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am Herz­schlag der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft zu ha­ben und streng dar­auf zu ach­ten, dass nichts ein­ge­schwärzt wur­de, was nicht nach al­len Sei­ten vor der ängst­li­chen Zen­sur je­ner Zeit be­ste­hen konn­te, denn je­der noch so un­schul­di­ge Sei­ten­sprung brach­te ihm den Ab­fall tau­sen­der von Abon­nen­ten. So stark wirk­te in die­sem frei­en und kla­ren Geis­te der wirt­schaft­li­che Sinn, dass er sich or­dent­lich für die Kul­tur­auf­ga­be be­geis­tern konn­te, eine Num­mer der »Gar­ten­lau­be« zu­sam­men­zu­stel­len, die glei­cher­wei­se Herrn und Frau Ge­heim­rat wie auch ih­rer ge­fühls­se­li­gen Kö­chin eine schmack­haf­te Kost böte. Aber die An­fän­ge­rin hat­te nicht zu fra­gen, wo sie ge­druckt sein woll­te, sie durf­te froh sein, über­haupt un­ter­zu­kom­men, und muss­te nur sor­gen, Stof­fe zu ver­mei­den, bei de­nen die Sche­re ein le­bens­wich­ti­ges Or­gan ver­let­zen konn­te. Wenn ich li­te­ra­ri­schen Rat brauch­te, so stan­den au­ßer Paul Hey­se auch noch die ge­lehr­ten Freun­de der El­tern, Voll­mer und Hem­sen in Stutt­gart, die dem Wer­den des jun­gen Mäd­chens mit An­teil folg­ten, für mich im Hin­ter­grund.

      Un­se­re in der Hei­mat zu­rück­ge­blie­be­nen Be­kann­ten, die un­se­rem Auf­bruch kopf­schüt­telnd als ei­nem Ren­nen ins Un­heil nach­ge­schaut hat­ten, stell­ten mit Er­stau­nen fest, dass viel­mehr der Stern des Hau­ses im Auf­stieg war. Es hat­te bis­her im wei­te­ren Kreis der Fa­mi­lie ein al­ter Aber­glau­be ge­herrscht, der auf ei­ni­ge be­gab­te, im Miss­ge­schick un­ter­ge­gan­ge­ne Vor­fah­ren zu­rück­ging, als ob ihre Glie­der we­der Glück noch Stern hät­ten, und un­se­res Va­ters ho­hes aber sieg­lo­ses Rin­gen schi­en den Un­glück­spro­phe­ten recht zu ge­ben. Aber in Ed­gars jun­gen Hän­den zer­brach der böse Bann, als er Mut­ter und Ge­schwis­ter aus der hei­mi­schen Enge hin­aus­führ­te in fri­sches Was­ser. Die­ses Flo­renz wur­de ein Sehn­suchts­ziel für vie­le, und der Rei­se­strom brach­te bald den einen, bald den an­de­ren Hei­mat­ge­nos­sen, der sich an Ort und Stel­le über­zeu­gen muss­te, was aus uns ge­wor­den. Auch Be­su­che aus der Ju­gend­stadt ka­men, und da war es nun merk­wür­dig, wie alle mich von je schon rich­tig ver­stan­den und ins Herz ge­schlos­sen ha­ben woll­ten. Auch Takt­lo­se wa­ren dar­un­ter, die mir die al­ten Wun­den auf­ris­sen, in­dem sie, frei­lich mit Em­pö­rung, von den Ge­häs­sig­kei­ten er­zähl­ten, die im­mer noch ge­gen mich im Schwan­ge sei­en. Sie er­reich­ten da­mit das Ge­gen­teil ih­rer Ab­sicht sich an­ge­nehm zu ma­chen, denn sie stell­ten ih­rem Zart­ge­fühl ein schlech­tes Zeug­nis aus, und ich sorg­te da­für, dass sie nicht ein­ge­la­den wur­den. Lei­der fiel ge­ra­de in die­se ers­te hoff­nungs­fro­he Zeit ein trau­ri­ger Schat­ten: das un­er­war­te­te Ende un­se­res gu­ten On­kels Ernst, des ein­zi­gen Bru­ders mei­nes Va­ters, der mei­ner Mut­ter ein ver­ständ­nis­vol­ler Be­ra­ter, uns Kin­dern ein treu­ge­sinn­ter Vor­mund ge­we­sen war.

      *

      Was den ge­sell­schaft­li­chen An­schluss be­trifft, so hat­te ich in Flo­renz nicht wie in Mün­chen den Vor­teil, den neu­en Ver­hält­nis­sen al­lein ge­gen­über­zu­tre­ten und mei­ne Stel­lung un­ter den Men­schen der ei­ge­nen Per­son zu ver­dan­ken. Die Be­grif­fe des Lan­des ge­stat­te­ten ei­nem jun­gen Mäd­chen sol­che Frei­heit nicht. Es wäre ein dau­ern­der Ge­winn für mich ge­we­sen, zu dem be­rühm­ten li­te­ra­ri­schen Kreis der Don­na Emi­lia Pe­ruz­zi, de­ren große Zeit nach der Ver­le­gung der Haupt­stadt frei­lich schon vor­über war, die aber noch im­mer be­deu­ten­de Men­schen um sich sah, Zu­tritt zu ha­ben. Aber Ed­gar hat­te schon vor un­se­rer An­kunft mit gu­ten Emp­feh­lun­gen dort Be­such ge­macht, und der Ton der Ge­sell­schaft hat­te dem Leicht­ver­stimm­ten, der nie­mals Zu­ge­ständ­nis­se ma­chen konn­te, nicht ge­fal­len; so hat­te er in sei­ner her­ben Schwa­ben­art, die er nie­mals ganz ab­le­gen konn­te, die Be­zie­hun­gen gleich wie­der ab­ge­bro­chen, da­her ich bei un­se­rer An­kunft die­se Tür, de­ren Be­deu­tung mir üb­ri­gens zur Zeit gar nicht be­kannt war, schon ver­schlos­sen fand.

