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sei­ner Lands­leu­te auf­ge­klärt, mit de­nen ein Frem­der lan­ge zu­sam­men­le­ben kann, ohne sie ken­nen­zu­ler­nen. Eine be­son­ders un­heim­li­che An­zie­hungs­kraft übte auf mich die nea­po­li­ta­ni­sche Jet­ta­tu­ra oder das Ma­loc­chio aus, wor­über mein Ge­währs­mann ge­nau Be­scheid wuss­te. Es ver­kehr­te in sei­nem Hau­se ab und zu ein an­de­rer Nea­po­li­ta­ner aus vor­neh­mer Fa­mi­lie, ein tief un­glück­li­cher Mann, weil er im Rufe stand, ein Jet­ta­to­re zu sein und dar­um von al­len Sei­ten ge­mie­den wur­de. Freund Gi­us­ti, der sich als auf­ge­klärt gab, aber heim­lich doch den Aber­glau­ben nicht los wur­de, ver­si­cher­te, die­sem Man­ne nur auf der Stra­ße zu be­geg­nen, zie­he un­ver­meid­lich ein Miss­ge­schick, einen Fehl­schlag oder sonst et­was Un­an­ge­neh­mes nach sich, so­dass ihm die meis­ten sei­ner Be­kann­ten auf Stra­ßen­län­ge aus­wi­chen. Dass die Be­geg­nung noch schlim­me­re Fol­gen ha­ben kön­ne, ließ er ah­nen, ohne es aus­zu­spre­chen. Sei­ner weit jün­ge­ren, mit viel Ver­stand und Mut­ter­witz be­gab­ten Frau, die als Aus­län­de­rin ge­gen die­sen Wi­der­sinn ge­wapp­net war, mach­te es Spaß, ih­ren Mann durch mein Wei­ter­fra­gen in die Enge ge­trie­ben zu se­hen, denn der Ge­gen­stand war ihm ganz und gar nicht ge­heu­er. Mit Mühe brach­te ich ihn da­hin, dass er mir von drei großen Fa­mi­li­en in Nea­pel er­zähl­te, in de­nen die Jet­ta­tu­ra vor­zugs­wei­se erb­lich sei, und zwar in der Wei­se, dass je­weils nur ein Glied der Trä­ger des furcht­ba­ren Erb­flu­ches wer­de, der sel­ber von sei­ner ver­hee­ren­den Wir­kung so­lan­ge gar kei­ne Ah­nung habe, bis er sich rings von al­ler Welt ge­mie­den, und wenn sei­ne Be­su­che gar ein Kin­derster­ben oder an­de­re schreck­li­che Be­ge­ben­hei­ten nach sich zö­gen, ein­fach ganz aus der mensch­li­chen Ge­mein­schaft aus­ge­schlos­sen sehe. Er er­zähl­te da­von eine Rei­he wahr­haft er­schüt­tern­der Fäl­le, die auch Frau Cla­ra nicht leug­ne­te, weil sie sich zum Teil un­ter ih­ren Au­gen be­ge­ben hat­ten, nur dass sie ih­nen völ­lig an­de­re Aus­le­gun­gen gab. Auf mei­ne Bit­te nann­te er mir auch zwei der so ge­schla­ge­nen Fa­mi­li­en, den Na­men der drit­ten, al­ler­ver­derb­lichs­ten, woll­te er mir nicht sa­gen, weil ihn auch nur aus­zu­spre­chen ge­fähr­lich sei, be­quem­te sich aber schließ­lich ihn auf einen Zet­tel zu schrei­ben, den er mir mit ab­ge­wand­tem Ge­sicht über­reich­te, wo­bei er aus tiefs­tem Her­zen seufz­te: Dio ce la man­di buo­na! (Gott lass es gut vor­über­ge­hen!). Dass er da­bei un­ter dem Tisch das nea­po­li­ta­ni­sche Ab­wehr­zei­chen mach­te, ver­riet mir ein lis­ti­ger Blick sei­ner Gat­tin.

      Ich habe, was ich da­mals im Hau­se Gi­us­ti über die Jet­ta­tu­ra er­fuhr, die im neu­en Ita­li­en aus­ge­stor­ben sein dürf­te, spä­ter in der No­vel­le »Der Jet­ta­to­re« in der »Stun­de des Un­sicht­ba­ren« ver­wen­det.

      Das Haus Gi­us­ti war ne­ben zwei Fa­mi­li­en freund­li­cher schwä­bi­scher Lands­leu­te, bei­de Gast­hof­be­sit­zer und von An­fang an zu Ed­gars Kli­en­tel ge­hö­rig, un­ser frühs­ter Um­gang in Flo­renz.

