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die von al­len am un­be­quems­ten ge­bet­tet war. Vi­el­leicht rei­fen auch im Nichtstun oder Zeit­ver­trö­deln Be­ga­bun­gen ge­sün­der als bei zu frü­her und großer Be­trieb­sam­keit, die sich schnell aus­gibt. »Der Herr gibt es den Sei­nen im Schla­fe« heißt ja wohl nichts an­de­res, als dass dem Schla­fen­den Kräf­te zu­strö­men, die er zum Wer­den und Wach­sen braucht. Wenn sie nach Tand und Lar­ven griff, so war’s, dass sie dar­in Sym­bo­le sah, und Sym­bo­le se­hen war ihr ei­gent­li­ches Le­bens­ge­setz. Vor al­lem aber stamm­te sie aus je­nem welt­frem­den Ge­schlecht, von dem Höl­der­lin sagt, ih­nen sei »der Fehl, dass sie nicht wis­sen wo­hin, in die un­er­fah­re­ne See­le ge­ge­ben«.

      So darf ich denn von ihr sa­gen, dass sie ähn­lich wie an­de­re Nichts­tu­er und un­nüt­ze Bro­tes­ser, wie etwa der Grü­ne Hein­rich, der auch kei­ne li­nea­re Rich­tung im Blut hat­te, zwar auf ih­rer Fahrt ins Un­er­reich­li­che man­chen Um­weg ge­macht und oft sich um­ge­schaut hat, aber doch im­mer ohne Er­mat­ten wei­ter­ge­gan­gen ist. Und auch das darf ich für sie in An­spruch neh­men, dass so oft das Le­ben sie mit ei­ner kla­ren For­de­rung auf­rief, die Ver­träum­te auf die Füße sprang und sich mel­de­te, auch nie­mals frag­te, ob der Auf­trag ein leich­ter oder ein schwe­rer war. Mir scheint, nur wer auf li­nea­rem Weg nach Er­reich­li­chem wan­dert, kön­ne sich das Recht neh­men, sie zu schel­ten, aber er hat, wenn er an­ge­kom­men ist, auch schon das Sei­ni­ge da­hin.

      Wenn ich Nichts­tu­er und un­nüt­ze Bro­tes­ser sag­te, muss auch die­ses Wort rich­tig ver­stan­den sein: das Brot, das ich aß, war mein ei­ge­nes, selbs­t­er­wor­be­nes. Aber soll­te das ein Le­ben aus­fül­len: Ro­ma­ne sich­ten, Ro­ma­ne über­set­zen oder über­setz­te nach­prü­fen von der Art, wie sie eben­so gut nicht sein konn­ten und in der Tat schon nach we­ni­gen Jahr­zehn­ten nicht mehr wa­ren? Da ging es ja nicht um die hohe Über­set­zungs­kunst, wie mein Va­ter sie aus­üb­te, die ih­ren Lohn in sich sel­ber trug, als er Gott­frieds zau­ber­haf­te Dich­ter­spra­che nach­bil­de­te und mit Ari­ost »Feen­brot aß«: nach sol­chen Wer­ken und sol­chen Leis­tun­gen herrsch­te im letz­ten Vier­tel des vo­ri­gen Jahr­hun­derts kei­ne Nach­fra­ge mehr. Es war ganz pro­sa­i­sches Le­se­fut­ter, was vom Buch­han­del ge­for­dert wur­de, und et­was so Köst­li­ches, wie mei­nen Nie­vo, der be­zeich­nen­der­wei­se dem da­ma­li­gen Ita­li­en ganz un­be­kannt war und erst jetzt in sei­nem Va­ter­land zu Ehren ge­kom­men ist, fand ich in der gan­zen ita­lie­ni­schen Li­te­ra­tur je­ner Tage nicht wie­der. Die er­zäh­len­den Wer­ke, die mir durch die Hän­de gin­gen, be­weg­ten sich im Schlepp­tau der Fran­zo­sen, wenn auch der rohe Zo­la­sche Na­tu­ra­lis­mus in den fei­ne­ren Ve­ris­mus Ver­gas ver­edelt war. Es darf bei die­ser Ge­le­gen­heit den da­ma­li­gen Ita­li­e­nern nach­ge­rühmt wer­den, dass sie die Mode des Schmut­zi­gen nicht mit­mach­ten und bei der Dar­stel­lung ge­schlecht­li­cher Din­ge die Gren­ze des Er­träg­li­chen nicht ver­letz­ten, denn das künst­le­ri­sche Maß­hal­ten war noch im­mer ihr ed­les Grie­che­ner­be.

