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und na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Wer­ke einen Wel­t­ruf be­saß. Er war ein schö­ner, un­ge­mein an­zie­hen­der Mann, des­sen Ge­spräch durch sein wei­tes Blick­feld fes­sel­te, denn er war in bei­den He­mi­sphä­ren hei­misch, und was er Wis­sen­schaft­li­ches ein­misch­te, kam we­ni­ger aus der Stu­dier­stu­be als aus dem un­mit­tel­ba­ren Le­ben. Ich habe spä­ter sei­ne öf­fent­li­chen Vor­trä­ge an der Uni­ver­si­tät zu Flo­renz ge­hört, wo er eine große und be­geis­ter­te, großen­teils weib­li­che Ge­mein­de hat­te; sei­ne Rede sprüh­te von Geist und Feu­er, er sprach auf er­höh­ter Büh­ne auf und nie­der ge­hend zu sei­nen Hö­rern nicht lehr­haft, son­dern wie ein Haus­herr zu ge­la­de­nen Gäs­ten. Was er vor­trug, war der Dar­wi­nis­mus sei­ner Zeit, man brach­te da­von nichts We­sent­li­ches nach Hau­se. Sein Buch über die Lie­be war in alle Spra­chen über­setzt und von der gan­zen Frau­en­welt – wohl zu­meist nur heim­lich, ob sei­ner da­zu­mal er­schre­cken­den Kühn­heit – ge­le­sen; heu­te nach den über uns hin­ge­gan­ge­nen wis­sen­schaft­li­chen Aus­ar­tun­gen wür­de man, wenn es noch auf­lä­ge, über sei­ne Harm­lo­sig­keit er­stau­nen.

      An je­nen Aben­den in Ri­mi­ni zeich­ne­te er mich vor al­len durch sei­ne Un­ter­hal­tung aus, weil es ihn freu­te, deutsch zu spre­chen. Da ent­fiel ihm ein­mal die Be­mer­kung, dass die un­mit­tel­ba­ren Er­ben der Grie­chen die Ita­lie­ner sei­en, was mich sehr be­trof­fen mach­te, denn ich hat­te stets ge­hört und ge­glaubt, dass die Nach­fol­ge des hel­le­ni­schen Geis­tes bei mei­nem Vol­ke sei, und ich kann­te auch die ge­wal­ti­gen Leis­tun­gen und Op­fer, wel­che die ita­lie­ni­sche Re­naissance für die Wie­der­ge­win­nung des Grie­chen­tums ge­bracht hat­te, noch nicht. Ich trug also einen klei­nen Dorn in der See­le her­um, bis ich ge­nü­gend selbst­stän­di­ge Er­fah­rung ge­wann, um zu er­ken­nen, dass bei­de Tei­le recht ha­ben, weil der grie­chi­sche Geist ein so un­end­lich wei­ter ist, dass kein heu­ti­ges Volk sich rüh­men kann, ihn al­lein zu be­sit­zen, da je­dem Kul­tur­volk ein be­son­de­res Erb­stück da­von zu­ge­fal­len ist.

      An ei­nem Abend im Ka­si­no wur­de ich auf einen wie mir schi­en be­jahr­ten Herrn mit ge­dun­se­nem Kopf und schwe­rer Kör­per­lich­keit auf­merk­sam ge­macht, der nicht weit von uns al­lein an ei­nem Ti­sche saß, von al­len Vor­über­ge­hen­den mit be­son­de­rer Aus­zeich­nung ge­grüßt.

      Es sei Car­duc­ci, raun­te mir mein bo­lo­gne­si­scher Graf zu, ob ich ihn ken­nen­ler­nen wol­le, dann wür­de er mich zu ihm füh­ren.

      Ich sah auf und ver­nein­te, wo jede an­de­re mit Ent­zücken Ja ge­sagt hät­te. Es war die glei­che be­dau­erns­wer­te Tor­heit, die ich vie­le Jah­re spä­ter ge­nau so wie­der be­ging, als Böck­lin mich in Zü­rich frag­te, ob ich Gott­fried Kel­ler ken­nen­zu­ler­nen wün­sche. Bei­de Male war es die Furcht, über der poe­sie­wid­ri­gen mas­si­gen Kör­per­lich­keit den be­schwing­ten Dich­ter­ge­ni­us ent­schwe­ben zu se­hen. Ich konn­te es der Na­tur nicht ver­zei­hen, wenn sie eine hohe Be­ga­bung ge­schaf­fen hat­te und dann zu gei­zig war, sie mit ei­ner wür­di­gen Au­ßen­sei­te zu be­klei­den; lie­ber noch die Elends­hül­le ei­nes Leo­par­di, als das be­hä­big bür­ger­li­che Äu­ße­re der bei­den ge­nann­ten Gro­ßen. Ich habe über­haupt nie den Drang ge­habt, von dem Dich­ter, der sei­ne Züge so un­wi­der­sprech­lich sel­ber in sei­nen Vers mei­ßelt, auch die ihm von den El­tern mit­ge­ge­be­nen zu se­hen, die ihm – sei­nem hö­he­ren Ich – häu­fig so gar nicht ähn­lich sind.

      Vor al­lem aber moch­te ich je­nes Abends an nichts Li­te­ra­ri­sches er­in­nert sein. Ich woll­te nicht von dem ita­lie­ni­schen Dich­ter nach mei­nem Va­ter ge­fragt sein, weil ich ja nicht ant­wor­ten konn­te:

       Er war ein deut­scher Dich­ter,

       Be­kannt im deut­schen Land,

       Nennt man die größ­ten Na­men,

       Wird auch der sei­ne ge­nannt.

