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      »Lagerfeuer!« entschied er. »Nachher sehen aus Nähe, Mistre … Erst Guanacos … Hierbleiben … Dort Quelle von kleinen Bach, frisches Gras … Er zeigte auf eine ferne Buchengruppe. »Tiere dort sein, bestimmt … Quellen lieben … Kennen das!«

      Er gab mir seinen Karabiner und schlich davon. Sehr bald begann er zu kriechen und entschwand meinen Blicken.

      Ich setzte mich ins Gras und holte Joachims Fernrohr hervor, das ich mir auf dem Rücken befestigt hatte. Das tadellose Glas brachte mir das ferne Lagerfeuer so nahe, daß ich leidlich drei Gestalten unterscheiden konnte. Coy hatte sich also nicht geirrt. Nur in einem Punkte war ich anderer Meinung: Keine Feuerländer, keine Alacalufs! Nein, meine mißtrauische Natur witterte andere Verfolger. Ich hatte ja bereits mit Joachim über die Wahrscheinlichkeit gesprochen, daß die Jacht, auf die man den kleinen Allan hier in das Insel-Chaos der Magelhaens-Straße verschleppt hatte, doch in der Nähe geblieben sein müsse. Es war ja ausgeschlossen, daß Gerald Mangrove und der Mulatte ihr Zelt auf der Nachbarinsel aufgeschlagen haben würden, wenn sie nicht jederzeit an Bord ihres Fahrzeugs hätten zurückkehren können. Für längeren Aufenthalt waren die im Zelte vorgefundenen Vorräte viel zu gering. War’s also nicht immerhin möglich, daß Leute der Jacht uns beobachtet hatten und nun aus irgend welchen Gründen hinter uns her blieben?! – Überhaupt, wenn man dieses Zwischenspiel »Allan« kritisch betrachtete, so stieß man da auf unzählige ungelöste Fragen. Ich hatte mir diese Dinge schon genügsam durch den Kopf gehen lassen. Aber das, was dunkel, war mit sogenannten logischen Schlußfolgerungen nicht zu lichten.

      Jedenfalls: das Lagerfeuer dort drüben war mir weit wichtiger als die Guanacos, und wenn Coy mit seiner Lassojagd nicht gleich auf den ersten Anhieb Glück hatte, mußte er mich begleiten, ob er wollte oder nicht.

      Ich legte das Fernrohr ins Gras.

      Ich war allein, und die Einsamkeit weckte andere Gedanken …

      Flüchtig stiegen in mir Erinnerungsbilder aus jüngster Zeit auf … Ganz flüchtig … Ich wies sie von mir. Sehnsucht nach Kamerad Boche Boche, nach Holger Jörnsen und der blonden Frau Gerda war Sehnsucht nach der großen Welt … Und ich hatte ihr entsagt, für immer …

      Abseits vom Wege der Alltagsmenschen – das war mein Pfad! Und hier … hier saß ich abseits von allem, was Kultur, was Krämerdurchschnitt hieß … Auf Santa Ines saß ich … Und stille Freude verdrängte vollends die geringen Gedanken an das, was ich aufgegeben hatte, was ich aufgeben mußte …

      Neben mir saß mein Ebenbild, mein Mondschatten … Ich nickte ihm zu. Er nickte. Und wir waren zufrieden.

      Mein Denken glitt in die Zukunft. Das war weiser als rückwärts zu schauen! Was vor mir lag, waren neue Abenteuer, neues Erleben, neues Auskosten eigener Kräfte. Familie Turido … Dampfer »Starost«, Höllenmaschine … Oh – die Turidos würden uns schon in Atem halten …!

      Ich zog eine Zigarre aus der Tasche, bückte mich … Das Feuerzeug schlug Fünkchen, der Docht qualmte stinkend, und die Zigarre brannte.

      Mein Nachbar rauchte auch, mein Schatten. Und ich nickte ihm wieder zu, er auch, und wir waren noch zufriedener hier in der köstlichen frischen Luft der Berge von Santa Ines.

      Der Mond als runde Scheibe inmitten der blinkenden Sterne – lieber Gefährte so mancher Stunden, als wir, auf dem Kutter »Torstensen« mit Boche Boche gen Süden dampften …

      Weg damit!! Boche Boche, Kamerad ohnegleichen, war Vergangenheit … Im Herzen blieb er mir … Sonst – – gestrichen, Episode. Es mußte sein.

      Ich sah nach der Uhr …

      Mitternacht … Und heute, heute vor einem Jahr, fiel mir ein, hatte ich um dieselbe Zeit in der schwedischen Heimat, fern, so fern, das Weib als Braut in den Armen gehalten, das mich nachher verriet … Verlobung, Frack, Lackschuhe, strahlende Lichterfülle, reich geschmückte Tafel … – alles dahin, dahin, alles – – es war einmal!! Märchen, böse, lächerliche Märchen … Olaf Karl Abelsen würde nie mehr Frack tragen, nie mehr ein Narr werden … Narrheit war das Leben dort in den Steinkästen von Städten …

      Und Sven Hedins, meines großen Landsmannes Schlußworte seines »Transhymalaja« fielen mir ein … Von der Sehnsucht nach den Schneehäuptern des Daches der Welt, der Sehnsucht nach dem geheimnisvollen Tibet.