      Ich wuss­te also nicht, was ich woll­te oder soll­te. Auf die Ly­rik, in der ich noch nach der ei­ge­nen Aus­drucks­form tas­te­te, wenn auch schon dann und wann ein Stück ge­lang, das seit­dem ge­blie­ben ist, ließ sich kein Le­bens­schick­sal bau­en. No­vel­lis­ti­sche Ver­su­che, die ich da und dort dru­cken ließ, blie­ben mir sel­ber fremd und äu­ßer­lich, denn ich wag­te mei­ne See­le nicht hin­ein­zu­gie­ßen, weil die­se See­le noch zu scheu und teils auch zu un­reif war. Ich fühl­te ja selbst, dass ich die Wei­hen noch nicht hat­te. Jun­ge Men­schen brauch­ten da­mals län­ger zur Ent­wick­lung, sie wuch­sen un­be­wus­s­ter und le­bens­fer­ner auf als die heu­ti­gen, von früh an auf Zwe­cke ein­ge­stell­ten; da­für blieb ih­nen aber auch die in­ne­re Kind­heit er­hal­ten. – Bei mir kam noch ein be­son­de­res Hemm­nis hin­zu: ich hat­te als Kind, das ohne Schu­le auf­wuchs, mit grau­sen­der Ehr­furcht die Schulauf­sät­ze mei­ner Brü­der be­staunt, in de­nen all die rei­fe Le­bens­weis­heit der Leh­rer nie­der­ge­schla­gen war, in alt­klu­gen Wor­ten, wie sie ein Kind gar nicht fin­det, denn es war Vor­schrift, sich nicht von dem an­ge­ge­be­nen Wege zu ent­fer­nen –, wenn sich der fan­ta­sie­vol­le Ed­gar einen Sei­ten­sprung er­laub­te, rief ihn der Rot­stift zur Ord­nung. Ich be­wun­der­te also die­se Un­na­tur aus auf­rich­ti­gem Ge­müt, hielt sie für das Rech­te, Gott­ge­bo­te­ne, fühl­te aber, dass ich der­glei­chen nie­mals wür­de ma­chen kön­nen, und das ver­schlug mir für lan­ge hin­aus je­den Ver­such zum Schrei­ben. Es ging mir da­mit wie mit der Vor­trags­kunst ei­ner Al­ters­ge­nos­sin, die je­des Mal, wenn ihre El­tern Ge­sell­schaft hat­ten, auf ein Po­di­um stieg, das klei­ne We­sen, und mit furcht­bar falschem Pa­thos »Was willst du, Fer­n­an­do, so trüb und so bleich« de­kla­mier­te. Aus dem Bei­fall der Gro­ßen schloss ich, dass es so ge­macht wer­den müs­se, nahm mir aber vor, sel­ber nie­mals den Fuß auf die­ses Glatteis zu set­zen, da­her es ganz un­mög­lich war, mich je­mals zum Auf­sa­gen ei­nes Ge­dich­tes zu be­we­gen. So war ich denn auch bis zum zwan­zigs­ten Jahr nicht dazu ge­kom­men, mich in Pro­sa zu ver­su­chen; die in Tü­bin­gen be­gon­ne­nen Mär­chen wa­ren mein ers­ter Sprung da hin­ein; sie wur­den je­doch nicht am Schreib­tisch ver­fasst, son­dern großen­teils an Bal­des Bett­rand sit­zend münd­lich, um dem Lei­den­den die Zeit zu ver­trei­ben, und erst her­nach auf