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Bild­chen in der Ta­sche. Ich er­zähl­te Hil­de­brand das klei­ne Be­geb­nis, da mein­te der Künst­ler, der al­les von der künst­le­ri­schen Sei­te sah, mit Lä­cheln, das gäbe ein wirk­sa­mes no­vel­lis­ti­sches Mo­tiv. –So strah­lend sich das Glück der Gast­freun­de an­sah, ich sel­ber hät­te nicht in sol­chem stän­di­gen Evoë! zu le­ben ver­mocht, noch hät­te ich mir die Nacht­sei­te des Le­bens rau­ben las­sen kön­nen, die mir so schön war wie der ewig­hel­le, lan­ge Hil­de­brand­sche Tag.

      Es ist eine große Pein, mit­ten in blü­hen­der Kraft sich un­nütz zu füh­len. Vor­über­ge­hend ist es wohl den meis­ten in der wei­chen ent­span­nen­den Luft des Sü­dens so ge­gan­gen, die den Ein­la­dun­gen der Zau­be­rin ge­folgt wa­ren, ohne durch eine fes­te Auf­ga­be ge­bun­den zu sein. Ich habe in mei­ner »Stil­len Kö­ni­gin« den Zu­stand je­ner »Lo­to­pha­gen«, wie ich sie nann­te, ge­schil­dert, zu­meist nor­di­sche Künst­ler, die ent­mu­tigt von dem täg­li­chen An­blick ei­ner seit Jahr­hun­der­ten fer­ti­gen, un­über­biet­bar voll­kom­me­nen Kul­tur, ohne den Sporn der ei­ge­nen Zeit- und Hei­mat­ge­nos­sen und gleich­sam un­ter dem Spott der großen schöp­fe­ri­schen To­ten von der Ta­ten­lo­sig­keit wie von ei­nem sau­gen­den Moor all­mäh­lich hin­ab­ge­zo­gen wur­den. Ich konn­te nicht ein­mal die Bil­dungs­mög­lich­kei­ten rich­tig aus­nüt­zen, die mir der neue Bo­den gab. Dem weib­li­chen Ge­schlecht war dort wie in Deutsch­land jede hö­he­re Lehr­an­stalt ver­schlos­sen. Noch tiefer als bei uns, bei­na­he ori­en­ta­lisch tief, stand zu je­ner Zeit in Ita­li­en die Frau, nur dass sie nicht durch wis­sen­schaft­li­che Lehr­sät­ze, son­dern al­lein durch den Brauch her­ab­ge­drückt war, denn un­be­fan­ge­ner als der Deut­sche gab der Ita­lie­ner den geis­ti­gen Aus­nah­men ihr Recht. Das moch­te noch der Nach­glanz je­ner großen Frau­en der Re­naissance be­wir­ken, die wohl dem Ba­cho­fen­schen Ide­al gleich­ge­kom­men wä­ren, hät­te ih­nen nicht männ­li­cher Be­sitz­trieb, männ­li­che Ei­fer­sucht je­den Ver­such zur Selbst­ver­fü­gung mit Dolch und Gift ge­wehrt. Wenn ich mich auch den Lan­des­be­grif­fen nicht un­ter­zu­ord­nen brauch­te, be­schränk­ten doch schon die Le­bens­ein­rich­tun­gen mei­ne Be­we­gungs­frei­heit. Es war un­denk­bar für ein jun­ges Mäd­chen, al­lein ins Thea­ter zu ge­hen und un­be­glei­tet den Heim­weg durch die nacht­dunklen Stra­ßen zu ma­chen, denn die Vor­stel­lun­gen be­gan­nen erst ge­gen zehn Uhr und dau­er­ten tief in die Nach­mit­ter­nacht hin­ein. Ed­gars Jung­ge­sel­len­na­tur hat­te al­les für sich al­lein, auch den Men­schen­kreis mit dem er leb­te und die Aben­de au­ßer dem Haus, er kam für Rit­ter­diens­te nicht in Be­tracht. Je­des Mal einen Wa­gen be­stel­len war zu kost­spie­lig, also muss­te ich se­hen mich mit Be­kann­ten zu ver­ab­re­den, die den glei­chen Heim­weg hat­ten, wozu sich nicht leicht Ge­le­gen­heit er­gab. Frei­lich wenn dann ein Tom­ma­so Sal­vi­ni auf den Bret­tern stand, so war auch et­was zu er­le­ben, was mit so be­zwin­gen­der Macht in der gan­zen Welt nicht wie­der vor­kam. Die großen Au­gen­bli­cke der ita­lie­ni­schen Schau­spiel­kunst, de­nen ich an­woh­nen durf­te, blü­hen un­ver­welklich in mei­ner See­le wei­ter.

      Hät­te nur die Licht­heit mei­nes Äu­ße­ren nicht so auf­fal­lend ge­wirkt, das die Gaf­fer auf Stra­ßen­wei­te an­zog. Ich konn­te nicht un­ge­stört eine Kir­chen- oder Palast­fassa­de be­trach­ten, weil ich gleich von ei­nem Schwarm von Mü­ßig­gän­gern um­ringt war, der mich an­starr­te wie eine Er­schei­nung und mit mir zog, zu­wei­len bis vor mein Haus. Das hin­der­te mich so­gar, die Stadt gründ­lich ken­nen­zu­ler­nen. Oft flüch­te­te ich in einen La­den und stand dort lan­ge wäh­lend her­um, bis ir­gend­ei­ne un­lieb­sa­me Beglei­tung sich ver­zo­gen hat­te. Es ka­men Au­gen­bli­cke, wo ich mir wünsch­te, end­lich alt zu sein, weil mir mei­ne Ju­gend ja doch kein Glück brach­te, und mich we­nigs­tens da­für frei be­we­gen zu kön­nen. Ich be­gann am Ende das Licht des Sü­dens zu has­sen, die­ses un­er­bitt­lich strah­len­de, das nach Men­schen­ge­schick nicht fragt und mir so­gar das Leid aus der See­le nahm, den leer­ge­wor­de­nen Raum ganz mit Hel­lig­keit fül­lend.

