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deckt!

       Und un­ter Blu­men senk­ten wir ihn dro­ben ein,

       Wo von dem Wall, den Mi­che­lan­ge­lo ge­baut,

       Ein stil­ler Gar­ten nie­der­blickt aufs Ar­no­tal,

       Ein welt­ver­ge­ss’­nes Plätz­chen, recht für den ge­macht,

       Der wie ein flüch­ti­ger Gast aus an­dern Wel­ten kam. – – –

      *

      Die Tage, die auf die­sen Aus­zug folg­ten, sind mir in ei­ner dunklen und dump­fen Erin­ne­rung. In der Frü­he nach der Ster­be­nacht war Al­fred aus Ve­ne­dig an­ge­kom­men, ver­zwei­felt, den klei­nen Bru­der nicht mehr zu fin­den, den er wie einen ei­ge­nen Sohn ge­liebt hat­te. Nun warf sich sei­ne wil­de Angst auf die Mut­ter, wie sie es tra­gen wür­de. Ich war im glei­chen Fall wie er, denn all­zu­oft hat­ten wir sie sa­gen hö­ren, dass sie Bal­des Tod nicht wür­de über­le­ben kön­nen. Wie sehr irr­te sie sich und wir mit ihr! Als der Fall ein­trat, hat­te sie nicht einen Au­gen­blick der Schwä­che. Ihre un­ver­wüst­li­che Le­bens­kraft trieb sie gleich zu neu­en Ta­ten der Treue. Wie un­se­re sieb­zig­jäh­ri­ge Jo­se­phi­ne, die an den Fol­gen ei­nes leich­ten Schlag­an­falls dar­nie­der­lag, sich heim­lich er­hob, um den ge­lieb­ten Jüngs­ten noch ein­mal zu se­hen, aber vor sei­nem Sarg an ei­nem zwei­ten An­fall zu­sam­men­brach, wie mei­ne Mut­ter da­durch aus ih­rem Schmerz ge­ris­sen wur­de und sich jetzt mit Selbst­ver­ständ­lich­keit der Pfle­ge ih­rer ei­ge­nen frü­he­ren Pfle­ge­rin wid­me­te, habe ich in ih­rer Le­bens­ge­schich­te er­zählt. »Hel­den­haft« pflegt man ein sol­ches Ver­hal­ten zu nen­nen oder »op­fer­se­lig« – es gibt so we­nig Be­zeich­nun­gen für eine au­ßer­ge­wöhn­li­che Na­tur. Die­se bei­den pass­ten nicht: sie wuss­te so we­nig von Hel­den­tum wie von Op­fer, ihr Tun war ihr na­tür­lich wie der Ge­brauch ih­rer Glied­ma­ßen. Man muss­te sie ganz ge­wäh­ren las­sen, es war gut für sie. Der ein­zi­ge, der sie an die­ser neu­en Dar­brin­gung hin­dern woll­te, war Al­fred, der mit der glei­chen Lei­den­schaft wie ich, nur ohne alle Über­le­gung, an der Mut­ter hing. Sie zu ver­lie­ren war auch ihm der furcht­bars­te al­ler Ge­dan­ken; noch in sei­nen rei­fen Man­nes­jah­ren äu­ßer­te er wie­der­holt, dass er es eher er­tra­gen könn­te, ei­nes sei­ner Kin­der ster­ben zu se­hen als die Mut­ter. Auch in der Den­kart war er am ab­hän­gigs­ten von ihr; mit wah­rem Stau­nen fand ich ein­mal spät nach bei­der Hin­gang einen Brief von ihm an sie, wo er schrieb, dass der Frem­den­man­gel in Ve­ne­dig zu ei­ner be­denk­li­chen Flau­te in sei­ner Pra­xis und so­mit auch in sei­nen Ein­nah­men ge­führt habe (ein Zu­stand, der bei dem schlech­ten Wirt­schaf­ter kein sel­te­ner war), dass ihm aber jetzt die Be­hand­lung ei­ner Fürst­lich­keit in Aus­sicht ste­he. Und der Sohn bit­tet die Mut­ter um die grund­sätz­li­che Wei­sung, wie er sich in sol­chem Fal­le zu ver­hal­ten habe, in­dem er ganz kind­lich hin­zu­fügt, die Sa­che wäre ja sehr nütz­lich, »wenn Du es aber nicht willst, so tue ich es nicht«. Von ei­nem zah­men Mut­ter­söhn­chen brauch­te das nicht wun­der­zu­neh­men, aber bei dem tol­len Pa­tron, der Al­fred zeit­le­bens war – das nach­wach­sen­de Ge­schlecht nann­te ihn nicht an­ders als den Zio mat­to –, hat­te sol­che aus in­ners­tem Her­zen­strieb ge­bo­re­ne Un­ter­wer­fung un­ter die Maß­geb­lich­keit des müt­ter­li­chen Wil­lens et­was bei­na­he Prä­his­to­ri­sches, wie ein Nach­klang aus je­nen Zei­ten des Mut­ter­rechts. Er such­te da­mit un­be­wusst gutz­u­ma­chen, was er in sei­ner wil­den Kna­ben­zeit an ih­rer See­len­ru­he ge­sün­digt hat­te, aber manch­mal mach­te es ge­ra­de­zu den Ein­druck, als ob zwi­schen die­sem Sohn und der Mut­ter die Na­bel­schnur noch gar nicht zer­schnit­ten sei. Die Für­sor­ge, mit der er sie zu um­ge­ben such­te, war eben­so