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die es mir schon in der Kind­heit an­ge­tan hat­ten. Ich sah die Frau sei­ner Lie­be, die schö­ne Si­mo­net­ta, im of­fe­nen Sarg zu Gra­be tra­gen und be­rausch­te mich an dem Wohl­klang der la­tei­ni­schen Ver­se, die der Po­li­zia­no auf ih­ren Tod ge­dich­tet hat. Das führ­te mich wie­der auf die la­tei­ni­sche Spra­che hin, die mir seit dem Weg­zug mei­nes Freun­des Mohl aus Tü­bin­gen, weil ich sie nicht übte, schon fast ent­glit­ten war. So zo­gen die flo­ren­ti­ni­schen Stu­di­en im­mer wei­te­re Krei­se und nah­men mehr und mehr von mir Be­sitz. Und weil das Pflas­ter, wor­auf ich trat, noch das­sel­be war, über das jene Men­schen einst wan­del­ten, und die Stadt ihr Ge­sicht noch nicht all­zu­sehr ver­än­dert hat­te, brauch­te man nur die in­ne­ren Au­gen zu öff­nen, um sie noch in ih­rem al­ten Rah­men zu se­hen. Die­se Längst­ver­stor­be­nen wur­den für mich le­ben­di­ger als das meis­te, was sich um mich her be­weg­te: sie hat­ten mit mir die eine große Lie­be ge­mein, die ich in sol­cher Stär­ke nie bei Mit­le­ben­den ge­fun­den hat­te: die Lie­be zu Hel­las, dem sie die Au­fer­ste­hung be­rei­te­ten. Hel­las war das Kenn­wort, an dem wir uns au­gen­blicks zu­sam­men­fan­den, die Le­ben­de mit den To­ten die nicht ster­ben. Die Op­fer an Gut und Le­ben, die nach dem Stur­ze von Kon­stan­ti­no­pel von den Ita­li­e­nern für die Ret­tung und Er­hal­tung der Schät­ze des grie­chi­schen Geis­tes ge­bracht wur­den, ga­ben ih­nen wohl das Recht, sich für die Er­ben die­ses Geis­tes zu er­klä­ren, wenn sie auch nicht die ein­zi­gen wa­ren.

      Frei­lich steck­te auch die­se strah­len­de Welt, die mich be­rausch­te, voll von mensch­li­chen Übeln, von Ge­walt­tat und Ver­bre­chen, es wa­ren die Kehr­sei­ten der großen Ta­ten in Kunst und Wis­sen­schaft; frei­lich muss­te auch hier der Ge­ni­us an die Tür der Gro­ßen klop­fen um sein Brot, aber der Ge­ni­us war naiv und schäm­te sich nicht und zwei­fel­te nicht an der Wel­t­ord­nung, die sol­ches woll­te, und die Gro­ßen wuss­ten, was sie an ihm be­sa­ßen, wenn sie nicht gar wie Lo­ren­zo sel­ber oder Pico von Mi­ran­do­la zu den Ge­ni­en ge­hör­ten. Das Schö­ne lag in der wun­der­ba­ren Ein­heit, in dem Ge­mein­sinn, der die Züge die­ser ein­zi­gen Stadt ge­prägt hat­te, dass sie sich wie Fa­mi­li­en­zü­ge in je­dem größ­ten und kleins­ten ih­rer Ge­bil­de wie­der­fan­den.

      Ich bin mit die­sem Be­richt mei­nen Er­geb­nis­sen zeit­lich vor­aus­ge­eilt, denn es war eine lan­ge Stre­cke, die ich da ohne Wink und Füh­rung zu­rück­zu­le­gen hat­te. Al­lein der Bo­den war ge­eb­net, die Form, die ich dem Stoff ge­ben woll­te, lag in mei­nem In­ne­ren, und im un­be­grenz­ten Glau­ben der Ju­gend an sich selbst blieb ich un­be­irrt von je­dem Zwei­fel am Ge­lin­gen.

