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an …

      »Ja, Robinson, Mister Abelsen …! Und dann fahren wir zu Mammi zurück …«

      »Natürlich, wenn ich das Fellboot fertig habe.«

      Er aß, und dann kam er mit ins Freie, beschaute das Bootsgerippe, half mir, es zu vollenden. – Zu vollenden …! Das hatte gute Wege. Diese Arbeit sollte mir wieder einmal beweisen, wie unendlich den noch so praktisch veranlagten und noch so weitsichtigen Kulturmenschen diese halbzivilisierten Wilden, meine Araukaner, überlegen waren.

      Allan lebte mehr auf. Ich habe ja schon immer Glück bei Kindern gehabt. Als wir in Siam den Viadukt von Tillabonga bauten, war meine Baracke der Treffpunkt der gesamten splitternackten Jugend des entlegenen Gebirgsdorfes Tillabonga. In meinen Mußestunden spielte ich Lehrer, und als der Viadukt fertig, konnten die kleinen Rangen mit den kugelrunden schwarzen Augen und den zarten und doch so sehnigen Gliedern englisch schreiben und lesen. Beim Abschied überreichte mir Sawimaka, der Dorfgewaltige, als Dank einen Elefantenstoßzahn von sechzig Pfund Gewicht. Dieser Zahn wurde zusammen mit meinem sonstigen Besitz versteigert, als die Kosten meines Strafprozesses nach meiner Verurteilung gedeckt werden sollten.

      Allan war zutraulich, anschmiegend, redselig und in allem ein echter kleiner Yankee, der in der freien Luft des Rinderlandes Texas auf einer Großfarm aufgewachsen ist. Daß seine Mutter – seinen Vater hatte er nie gekannt – ihn nicht verweichlicht hatte, rettete ihm fraglos hier an der Wetterecke Südamerikas fraglos das Leben, denn uns drohten noch Tage, die den widerstandsfähigsten Mann böse mitgenommen hätten. Dabei war mein kleiner Freund so arbeitseifrig, anstellig und geschickt, daß ich ihn als Handlanger nicht hätte missen mögen.

      An diesem ersten Tage unseres Robinsondaseins machte der Bootsbau nur geringe Fortschritte. Ich mußte erst noch ein paar Robben erlegen, abhäuten und Riemen schneiden, denn nur diese frischen Lederriemen zogen sich nachher, wenn sie trocken waren, so kräftig zusammen, daß sie die Holzteile wie Schrauben aneinanderhielten. Hinzu kam noch die Pflicht, für die Küche zu sorgen. Der eine Lachs war so gut wie nichts für zwei Menschen gewesen, die sich dauernd im Freien in der scharfen Luft des Grenzgebietes des Atlantik und des Pazifik bewegten. Gekochtes oder gebratenes Robbenfleisch – – eine tranige Wildente ist ein Genuß dagegen. Schließlich kochte ich die Stücke nur an und hängte sie in den dichtesten Qualm des Feuers. Das half.

      Das Wetter blieb kalt, stürmisch und unfreundlich. Am Abend versuchte ich es, einen der Sandberge der Bucht zu erklettern, um mir Gewißheit zu verschaffen, ob wir uns auf einer Insel befänden. Gänzlich erschöpft, mit zerschundenen Händen und Knien und zitternden Muskeln erreichte ich den Gipfel. Der Rest des Tageslichts genügte: es war eine kleine Insel, und weiter nach Westen zu erblickte ich die grandiosen Steilküsten der Hauptinsel Santa Ines. Ich war befriedigt und wollte umkehren. Aber die ungeheure körperliche Anstrengung dieser Bergtour hatte meinen Willen gelähmt. Ich saß auf einer Felsplatte und starrte in wohliger Erschlaffung über dieses wunderbare Land hin, das nur Granit ist, nur Kanäle, nur Klippen und Riffe und Inseln und Eilande. Der eisige Südwind kühlte mein Gesicht, und des Fremden derber Sportanzug, jenes schwarzhaarigen Menschen mit Chuburs Messer im Auge, schützte meinen schweißnassen Körper besser als meine bisherige Seemannskluft. Ich saß und döste … Und wenn ich den Kopf wandte, sah ich in der Tiefe am Buchtrande den kleinen Allan, der aus Buchenzweigen Bodenplatten für unser Fahrzeug flocht, das uns … zur Mammi bringen sollte …

      Eine Mammi, die mein kleiner Freund nicht liebte, nach der er sich nur sehnte, weil sie eben seine Mutter war und weil ihr die Großfarm gehörte, wo das scheckige Ponny und die Hunde weilten. Die liebte Allan.

      Es wurde dunkler und dunkler, wurde höchste Zeit, das Leben und die gesunden Knochen nochmals beim Abstieg zu riskieren.

