­len Grä­bern der Fa­mi­lie durch mich un­ge­schmückt blei­be.

       Er war der All­ge­lieb­te. Wie das hei­ligs­te

       Pal­la­di­um des Hau­ses, das der Feind be­droht,

       Um­stan­den schir­mend Mut­ter und Ge­schwis­ter ihn,

       Auf den die Par­ze mit ge­zück­ter Sche­re sah.

       Kind­li­cher Weis­heit war er voll, der Blu­men und

       Der Vö­gel Freund, zu kei­nem ir­di­schen Tun be­stimmt.

       Und doch ein Son­nen­strei­ter. Wie er kämpf­te, litt,

       Aus Lei­dens­näch­ten hell und sieg­haft auf­er­stand,

       Wie kei­ne Trau­er je­mals um sein frü­hes Los,

       Kein Neid ihn je be­schlich auf der Ge­schwis­ter Lenz,

       Ein Wei­ser halb und halb ein Kind und ganz ein Held.

       Vier Jah­re gab die Süd­lands­son­ne lie­bend noch

       Zum Kampf ihm Kraft, zu­letzt in ban­ger Win­ter­nacht

       Trat Je­ner ein, vor dem die Lie­be macht­los wird.

       So leis er kam, wir spür­ten frös­telnd gleich: Er war’s!

       Auch er er­kannt’ ihn, doch mit Trau­er nicht noch Furcht.

       Und wie sein Atem rang, die Brust im Kamp­fe flog,

       Auf sei­nem Mund ver­blüh­te doch das Lä­cheln nicht.

      

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