      Der gute Ken­ner der deut­schen Li­te­ra­tur, für den Car­duc­ci galt, hät­te, so schi­en mir, stut­zen müs­sen, dass ihm der Name fremd war. Denn die Ita­lie­ner, die so stolz sind auf ihre geis­ti­gen Grö­ßen, wis­sen nichts von ei­nem un­ter­drück­ten Dich­ter­ge­ni­us: was sie nicht von Ruhm be­strahlt se­hen, das glau­ben sie dar­um auch kei­nes Ruh­mes wert. Ich hät­te ihm von dem Ari­ost-Über­set­zer Her­mann Kurz er­zäh­len kön­nen, aber da­mit hät­te ich den deut­schen Dich­ter in den Ab­glanz ei­nes frem­den Gestirns ge­stellt. Nein, mein Va­ter soll­te mir erst aus dem Gra­be stei­gen, wenn die Zeit be­reit war, sei­ne vol­le Grö­ße zu ver­ste­hen. Also kei­ne Dis­so­nanz in die­se fest­li­chen Tage. Jetzt woll­te ich nichts als jung und frei sein, mir selbst zum Mär­chen wer­den, mit dem Ster­nen­kleid aus der Nuß­scha­le im Kö­nigs­schloss tan­zen, die Tra­gik, in die ich hin­ein­ge­bo­ren war, ver­ges­sen.

      Und nun be­rei­te­te mir der Zu­fall in je­nem weit­ge­spann­ten Rah­men ein flüch­ti­ges Idyll von sol­chem Schmelz und sol­cher Zart­heit, dass es kaum in Wor­te ge­fasst sein will und doch be­deut­sam ge­nug war, um sich für im­mer in mein Ge­dächt­nis zu prä­gen.

      Als ich aus dem Ab­le­geraum, wo ich mir mei­nen ab­ge­tre­te­nen Ge­wandsaum rich­ten ließ, wie­der zu un­se­rer Ta­fel­run­de trat, hat­te sich ne­ben mei­nem lee­ren Stuhl ein rei­fe­rer Mann von ed­ler Hal­tung und schö­ner sol­da­ti­scher Er­schei­nung nie­der­ge­las­sen, der von der Ge­sell­schaft mit of­fen­sicht­li­cher Aus­zeich­nung be­han­delt wur­de. Er war, wie ich er­fuhr, an­läss­lich ei­nes Ma­nö­vers an der Spit­ze sei­nes Rei­ter­re­gi­ments in die Ge­gend ge­kom­men und hat­te an un­se­rem Tisch eine ihm be­freun­de­te Fa­mi­lie aus sei­ner Gar­ni­sons­stadt be­grüßt. Bei mei­nem Er­schei­nen er­hob er sich und wur­de zu­nächst mir, dann erst den zu­vor schon da­ge­we­se­nen bei­den Fürs­tin­nen und dem Rest der Ge­sell­schaft vor­ge­stellt. Dass es aus­sah, als hät­te man mei­ne Zu­rück­kunft ab­ge­war­tet, um die­se Ze­re­mo­nie vor­zu­neh­men, moch­te ihn von vorn­her­ein auf mich hin­wei­sen, wenn man ihm nicht zu­vor schon von mir ge­spro­chen hat­te; so rich­te­te er auch sei­ne ers­ten Wor­te an mich. Es ist ein selt­sa­mes Ding, wenn zwei Men­schen, die noch vor Mi­nu­ten nichts von­ein­an­der wuss­ten und nicht die ferns­te Be­zie­hung ge­mein­sam ha­ben, sich beim ers­ten Be­geg­nen durch ge­hei­men Zwang zu­sam­men­ge­zo­gen füh­len, dass sie mit­ten in der Ge­sell­schaft mit­ein­an­der al­lein sind, ei­nes auf das an­de­re be­zo­gen und doch ge­gen­sei­tig nichts von­ein­an­der wis­send. Was wir re­de­ten, war ge­wiss nicht mehr als was ge­bil­de­te Men­schen bei der ers­ten Be­geg­nung zu re­den pfle­gen, aber ein herz­er­wei­tern­des bei­der­sei­ti­ges Wohl­ge­fal­len ging da­bei spür­bar hin und her und brei­te­te sich zu ei­nem all­ge­mei­nen Glücks­ge­fühl aus, in dem die Erde als et­was ganz Voll­kom­me­nes er­schi­en. Ich spür­te wohl, dass ich nicht etwa einen be­deu­ten­den oder be­son­ders geist­rei­chen Mann vor mir hat­te, wohl aber eine Per­sön­lich­keit von fes­ter und ge­bie­ten­der Prä­gung, von der eine große Si­cher­heit und un­ge­wöhn­li­che An­zie­hungs­kraft aus­ging. Mit der Lie­bens­wür­dig­keit des Süd­län­ders misch­te sich in ihm der Ernst des Nor­dens, denn er war Lom­bar­de. Wir spra­chen bei­de den gan­zen Abend nur mit­ein­an­der, er kann­te Deutsch­land, nann­te mit Wohl­ge­fal­len mei­ne Hei­mat­stadt Stutt­gart, und ich emp­fand es mit Stolz, die Toch­ter ei­ner großen Na­ti­on zu sein, denn Deutsch­land stand da­mals auf der Höhe sei­nes Glücks. Das ist das Wun­der, dach­te ich. Die an­dern rück­ten lei­se weg, um

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