      Mei­ne gute Mut­ter ju­bel­te, weil sie mei­ner nun wie­der für ge­rau­me Zeit si­cher war, die Weit­läu­fig­keit der An­stal­ten be­wies ja, dass es um eine Ar­beit von lan­ger Hand ging. Ich glau­be, dass ich in je­nen Ta­gen so et­was wie ein glück­li­cher Mensch ge­we­sen bin. Werk und Le­ben la­gen in mei­ner ei­ge­nen Hand. Ich sah mein Buch mit den Zeich­nun­gen Alt­ho­fens ge­schmückt, un­ser Buch, schon fer­tig als ein Ge­schenk an das deut­sche Volk, ein will­kom­me­nes, not­wen­di­ges, wie ich hoff­te, weil es ei­nem ho­hen Kul­tur­zweck zu die­nen hat­te und weil es et­was ihm Ähn­li­ches zur Zeit nicht gab. Ich dach­te es mir in den Hän­den al­ler nor­di­schen Rei­sen­den, die fort­an über die Al­pen kom­men und aus die­sem Werk den Ein­blick in das un­sicht­ba­re Flo­renz schöp­fen wür­den. Und schließ­lich dach­te ich es mir als Brücke, auf der ich doch frü­her oder spä­ter ins Va­ter­land zu­rück­keh­ren wür­de, nicht in ge­drück­ter, un­ter­ge­ord­ne­ter Stel­lung son­dern als eine, die et­was ge­leis­tet hat und sich se­hen las­sen konn­te. Ich war da­mals ge­wiss die al­ler­zu­kunfts­reichs­te Eier­frau land­auf land­ab; kein Ge­dan­ke, dass das Schick­sal kom­men und mir mei­ne Eier zer­tre­ten könn­te, be­schlich mei­ne See­le. Die Freu­de, die in mir tanz­te, floss auf den Stif­ter zu­rück, der sich den »treu­en Eckart« nann­te – nicht mit Un­recht, denn er hat­te ge­ra­de im letz­ten Au­gen­blick mei­ne Rä­der aus der falschen Spur zu­rück­ge­dreht und in die rich­ti­ge ge­lenkt. Mein Dank war eben­so groß wie ver­dient: ohne die­se Be­geg­nung hät­te ich wohl die herr­li­che Stadt, die jetzt mehr als je die mei­ne wer­den soll­te, ver­las­sen, ohne sie nur recht ge­kannt zu ha­ben, und an der Stel­le, wo­hin ich nicht ge­hör­te, wäre ich un­er­freu­li­chen Er­fah­run­gen ent­ge­gen­ge­gan­gen. Er moch­te sel­ber er­staunt sein über die Fol­gen sei­nes ra­schen Ein­falls, des­sen Trag­wei­te er nicht hat­te vor­aus­se­hen kön­nen, weil ihm jene ver­sun­ke­ne Welt so neu war, wie sie mir noch vor kur­z­em ge­we­sen. In den Stra­ßen der In­nen­stadt wur­den nun­mehr alle Plät­ze und Win­kel ab­ge­sucht, an de­nen ir­gend­ein wich­ti­ges Ge­scheh­nis hing, wo­von ein bild­li­ches Erin­ne­rungs­zei­chen in ab­ge­kürz­ter Form dem Text ein­ge­fügt wer­den soll­te. In Ga­le­ri­en und Kir­chen ging man den Bild­nis­sen je­ner Gro­ßen nach, die Mu­seen be­wahr­ten Mün­zen, die auf die­ses oder je­nes denk­wür­di­ge Er­eig­nis ge­schla­gen wor­den wa­ren; über­all die Zeu­gen ei­ner un­er­hör­ten Ver­gan­gen­heit, zahl­reich wie die Ster­ne am Him­mel! Das war so an­re­gend, dass auch der schwarz­se­he­ri­sche Teil­ha­ber von mei­ner Be­geis­te­rung mit­be­rührt wur­de und abließ mit Ge­s­pens­tern her­um­zu­fech­ten. Man konn­te für ihn hof­fen, dass er die le­bens­wid­ri­ge Welt­ver­nei­nung noch wie einen auf­ge­le­se­nen un­nüt­zen Bal­last von sich tun wer­de.

      Es war ein un­ge­wöhn­lich schö­ner Herbst, solch ein Herbst des Sü­dens, der ganz ohne Weh­mut ist, weil er kein Ster­ben an­sagt, son­dern ein Wie­der­auf­grü­nen und Auf­leuch­ten der Na­tur nach dem furcht­bar seh­ren­den Son­nen­brand. Herr­lich all die Fül­le auf den Fel­dern und in den Vig­nen nach dem ers­ten Re­gen, und der freu­di­ge Fleiß der Men­schen. In mir sprang ein neu­er Lie­der­quell hoch, leich­te tän­deln­de Ver­se, von Mö­ri­ke be­ein­flusst, aber mit ei­ge­nen, aus dem Le­ben ge­hol­ten Mo­ti­ven und ei­ge­ner Bil­der­spra­che. Spä­te­re Kri­tik hielt die­se Ro­ko­ko­ly­rik für mein ers­tes Ge­sicht, es war viel­mehr die Ab­sa­ge an den hoch­ge­stelz­ten Cha­rak­ter mei­ner wirk­li­chen An­fän­ge, die mir in je­ner zwei­ten Pha­se höch­lich zu­wi­der wa­ren, die ich mir aber heu­te eher nach­se­hen kann, weil sie kein wich­tig­tue­ri­sches Wüh­len in ein­ge­bil­de­ten Schmer­zen wa­ren, son­dern der Not­aus­gang für viel stum­mes, fest­ge­press­tes Herzweh mei­ner ers­ten Ju­gend. Auf die­se zwei­te Pha­se wirk­te nun die Berüh­rung mit dem Hil­de­brand­schen Geis­te, dem ein­zi­gen Le­ben­den, von dem ich mir be­wusst bin, eine un­mit­tel­ba­re geis­ti­ge Ein­wir­kung er­fah­ren zu ha­ben, auch dem ein­zi­gen, mit dem ich künst­le­ri­sche Er­fah­run­gen tau­schen konn­te, ob­gleich oder weil sei­ne ganz naiv-idyl­li­sche Rich­tung das ge­ra­de Ge­gen­teil mei­ner ei­ge­nen war. Nicht nur, dass er al­les He­ro­i­sche ab­lehn­te und was sich etwa mit Schil­lers Be­griff des »Sen­ti­men­ta­li­schen« deck­te; auch mit der ge­wal­ti­gen Zen­tri­fu­gal­kraft Höl­der­lins hät­te er nichts an­zu­fan­gen ge­wusst, wenn ich etwa ver­sucht ge­we­sen wäre sie ihm na­he­zu­brin­gen, wo­vor mich schon mei­ne Scheu vor dem ver­geb­li­chen Nen­nen ge­weih­ter Na­men be­wahr­te. Mö­ri­ke war un­ter den deut­schen Dich­tern sein Lieb­ling, wie er der mei­nes Va­ters ge­we­sen war; in sei­ner Mi­schung von Grie­chen­tum, Ro­ko­ko, länd­lich der­bem oder schalk­haf­tem Schwa­ben­tum mit ei­nem drol­li­gen Schuss Bie­der­meie­rei, die ohne li­te­ra­ri­sches Wärm­haus un­mit­tel­bar aus dem Bo­den der schwä­bi­schen Hei­mat ge­stie­gen kam, sah

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