      Uns­re nächs­te und für alle Zu­kunft be­deut­sams­te Be­geg­nung war die mit Adolf Hil­de­brand. Der noch jun­ge und we­nig be­kann­te, nach­mals so groß ge­wor­de­ne Bild­hau­er leb­te mit sei­ner schö­nen Ru­bens­frau Ire­ne, geb. Schäu­fe­len, ge­schie­de­nen Ko­bell, in sei­nem köst­li­chen, selbs­t­er­wor­be­nen Be­sitz, dem al­ten Klos­ter von San Fran­ces­co, das sei­ne Gat­tin durch ihre rei­chen Mit­tel und ihre ge­sell­schaft­li­che Kul­tur zu ei­nem Sitz der Schön­heit und des ver­fei­ner­ten Le­bens­ge­nus­ses mach­te. Die An­knüp­fung ge­sch­ah nicht ohne eine ge­wis­se kitz­li­che Be­son­der­heit, die sich je­doch in Wohl­ge­fal­len auf­lös­te. Adolf Krö­ner, der die schö­ne Le­bens­ge­nie­ße­rin aus den bac­chan­ti­schen Ta­gen ih­rer ers­ten Ehe kann­te, hat­te ein­mal beim Cham­pa­gner, als sie sich in glückjauch­zen­dem Über­mut ver­maß, dass die­se Lie­be ewig dau­ern müs­se, mit ihr eine ver­we­ge­ne Wet­te auf das Ge­gen­teil ein­ge­gan­gen. In ei­nem scherz­haf­ten Brief an mei­ne Mut­ter ließ er die schö­ne Frau ne­ckend an die ver­fal­le­ne Wet­te er­in­nern und gab sei­nen An­spruch auf zu­guns­ten der von ihm emp­foh­le­nen Lands­leu­te, die er freund­lich zu emp­fan­gen und ih­nen den Ein­stand in Flo­renz zu ver­schö­nern bat. Mama, die kein Arg bei der Bot­schaft hat­te, ließ sie den Brief se­hen, aber Frau Ire­ne in ih­rem neu­en, so viel tiefe­ren Glück moch­te nicht gern an die Ver­gan­gen­heit er­in­nert sein und war sicht­lich von de­ren Wie­de­r­er­we­ckung nicht ganz an­ge­nehm be­rührt. Doch mit dem Takt der großen Welt und ih­rer an­ge­bo­re­nen Ver­bind­lich­keit ant­wor­te­te sie, jene Ire­ne sei tot und kön­ne also für kei­ne Wet­ten mehr ein­ste­hen; die neue wis­se jetzt erst, was Lie­be sei, aber sie freue sich über den will­kom­me­nen Be­such und bit­te dem Ver­mitt­ler ih­ren Dank zu sa­gen. Noch schö­ner und frei­er fiel die ers­te Be­geg­nung mit ih­rem Gat­ten aus, der we­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter mit sei­nen Sieg­frie­dau­gen ins Zim­mer trat. Er hat­te uns schon am Tor emp­fan­gen und ins Haus ge­wie­sen, war aber von uns sei­nes äu­ßerst ju­gend­li­chen Aus­se­hens und sei­ner be­schei­de­nen Hal­tung we­gen für einen Werk­statt­ge­hil­fen an­ge­se­hen wor­den. Um ihn war im Ge­gen­satz zu sei­ner Gat­tin kei­ne spie­le­ri­sche Gra­zie, nichts von ge­sell­schaft­li­chem Glanz; er war durch und durch Na­tur und sag­te mit je­dem Wort ge­nau was er mein­te, aber was er mein­te war im­mer et­was Be­son­de­res und zu­gleich doch merk­wür­dig Selbst­ver­ständ­li­ches. Ich habe von die­ser be­deu­tends­ten Er­schei­nung uns­res flo­ren­ti­ni­schen Krei­ses schon zwei­mal ein­ge­hend er­zählt. Zu­erst in mei­nen »Flo­ren­ti­ni­schen Erin­ne­run­gen« durch eine Fest­schrift zu sei­nem sech­zigs­ten Ge­burts­tag und spä­ter, zehn Jah­re nach sei­nem Hin­gang, in ei­nem ihm ei­gens ge­wid­me­ten klei­nen Bu­che »Der Meis­ter von San Fran­ces­co«, denn die Freund­schaft, die sich an je­nem Sep­tem­be­r­abend in Flo­renz ent­spann, soll­te un­ge­trübt durch vier­zig Jah­re bis zum Tode des Meis­ters und noch dar­über hin­aus in der Über­le­ben­den wei­ter­dau­ern. Sie wur­de durch einen schnel­len Ge­gen­be­such des Paa­res an­ge­bahnt, und bei dem ers­ten im Hau­se Hil­de­brand ein­tre­ten­den Krank­heits­fall durch die Be­ru­fung Ed­gars fest ver­klam­mert, der fort­an durch alle Jah­re sei­nes Le­bens die Fa­mi­lie ärzt­lich be­treu­te und al­len den rasch auf­ein­an­der­fol­gen­den Spröß­lin­gen ins Le­ben half.

      Selt­sam be­rührt es mich in der Erin­ne­rung, dass Böck­lin, der da­mals am Lun­go Mugno­ne sein lus­ti­ges und lüs­ter­nes Meer­ge­sin­del mal­te, mir ei­nes Ta­ges un­ter vier Au­gen ernst­haft be­deu­te­te, dass er als Va­ter mir nicht er­lau­ben wür­de, im Hil­de­brand­schen Hau­se zu ver­keh­ren, weil es für ein jun­ges Mäd­chen nicht statt­haft sei, eine Frau zur Freun­din zu ha­ben, die von ih­rem ers­ten Gat­ten weg­ge­gan­gen sei, um mit ei­nem an­dern zu le­ben. Er hat­te sehr stren­ge Be­grif­fe von der Ehe, der Bas­ler Meis­ter, von dem es ja be­kannt war, dass er sich kein an­de­res weib­li­ches Mo­dell ge­stat­te­te als sei­ne schon stark ins Form­lo­se über­ge­hen­de rö­mi­sche Le­bens­ge­fähr­tin. Um wel­chen geis­ti­gen Ge­winn ich är­mer ge­blie­ben wäre, wenn ich aus bür­ger­li­cher Ängst­lich­keit die War­nung be­folgt hät­te und ein Haus ge­mie­den, dem ich nach­träg­lich den stärks­ten Ein­fluss auf mei­ne Ent­wick­lung zu­schrei­ben muss, ist nicht aus­zu­den­ken.

      Auf dem glei­chen Stock­werk Tür an Tür mit uns wohn­te ein rus­si­sches Schwes­tern­paar, die Fürs­tin­nen Ga­lit­zin, von de­nen die äl­te­re,

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