      Den ers­ten Be­such mach­ten wir mit ei­ner Ein­füh­rung von Hey­se bei ei­nem nea­po­li­ta­ni­schen No­bi­le, dem Ca­va­lie­re Vin­cen­zo Gi­us­ti, in sei­ner Vil­la auf dem Ro­mi­to, wo sei­ne Frau, eine Lands­män­nin aus dem Schwarz­wald, aber eine völ­lig süd­li­che Schön­heit, uns gast­lich be­grüß­te. Dort fand mei­ne ers­te Be­kannt­schaft mit dem für deut­sche Be­grif­fe äu­ßerst fremd­ar­ti­gen ita­lie­ni­schen Le­bens­stil und den noch halb in dem ga­lan­ten 18. Jahr­hun­dert ste­hen­den An­schau­un­gen der da­ma­li­gen Ge­sell­schaft statt, wo noch der Ca­va­lie­re ser­ven­te, zwar nicht mehr un­ter die­sem Ti­tel, aber doch als un­ent­behr­li­ches Zu­be­hör des Hau­ses wal­te­te, wo er der Dame zur Sei­te stand, die Emp­fän­ge lei­ten half usw. Herr Gi­us­ti war ein gu­ter Ken­ner der deut­schen Spra­che und Li­te­ra­tur, er hat­te vie­le No­vel­len von Hey­se über­setzt und war eben mit ei­ner sol­chen be­schäf­tigt. Mich er­staun­te er ein­mal durch die Be­mer­kung, dass im deut­schen Ro­man die Lie­be gar kei­ne Rol­le spie­le. Ich ant­wor­te­te, so­weit mei­ne Kennt­nis des deut­schen Ro­mans rei­che, sei viel­mehr die Lie­be ihr ste­hen­der In­halt, wur­de aber be­lehrt, dass Lie­be zwi­schen Jüng­ling und Mäd­chen, wie der deut­sche Ro­man sie dar­stel­le, über­haupt kei­ne Lie­be sei: lie­ben, mit Lei­den­schaft lie­ben kön­ne man nur die Frau ei­nes an­de­ren. Dies war mein ers­ter ras­se­kund­li­cher Un­ter­richt in Sa­chen der Ero­tik, wo­bei mir der noch nicht ge­ahn­te Un­ter­schied zwi­schen der deut­schen und der ro­ma­ni­schen Auf­fas­sung ei­ner der tiefs­ten Mensch­heits­fra­gen auf­zu­däm­mern be­gann. In der Tat bil­de­te in der Un­zahl ita­lie­ni­scher Ro­ma­ne, die mir da­mals zur Sich­tung durch die Hän­de gin­gen, zu­meist wie in der als Vor­bild die­nen­den fran­zö­si­schen Li­te­ra­tur der Ehe­bruch – nicht sel­ten mit der Süh­ne durch Gat­ten­mord – den un­aus­weich­li­chen, im­mer aufs neue ab­ge­wan­del­ten In­halt. Oft­mals habe ich die Wis­sen­den ge­fragt, warum denn über­haupt in süd­li­chen Län­dern der Mann hei­ra­te, wenn er doch sei­ne Frau für einen an­de­ren neh­me und sei­ner­seits gleich­falls bei ei­nem an­de­ren zu Gast gehe. Die Ant­wort »um eine Fa­mi­lie zu ha­ben« konn­te mich nicht von der Güte des Aus­kunfts­mit­tels über­zeu­gen, weil es ja gar nicht fest­stand, ob dies nun wirk­lich sei­ne Fa­mi­lie sei. Doch dies wa­ren, wie ge­sagt, Über­leb­sel des Ro­ko­ko. Da­ge­gen war es auch nicht ohne Reiz, aus dem Mun­de mei­nes Ge­währs­manns zu hö­ren, wel­chen Ein­druck bei sei­nen Rei­sen in Deutsch­land un­ser Le­bens­stil auf den Sohn des Sü­dens ge­macht hat­te. So er­in­ne­re ich mich, wie er ein­mal vor den stau­nen­den Ohren sei­ner Lands­leu­te er­zähl­te, dass in Dres­den jun­ge Mäd­chen al­lein in Ge­sell­schaft ge­la­den wür­den und dass dann am Schluss des Abends die Haus­frau ir­gend­ei­nen der an­we­sen­den Herrn mit dem Rit­ter­amt be­traue, das Fräu­lein heim­zu­ge­lei­ten, ihm auch ver­trau­ens­voll de­ren Haus­schlüs­sel über­ge­be, den der Pala­din nach Öff­nung der Tür sei­ner Dame ehr­furchts­voll zu­rück­zu­rei­chen habe (ein Brauch, dem ich üb­ri­gens in deut­schen Lan­den sel­ber nicht be­geg­net bin). Ich ver­moch­te das gan­ze Er­stau­nen der Ita­lie­ner über die­se ih­nen prä­his­to­risch er­schei­nen­de Sit­ten­ein­falt zu wür­di­gen, denn ich hat­te schon Kennt­nis von dem ita­lie­ni­schen Brauch, der es da­mals den jun­gen Mäd­chen vor­schrieb, beim Be­tre­ten ei­nes Ge­sell­schafts­rau­mes vor der be­glei­ten­den An­stands­da­me, und sei sie die vor­nehms­te, den Vor­tritt zu neh­men, da­mit der Schutz­geist sich über­zeu­gen

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