rüh­rend wie be­drän­gend, weil nicht auf ihr Tem­pe­ra­ment be­rech­net, denn Mama ge­hör­te zu den Men­schen, die sich durch­aus nicht päp­peln las­sen, so­lan­ge sie sich sel­ber re­gen kön­nen. Die Kis­sen, die er ihr in den Rücken stopf­te, die Schals, die er um ihre Schul­tern leg­te, flo­gen nur so in die Luft; ein Sche­mel, un­ter die Füße ge­scho­ben, konn­te sie wild ma­chen. Dass er ihr in je­nen trau­ri­gen Ta­gen durch­aus mehr Nah­rung auf­nö­ti­gen woll­te, als sie ge­wohnt war und hät­te er­tra­gen kön­nen, führ­te zu ei­nem be­stän­di­gen Kampf zwi­schen ihm und mir. Der Arzt, der so lie­be­voll ver­stän­dig mit sei­nen frem­den Pa­ti­en­ten um­ging und ge­ra­de die klei­nen Din­ge so gut ver­stand, dass er am Kran­ken­bet­te fast noch wohl­tu­en­der er­schi­en als sein ge­nia­ler, stets aufs Gan­ze ge­hen­der Bru­der, ver­lor, wenn es sich um die heiß­ge­lieb­te Mut­ter han­del­te, alle Ein­sicht. Er ging in die Kü­che und kö­chel­te selbst mit vie­lem Auf­wand von Ei­ern, die sie nicht lei­den konn­te, und Wein, wor­an sie nicht ge­wöhnt war; ich muss­te ver­spre­chen ihr das al­les bei­zu­brin­gen und goss es na­tür­lich in der Stil­le weg. Es war ja eben ihre fru­ga­le, ja ge­ra­de­zu as­ke­ti­sche Le­bens­wei­se, die ihr bis ins fünf­un­dacht­zigs­te Jahr hin­ein über alle Lei­den des Kör­pers und der See­le hin­weg ihre wun­der­ba­re Spann­kraft er­hal­ten soll­te. Durch län­ge­re Zeit glaub­ten wir alle, die große Fas­sung die sie zeig­te sei trüg­lich, und fürch­te­ten einen plötz­li­chen Nie­der­bruch. Al­fred ge­trau­te sich gar nicht in sein Ve­ne­dig zu­rück und hielt mit sei­nem auf­ge­reg­ten und auf­re­gen­den Ei­fer das gan­ze Haus in Atem. Ich hat­te Mama von dem To­ten weg in mein Zim­mer ge­holt, Al­fred dräng­te mich hin­aus und setz­te sich in den Kopf, sel­ber bei ihr wa­chen zu wol­len, wozu er nicht im­stan­de war, weil der Wil­le bei ihm nicht Herr wur­de über die Er­schöp­fung. Er sank denn auch gleich auf mei­nem Bett in schwe­ren Schlaf. Kei­ne Mög­lich­keit ihn zu we­cken und aus dem Zim­mer zu ent­fer­nen, wo sei­ne Ge­gen­wart nur hin­der­lich war. Ich sehe mich sel­ber ste­hen, wie ich, weil kein An­ruf half, ihn in den Ar­men auf­hob und, weil er im­mer wie­der zu­rück­fiel, ihn schließ­lich in der hel­len Verzweif­lung an sei­nen kur­z­en star­ken Haa­ren in die Höhe zog, wor­über er am Ende zu sich kam, auch nicht im ge­rings­ten be­lei­digt war, das treue Herz, son­dern sich gern über­re­den ließ, in sein ei­ge­nes Bett zu ge­hen. An ei­nem der nächs­ten Aben­de er­bot sich Er­win, der wie­der ein­mal vor­über­ge­hend im Haus wohn­te, zur Nacht­wa­che. Aber er hat­te da­von sei­ne ei­ge­ne Vor­stel­lung, denn er brach­te gleich sei­ne Ma­trat­ze mit her­ein, die er auf den Bo­den leg­te und sich dar­auf, um in die De­cke ge­wi­ckelt so­gleich wie sein Bru­der in un­er­weck­li­chen Schlaf zu fal­len, wor­über so­gar die kran­ke Jo­se­phi­ne im Ne­ben­zim­mer lach­te. Ich mach­te bei die­ser Ge­le­gen­heit die oft­mals wie­der­hol­te Er­fah­rung, um wie viel schwe­rer es dem männ­li­chen Ge­schlech­te fällt sich ohne ei­ser­nen Zwang von oben her, wie ihn der Sol­dat ge­wöhnt ist, des Schlafs zu er­weh­ren; schon die Jün­ger am Öl­berg ha­ben das be­wie­sen. Von den Brü­dern hat­te nur Ed­gar so fei­ne und fes­te Ner­ven, um es an Über­win­dung der kör­per­li­chen Be­dürf­nis­se und an un­be­grenz­ter Fä­hig­keit des Wach­blei­bens den Frau­en des Hau­ses gleich­zu­tun. Er hat­te in der trau­ri­gen Zeit uns­re Wa­chen ge­teilt und dazu das Schwers­te, die Verant­wor­tung, ge­tra­gen als star­ke Füh­rer­na­tur, die er bis zu sei­nem Ende blei­ben soll­te.

      1 Eine Ge­stalt aus mei­nem »Ju­gend­land« <<<

      2 Man lacht nicht mehr, wenn man ver­hei­ra­tet ist <<<

      

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