      Meine Sehnsucht war erfüllt. Ich war Weltentramp geworden. Es genügte mir. Ich war frei. Noch nie hatte das Blut in meinen Adern so jugendlich pulsiert wie jetzt. Noch nie spürte ich so deutlich das Übermaß unverbrauchter Kräfte in mir.

      Unverbrauchte Kräfte, Wagemut ohne Leichtsinn … Ich hatte vieles zugelernt seit jener Nacht, als ich dem Zuchthaus entrann.

      Was saß ich hier und wartete vielleicht noch stundenlang auf Coy, der meine jagdlichen Erfahrungen mit Recht so tief eingeschätzt hatte, daß er mich von dem Guanacofang ausschloß! Mit Recht! Ich bin nie Jäger gewesen, nur Schießer, habe in Indien, um die Sache mitzumachen, einen armen Tiger mit einem Explosivgeschoß feige niedergeknallt, auf Sumatra zwei Leoparden mit der Repetierspritze erlegt und ähnliche … Heldentaten verrichtet. Was saß ich hier, wo doch drüben das ferne Lagerfeuer noch immer lockend herüberwinkte! Coy brauchte mich nicht. Die Guanacos konnte ich mir auch nachher ansehen, falls er welche fing.

      Der neue Gedanke pulverte mich noch mehr auf. Hatte ich Coy nötig, um jenes Feuer zu beschleichen?! Sollte ich dauernd an seinem Schürzenzipfel hängen?! Sein eigener Lehrmeister in der Wildnis sein, das ist Mannestum!!

      Ich schnitt von einer nahen Krüppelbuche einen längeren Ast und eine Astgabel ab. Den Ast spitzte ich an, so daß die helle, rindenlose Stelle auffallen mußte. Die Astgabel bohrte ich in die Erde, diente als Stütze für den Ast, den ich mit dem anderen Ende zwischen Steine geklemmt hatte. Der Ast wies genau in Richtung des Feuers, es war ein Wegweiser für Coy. Den Karabiner legte ich neben dieses eindeutige Zeichen, schulterte die Büchse, merkte mir genau einige Wegmarken bis zum fernen Feuer und schritt munter davon.

      Entschluß und Ausführung waren genau überlegt worden. Der Erfolg entsprach nachher auch der besonnenen Tat. Freilich ein verblüffender Erfolg …

      8. Kapitel

       Die tote Farm

       Inhaltsverzeichnis

      Links an unserem Lager kam ich vorüber. Hügel überstieg ich, verlor den glimmenden Punkt aus den Augen, aber die Wegmarken halfen.

      Eine flache, buschwerkreiche Kuppe war’s, in deren Nähe ich – ich glaube zum ersten Male in meinem Leben – auf allen Vieren dem kaum mehr fünfhundert Meter entfernten Ziele zustrebte. Meine blasenreichen Handflächen schmerzten durch den Druck auf scharfkantigem Geröll. Hartes breites Gras ritzte mir die Haut. Doch da vorn schimmerte durch die Sträucher ein Pünktchen wie eine glimmende Zigarre, und das war der kräftige Magnet, der mich vorwärtstrieb.

      Gut gewählt war dieser Lagerplatz der Fremden. Die Büsche standen dicht, und die Kuppe hatte dazu noch einen breiten Kranz von Felsstücken. Wahrscheinlich war das Feuer nur von jener Stelle so deutlich zu sehen gewesen, wo ich es bemerkt hatte.

      Jetzt den Hügel hinab … Langsame, bedächtig, immer wieder halt machend, immer wieder. Die mondhelle Umgebung beäugte ich mißtrauisch. Ich hatte keine Lust, mir eine Ladung Blei in den Kadaver schießen zu lassen oder als Ziel für einen Pfeil eines Alacaluf zu dienen. Diese Feuerlandwilden von der Westseite sind nur zum Teil halb zivilisiert. Chilenische Untertanen zwar … Aber selbst Chile vermag nicht anzugeben, wie groß ihre Zahl. Manche schätzen die Alacaluf auf tausend Köpfe, andere nur auf die Hälfte. Volkszählung ist im Magelhaens nicht gut möglich, und die kleinen Horden der echten Wilden befinden sich dazu noch auf ständiger Wanderschaft, je nachdem die Robben und Lachsschwärme ihren Standort wechseln.

      Meine Sniders hatte ich entsichert. Neun Schuß – und nur abdrücken … Das beruhigt ruhige Nerven noch mehr. Und, wenn auch nicht Jäger: vorbeischießen gab’s nicht!

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