      Noch ein Blick gen Westen …

      Dort Santa Ines … Dort fand ich vielleicht die vier Kameraden, die mir ans Herz gewachsen.

      Ein Blick – und ich duckte mich …

      Ein graugelbes schlankes Schiff mit zwei dicken Schloten schlängelte sich durch die Kanäle … Chilenischer kleiner Kreuzer. Die Flagge flatterte am Heck, dunkle Geschützrohre ragten wie Striche über die Reling aus gewölbten Panzerschwalbennestern.

      Mein Herz pochte rascher.

      Sollte ich winken, mich aufrichten?!

      Niemals!! Meinetwegen wahrhaftig nicht! Und Allan?! Ich würde ihn auch ohne fremde Hilfe der Frau Ellinor Mangrove zurückbringen, – ich hatte hier Pflichten, vor denen das Kind zurücktrat: vier verschwundene Kameraden!!

      Duckte mich tiefer, kroch davon.

      Als ich bei Allan anlangte, verschwieg ich den Kreuzer.

      »Also wirklich eine Insel, Mister Abelsen!« jubelte er. »Also richtige Robinsons!! – Hier – ist das Flechtwerk gut?«

      »Tadellos, mein Junge … – Jetzt aber das Abendessen und dann schlafen …«

      So endete dieser erste Tag. –

      Ich erwachte. Das Feuer war fast erloschen. Ich warf Späne hinein, sah nach der Uhr. Wahrhaftig – schon acht. Merkwürdig, daß es draußen noch so finster war. Ich lüftete das Eingangsfell.

      Nebel– – Magelhaensnebel …

      Graue Mauern überall … Kein Luftzug … Unheimliche Stille …

      Londoner Nebel, – ich kenne auch ihn. Londoner Nebel ist drei viertel Fabrikqualm und ein viertel echter Nebel.

      Dies hier nur echter Nebel. Mit jedem Atemzug sog man die eisigen winzigen Tröpfchen ein. Mir klapperten die Zähne vor Frost. Meine Lunge schien einem Äthergebläse ausgesetzt zu sein.

      Rasch zurück ins Zelt. Das Feuer lohte höher, wärmte. Über dem Feuer hing der Aluminiumtopf. Allan schlief … schlief …

      Tee war noch vorhanden. Und so bestand unser Frühstück denn aus heißem Tee und Streifen Rauchfleisch.

      Allan war vorhin draußen gewesen, nachdem ich ihn geweckt hatte.

      »Man sieht keine zwei Schritt weit, Mister Abelsen …! So was von Nebel ist mir neu.«

      Aber er war vergnügt und hungrig und ahnte nicht, daß wir hungern müßten, wenn der Nebel längere Zeit anhielt. Wie sollte ich bei dem Wetter Robben erlegen?!

      Mein Gewissen redete sehr eindringlich mit mir. Der chilenische Kreuzer … – nun, daran ließ sich nichts mehr ändern.

      Nach dem Frühstück zerkleinerte ich Brennholz, und dicht bei unserer Bootswerft flackerten und knallten dann die Scheite, spendeten trübes Licht.

      Das Bootsskelett war mittags fertig. Nun hätten wir das Zeltdach zum Überziehen des Gerippes benutzen müssen. Aber ohne Zelt bei dieser Witterung?! Ausgeschlossen!! Ich wollte auf Sonnenschein warten.

      Allans kindlicher Eifer war hiermit nicht einverstanden. Der kleine Kerl freute sich offenbar auf die Bootsfahrt und hielt sie für eine harmlose Ruderpartie wie daheim auf dem Rio Branco.

      Wir hockten untätig im Zelte. Allan langweilte sich. Und das war schlimm. Da kam die Sehnsucht nach dem Ponny und den Hunden und der freien sonnigen Prärie mit ihren Blumenteppichen, Rinderherden, Buschinseln und Baumstreifen. Allan wurde stiller und stiller. Ich mußte ihn beschäftigen, ablenken. Vatersorgen …! – Ich versuchte es mit Märchen. Erzählte die wunderschönen Geschichten von Andersen: Schneekönigin, die sieben Schwäne. Allan sagte plötzlich: »Das ist ja alles nicht wahr, Mister Abelsen. Wir Jungens in Texas lesen keine Märchen, und mein Hauslehrer Mr. Bodlin meinte, Märchen seien gut für Schwachsinnige.« – So altklug war Allan.

      Da erklärte ich ihm denn die Konstruktion meiner Sniders-Büchse, nahm das Schloß auseinander, ließ ihn die Einzelteile ölen und putzen. Nachher kamen die Pistolen heran. Jetzt war ich auf dem richtigen Geleise. Mein kleiner Freund vergaß Ponny und Hunde und Mammi und plapperte und putzte …

      »… Die Jungens bei uns in Texas können schon mit acht Jahren schießen … Und ich bin beinahe neun. Aber Mammi litt es nicht, daß ich eine kleine

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