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weckte den Knaben, zog ihm die trockenen Sachen an, schlüpfte in seine eigenen und meinte kühl: »Jetzt noch zwei Tage so wehen, Mistre Abelsen. Ich werden suchen Zelt und Bootsgerippe. Muß finden … Sonst nur Arbeit, und keine Robben mehr … Robben bei Weststurm wandern ab nach Osten, wo ruhig Wasser und Fische.«

      »Du bleibst!« befahl ich. Und ich zeigte nach oben, wo gerade wieder eine Steinlawine niederging.

      Coy zog seine hohen Seehundsstiefel an, tat, als ob er gar nichts gehört habe. Dann kroch er unter der einen Decke hindurch und zwang mich so, ihm zu folgen. Sollte ich ihm alle Arbeit allein überlassen?! – Allan war nach dem Kleiderwechsel gleich wieder eingeschlafen, und die frischen dicken Buchenscheite im Feuer würden wohl eine Stunde vorhalten.

      Coy hatte meine Begleitung als selbstverständlich hingenommen. Wir kletterten durch den Schlund aufwärts, und dann lag die Bucht im fahlen Zwielicht eines leichten Schneetreibens vor uns.

      Mit raschen Sprüngen brachten wir uns aus der deutlich erkennbaren Bahn der Steinlawine in Sicherheit und standen nun hinter einer hohen Klippe dicht am Ufer unter Wind. Es war eisig kalt. Der Regen hatte sich auf dem Gestein in dünne Eisglasur verwandelt, und wenn die jagenden Wolkenmassen einmal etwas mehr Licht durchließen, glänzte die Umgebung der Bucht wie lackiert. Vergebens schauten wir jedoch nach den Dingen aus, die uns so wertvoll. Coy meinte: »Müssen rund um Bucht klettern … Irgendwo finden … Jetzt Flut sein …«

      Klettern!

      Ich hatte die Büchse umgehängt, und in Coys Muschelgürtel hingen Messer, Pistole und Handbeil.

      Klettern! – Wenn nicht das eherne Muß uns angetrieben hätte, ich glaube, auch Freund Coy wäre bald umgekehrt. Vereiste Felsen rutschten wir hinab, vereiste Felsen erklommen wir, halfen einander. Jede Muskel spielte. Und – unsere Hände waren schon wund von vorhin, unsere Gesichter zerkratzt, zerschunden. Hagel prasselte uns in die Augen, Schnee durchweichte meine kaum getrockneten Sachen, gefror von neuem, taute im Regen wieder auf, gefror wieder …

      Um acht Uhr morgens hatten wir das halb zerstörte Bootsgerippe und um neun das Zelt und die fehlende Decke geborgen.

      Wir hatten gesiegt, aber wir fielen dann auch wie die Klötze neben dem Feuer nieder und … schliefen ein, total ausgepumpt. Wir hatten unsere letzte Kraft hergegeben.

      6. Kapitel

       Das Nachbareiland

       Inhaltsverzeichnis

      Zwei Tage Unwetter, dann Sonne, Licht, Wärme. Wir drei ausgehungert wie die Wölfe … Coy fing sechs Lachse mit einer rasch hergestellten Harpune, briet sie in der Asche, und Allan aß allein ein armlanges Fischlein, das in einem Speisesaal für sechs gereicht hätte. Mittags war die Sonne gekommen, und nachmittags schon kamen die Robben wieder. Da durfte Allan denn mit der Pistole sein erstes Wild erlegen. Acht große Tiere und zwei Junge schleppten wir zur Bootswerft.

      Coy sang und schnitt Riemen. Abends hatten wir das Bootsgerippe bereits bespannt. Und nachts arbeiteten wir beim Scheine zweier Feuer und bei feierlichem Mondlicht weiter. Nur unser »Kind« war zu Bett geschickt worden, unser Kind, das jetzt ganz Coys Liebling geworden.

      Eine köstliche milde Nacht … Coy und ich redeten über mancherlei. Auch über Allan. Wir erörterten die Frage, weshalb man ihn geraubt und hier so brutal dem sicheren Tode – ohne uns wäre der Junge umgekommen – überantwortet hatte. Eine Frage, die keine Lösung fand. Und von dieser Frage zweigten zahllose andere ab … Wir gaben das nutzlose Reden auf und sprachen von Dingen, die wir besser kannten: von der Familie Turido und ihrem Anhang, von den drei Kameraden, von Joachim besonders. Coy meinte, die Turidos würden sich wohl ganz sicher fühlen in ihrer Westbucht von Santa Ines. »Sie tot sein, Mistre, so glauben … Ich tot sein, so glauben … Werden merken, wie Kugeln schmecken!!« Und sein bepflastertes Gesicht, das ich von neuem verbunden hatte, ward rachgierige Fratze.