      Auf die­se Wei­se war ich all­mäh­lich da­hin ge­kom­men, mei­ne über­stürz­te Aus­wan­de­rung als einen ver­fehl­ten Schritt zu be­trach­ten, den ich so­bald wie mög­lich rück­gän­gig zu ma­chen hät­te, woll­te ich nicht ret­tungs­los auf der Sand­bank hän­gen blei­ben. Es war ge­ra­de ein Au­gen­blick, wo ich mich ohne Vor­wurf von dem Mut­ter­her­zen los­rei­ßen konn­te, denn sie hat­te sich selbst wie­der­ge­fun­den, bes­ser ge­sagt: sie hat­te sich nie ver­lo­ren; auf die große Fas­sung, die sie beim Tode ih­res Lieb­lings ge­zeigt, war kein Rück­schlag er­folgt. Au­ßer Jo­se­phi­nens Pfle­ge und der Sor­ge für Ed­gars Be­quem­lich­keit hat­te sie auch noch ein Kind zu be­treu­en, was ihr im­mer am wohls­ten tat, einen klei­nen ve­ne­tia­ni­schen Jun­gen, Al­freds Stief­sohn, den die­ser ihr ge­bracht hat­te, da­mit er zu Haus nicht ganz ver­wil­de­re, weil er selbst kei­ne Zeit hat­te, sich ihm zu wid­men, und sei­ne Mut­ter, eine Ve­ne­tia­ne­rin, sich kei­ne Zeit dazu nahm. Es lag auf der Hand, dass ich nicht ohne wei­te­res in die al­ten Ver­hält­nis­se nach Mün­chen zu­rück­keh­ren konn­te, weil ich ja die al­ten Ver­hält­nis­se nicht mehr ge­fun­den hät­te. Mei­ne Schü­ler hat­ten na­tür­lich nicht auf mich ge­war­tet, die Lage war ver­scho­ben, und ein zwei­tes­mal den Sprung ins Un­ge­wis­se wa­gen, kam nicht in Fra­ge. Den­noch war die Rück­kehr nach Mün­chen, wo mir ja Freun­de leb­ten, der ein­zi­ge Schritt, von dem ich hoff­te, dass er mich ins Glei­se bräch­te; schon ein ein­sa­mes Zim­mer und ein fes­ter Stun­den­plan, den nie­mand stö­ren durf­te, er­schi­en mir als die hal­be Ret­tung. Ich über­wand mich, schrieb an Hey­se, setz­te ihm die Lage aus­ein­an­der und bat ihn, wenn er ir­gend ein­schlä­gi­ge Be­zie­hun­gen hät­te, mir einen fes­ten Pos­ten zu ver­schaf­fen. Die Ant­wort kam schnel­ler als ich er­war­te­te; hoch­auf schlug mein Herz: er hat­te einen Pos­ten! Aber wäh­rend ich las, wur­de mir en­ger und bän­ger. Nicht von ei­ner An­stel­lung bei ei­nem Ver­lag oder ei­ner Zeit­schrift, ähn­lich der, die mei­ne Gön­ne­rin, Frau Ro­sa­lie Braun-Ar­ta­ria, bei der »Gar­ten­lau­be« ein­nahm, wo­bei ich mei­ne be­son­de­ren Fä­hig­kei­ten hät­te zur Gel­tung brin­gen kön­nen – denn das war es, was mir vor­schweb­te –, war die Rede, son­dern von ei­nem kauf­män­ni­schen Büro, wo ich die fremd­spra­chi­gen Ge­schäfts­brie­fe zu schrei­ben und na­tür­lich auch mit dem Rech­nungs­we­sen mich zu be­fas­sen hät­te. Aus­ge­sucht die Stel­le, für die ich am al­ler­we­nigs­ten taug­te. Denn die frem­den Spra­chen wa­ren mir zwar durch eine na­tür­li­che An­zie­hungs­kraft von sel­ber zu­ge­flo­gen, mit dem Rech­nen aber war es ein an­de­res Ding, da war ich un­ter Ma­mas Lei­tung bei den An­fän­gen ste­hen­ge­blie­ben, und was sonst noch zum kauf­män­ni­schen Be­trieb ge­hö­ren moch­te, da­von hat­te ich nicht die lei­ses­te Ah­nung. Hey­se, der die­se Sach­la­ge je­den­falls nicht ver­mu­te­te, drang auf An­nah­me des Vor­schlags, weil ich bei gu­ter Be­zah­lung al­ler­dings viel zu tun hät­te, aber doch in den Abend­stun­den im­mer noch Zeit fin­den könn­te, mich mit ei­ge­ner geis­ti­ger Ar­beit zu be­schäf­ti­gen. Es war mir we­nig wohl bei die­ser Ver­si­che­rung, aber ich wag­te nicht nein zu sa­gen. Kurz zu­vor war die­ser Freund mit ei­nem an­de­ren Vor­schlag an mich her­an­ge­tre­ten: ich soll­te einen deut­schen Opern­text ins Ita­lie­ni­sche über­set­zen und hat­te ab­ge­lehnt. Das Dich­ten in frem­der Spra­che an­ders als zu scherz­haf­ten und per­sön­li­chen Ge­le­gen­hei­ten ist mir stets als Ver­grei­fen an frem­dem Hei­li­gem er­schie­nen. Die Dich­ter­spra­che kommt von wei­ter

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