sei­nen Wunsch nie­der­ge­schrie­ben. Ich mach­te die klei­ne Samm­lung in Flo­renz mit Lie­be fer­tig und be­schloss sie mit dem »Leucht­kä­fer, der kein Mensch wer­den woll­te«, ei­ner Er­fin­dung, in der ein stil­les und zar­tes Her­zens­leid, nur mir ver­nehm­lich, lei­se nach­zit­ter­te. Auf den Rat ei­ner Be­kann­ten, die gute Be­zie­hun­gen zu Eng­land hat­te, über­setz­te ich das klei­ne Ding, das mir in ei­ge­ner Wei­se am Her­zen lag, ins Eng­li­sche, um es in ei­nem hie­für ge­eig­ne­ten eng­li­schen Blat­te dru­cken zu las­sen. Be­vor ich es aus den Hän­den gab, leg­te ich es ei­nem Freun­de, dem fei­noh­ri­gen eng­li­schen Dich­ter Charles Grant, zur sprach­li­chen Be­gut­ach­tung und al­len­fall­si­gen Be­rich­ti­gun­gen vor. Der Spruch, den ich da emp­fing, war mir eben­so über­ra­schend wie lehr­reich. Zu be­rich­ti­gen gebe es nichts, die Wort­wahl sei un­an­fecht­bar, der Satz­bau rich­tig, nur sei kein ein­zi­ger Satz eng­lisch. Be­tre­ten frag­te ich, ob er mir denn nicht hel­fen kön­ne, ein rich­ti­ges Eng­lisch dar­aus zu ma­chen? Nein, war der Be­scheid, denn in eng­lisch ge­fühl­tem Eng­lisch wäre es kein »Leucht­kä­fer« mehr. Der Geist der bei­den Spra­chen sei so grund­ver­schie­den, dass das Eng­li­sche für ein sol­ches Schwe­ben zwi­schen Lä­cheln und Weh­mut, ein solch un­aus­ge­spro­che­nes Rüh­ren an letz­te Din­ge mit­ten in kind­li­cher Mär­chenun­schuld gar kei­ne Töne habe und dass ge­wiss ein fei­ner und ge­bil­de­ter Eng­län­der die klei­ne Le­gen­de lie­ber in mei­nem zwar fremd­ar­tig aber nicht un­an­ge­nehm klin­gen­den Eng­lisch le­sen wer­de als in ei­nem rich­ti­gen, aus dem der gan­ze Mär­chen­reiz weg­ge­bla­sen wäre. Ich be­folg­te den Rat und be­kam ein un­er­war­tet gu­tes Ho­no­rar, aber nie den Druck zu Ge­sicht, was ge­le­gent­lich die Ver­mu­tung na­he­leg­te, dass das Mär­chen un­ter an­de­rem Na­men ge­druckt wor­den sei. Die be­deut­sa­me Fra­ge von der Über­setz­bar­keit dich­te­ri­scher Er­zeug­nis­se wur­de mehr­fach mit dem eng­li­schen Freund er­ör­tert, wo­bei es mir sehr ein­leuch­tend war, zu hö­ren, dass zwar der deut­sche Über­set­zer mit­telst sei­ner zu un­end­li­cher Dehn­bar­keit und Ge­schmei­dig­keit er­zo­ge­nen Spra­che jede eng­li­sche Ge­dan­ken­fär­bung un­ver­fälscht aus­drücken kön­ne, nicht aber um­ge­kehrt der Eng­län­der den deut­schen Ge­dan­ken, wenn er in der Tie­fe des Volks­ge­müts

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