      Wir brachten jetzt Dollen aus Astgabeln an. Erstaunlich war, daß Coy so sehr darauf hielt, alles auch recht sauber und schön herzustellen. Dieses Fellboot war in der Tat ein Kunstwerk – sein Kunstwerk, und fraglos für die Kanäle auch seetüchtig.

      »Was hat dir Chubur denn noch über die Turidos erzählt?« fragte ich, als Coy gerade eine der Holzdollen mit den geschmeidigen frischen Robbenriemen festknotete.

      Er zauderte mit der Antwort. Ein merkwürdig prüfender Blick traf mich, ein Blick, als ob er mich nochmals gründlich einschätzen wollte.

      »Viele Männer bei Haus an Bucht,« sagte er dann. »Chubur meinen mindestens zwanzig … Große Menge Feinde, Mistre Abelsen … für uns!«

      Da verstand ich seinen Blick. Er hatte wohl gefürchtet, ich könnte die Absicht, die drei Kameraden zu befreien, wieder aufgeben, wenn ich hörte, gegen welche Übermacht wir zu Felde ziehen wollten.

      »Schafskopf!« sagte ich grob.

      Er lachte. Auch er hatte mich verstanden.

      Dann erklärte er mit der naiven Logik des Naturkindes:

      »Große Geheimnis dort, Mistre … Werden sein Piraten, Mistre … Viel Schiffe hier verschwinden um Kap Horn. Piraten versenken Schiffe, töten alle Besatzung … Niemand erfahren was.«

      »Hm – und die zehn Rohrstücke aus Stahl mit Betoneinlage?! – Piraten?! Nein, mein lieber Coy …!«

      Er grunzte irgend etwas. Er blieb bei seinen Piraten. Diese Vermutung entsprach so ganz den Legenden seines Volkes, die früher selbst hier in den Inseln geseeräubert hatten.

      Um fünf Uhr morgens war das Boot fertig. Es hatte eine Länge von etwa fünf Meter, eine Breite von fast zwei und sehr hohe Bordwände. Trotzdem wog es keinen Zentner. Wir trugen es spielend leicht im ersten Morgengrauen die Terrassen hinab und probierten, ob es leckte. Einige Fellnähte waren nicht ganz dicht. Coy kochte Harz aus den wenigen Krüppelkiefern. Und gerade als er die Nähte verschmierte, hörten wir irgendwo einen Schuß – fraglos in einem der Seitentäler der Bucht. Wir beide starrten uns an. Dann meinte Coy: »Mistre, rasch einschiffen … Weg von hier … schnell! Nicht gut sein hier … Kann chilenischer Kreuzer wieder nahe sein … Rasch!!«

      Ich weckte Allan. Unser Hab und Gut war bald im Boote verstaut. Dann ging’s der Einfahrt zu. Coy und ich, – vier feine Blattriemen, – oh, das Fellboot schoß nur so dahin! Allan saß am Steuer. Es war Ebbezeit, und die Riffe lagen frei. Wir konnten so leicht nirgends aufrennen.

      Der gewundene Buchteneingang erforderte größere Vorsicht. Ich setzte mich ans Steuer. Allan kauerte vor mir. Sein leicht gebräuntes Gesicht strahlte. Sein größter Wunsch war nun ja erfüllt: wir waren unterwegs.

      Die letzte scharfe Biegung. Links ein Vorgebirge … Und auf einem Felsen, dem letzten, ein Mann in der prallen Sonne, mit den Beinen schlenkernd, in den Händen einen dicken Ast, daran einen dünnen Riemen: eine Angel!

      Der Mann war in einen plumpen Fellanzug gekleidet, Robbenfell, Haar nach außen … Aber unter der Fellmütze in Form eines Südwesters ein so unverkennbares Profil, daß ich sofort hinüberrief:

      »Hallo, Näsler!! Mensch, was treiben Sie hier?!«

      Coy hatte sich umgedreht, und Allan war aufgesprungen.

      Unser Boot wurde von der Strömung bis dicht unterhalb des steil abfallenden Felsens mitgenommen.

      Ja – es war Joachim Näsler! Und seine Antwort war auch er:

      »Ich angele, Abelsen … Und außerdem wartete ich hier auf Sie …«

      Coy hielt den einen Riemen hoch, und Näsler griff danach. Unser Boot stand.

      »Sie warten auf uns?« fragte ich ungläubig.

      »Natürlich. Dachten Sie, ich wollte hier allein zurückbleiben?! Die verflossenen vier Tage Einsamkeit genügten meinem zuweilen erwachenden Bedürfnis nach Einsiedlertum durchaus …«

      »Also …

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