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nahm ihren Vetter Gerald mit, der – mich haßte, weil er sie heimlich liebte – oder ihr Geld! Gerald und der Mulatte sollten uns von der Nachbarinsel aus beobachten. Gerald suchte mich zu erschießen … Natürlich gegen ihren Willen. Natürlich! – Verlangen Sie noch mehr Einzelheiten?«

      »Nein … Denn Ihre Gattin imponiert mir auch so! Wie sehr muß sie an Ihnen hängen, wenn sie hier die Wildnis von Santa Ines durchquert und …«

      Er schnitt mir durch eine brüske Handbewegung das Wort ab …

      »Gattin?! Gattin?! Wollen Sie mich beleidigen! Gehen wir …« – Jetzt war er wieder der unnahbarste Hochmut … Und erst als wir mitten auf der Lichtung im Mondschein vor »unserem« Hause standen, streckte er mir die Hand hin …

      »Vergessen, Abelsen! Unsere Schicksale gleichen einander. Sie und ich – und Weiber, die uns aus der geordneten Bahn warfen!«

      »Bedauern Sie das so sehr …?!«

      »Ja … Denn Sie sind ein Ehrenmann, ich wurde ein Lump … Und das ist der Unterschied, Abelsen! Außerdem – Sie wissen nicht, wer und was ich einst war, was ich verloren habe, sogar mein Vaterland – verloren, nicht freiwillig aufgegeben wie Sie! – Vergessen wir, Abelsen …!«

      Noch ein Händedruck. Dann sagte er in anderem Tone: »Was führte Sie hier ins Freie?! Die Zeit der Ablösung ist doch noch nicht da.«

      »Eine tote Ratte …« Ich erzählte von dem gemauerten Schacht. Aber ich war zerstreut. Ich konnte die aschblonde Frau, die Mammi, nicht vergessen. Ich bedauerte sie. Inwieweit sie schuldig, wußte ich nicht. Nur eins fühlte ich unklar: daß Joachim seines Weibes jüngste Handlungsweise, diese abenteuerliche Fahrt hier nach dem letzten Lande der Welt, nach Ultima Thule, falsch und ungerecht beurteilte. Die Frau liebte ihn ohne Zweifel mit verzehrender Leidenschaft. Er hatte sie verlassen, und sie hatte sich an ihn geklammert mit unsichtbaren Banden, bis sich ihr die Gelegenheit bot, einen in Wahrheit selten romantischen Plan durchzuführen und das Kind als Fürsprecher auftreten zu lassen.

      Seltsame Menschen, seltsame Lebenswege … – Und – Joachim ein Lump?! Nein – das konnte nicht sein! Auch in dieser Beziehung traute ich seinem eigenen Urteil nicht. Vielleicht war er in einer Umgebung aufgewachsen, in der ein krankhaftes Ehrempfinden in ihm geweckt worden war. Die Ehrgesetze, die er in seiner eigenen Brust trug, konnten vielleicht nur die durch Standesvorurteile eingeengten Normen eines nach jeder Richtung hin überzüchteten engen Kreises von Menschen sein, – Normen, die noch aus der Rumpelkammer altüberlieferter Tradition stammten, die nichts mit dem modernen Tempo des Lebens, nichts mit dem neuen Rhythmus der neuen Zeit zu schaffen hatten. Es war wohl so.

      Und ich war zerstreut … Erzählte, war nur halb bei der Sache, schaute an Joachim vorbei und sah vor mir noch immer das rührende Bild jener Frau, der Mammi …

      Ich war mit dem knappen Bericht des Rattentotschlags und seiner ungeahnten Folgen fertig, erwartete nun von Joachim eine Gegenäußerung. Sein Schweigen lenkte meinen Blick wieder auf sein Gesicht. Da sagte er schon: »Haben Sie etwas derartiges schon gesehen, Abelsen?«

      Und ich, eingesponnen in Gedanken, die einem fremden Weibe galten, folgte seinen gen Nordwest über die Buchenwipfel hinweg auf den Nachthimmel gerichteten Augen …

      Der Mond, die Lämplein des Firmaments: feine Dunstschleier lagen darüber. Ich hatte auf das veränderte Aussehen des Himmels bisher nicht geachtet. Jetzt konzentrierte sich mein von so vielen widerspruchsvollen und eigenartigen Dingen erfüllter Geist mit all seiner durch Naturliebe gesteigerten Beobachtungsgabe auf das außergewöhnliche Phänomen, das dort am nordwestlichen Horizont sichtbar war. Hätten wir uns in Polargegenden oder in den nördlichsten Gegenden meines nordischen Vaterlandes befunden, so würde ich jene Lichterscheinung, die einem verschwommenen, gelbrötlichen und mit der Spitze nach der Erde zu gerichteten Riesenkeil glich, etwa für ein Nordlicht gehalten haben. Hier von Nordlichtern zu sprechen, war verfehlt. Der leuchtende Keil schien aus wallenden, kreisenden, strahlenden Nebeln zu bestehen und verbreiterte sich ganz allmählich, ohne seine Form zu verändern. Er wuchs in die Breite und Länge. Dabei war das gelbrote Leuchten von einer beklemmenden fahlen … Farblosigkeit – ja, Farblosigkeit, – verwaschen, stellenweise klarer, anderswo unklar, aber beständig in Unruhe. Wie einem gigantischen Scheinwerfer entströmend, der farbige bewegliche Linsen hat.

      Wir standen still da und beobachteten.

      »Spüren Sie die drückende Schwüle?« fragte Joachim dann leise – so, als ob die Naturerscheinung starken Eindruck auf ihn machte.

      Ich nickte nur … Und nach einer Weile:

      »Wir wollen doch lieber Coy wecken. Das Ding da hat peinliche Ähnlichkeit mit einem Tornado …«

      Aber Joachim wollte von Tornado nichts wissen. »Ich treibe mich seit Jahren auf See herum … Wirbelstürme künden sich anders an. Wecken wir unseren Sachverständigen.«

      Coy trat gähnend ins Freie, reckte sich …

      Dann schaute er empor, sah den gelbroten Riesenkeil, fuhr merklich zusammen …

      »Matti Roco!!« rief er … »Mistre Abelsen, rasch Tiere in Stube bringen … rasch …«

      Ich hatte ihn noch nie so erregt gesehen.

      »Mein lieber Sohn Coy,« meinte Näsler pomadig, »du könntest uns immerhin erklären, was Matti Roco ist. So viel Zeit werden wir wohl noch haben …«

      Coy lächelte verzerrt. »Sein selten, der Matti Roco … Sein »Große Windung«, Mistre … Sturm aller Stürme. Wirbelsturm, wo kommt von Kordillerenzipfel her … Ich das kennen nur zweimal bisher … Furchtbar sein … Vor acht Jahren sein mögen, da letzte Mal … Große fremde Kriegsschiff flogen auf Klippen bei Clarence-Insel … Auf Feuerland tausende Schafe flogen durch Luft in Magelhaens-Straße wie tote Blätter … Hafen von Punta Arenas halb wegrasiert … – Schnell, Tiere in Stube … Steinhaus gut … Flache Balkendach … Und alte Bäume ringsum … Haus niedrig, sehr gut …«

      Er war nervös, voller Angst … Und er steckte uns an mit seiner Fahrigkeit. Oder war’s die mit Elektrizität übersättigte Luft, die uns so zu schaffen machte?!

      Seltsam auch das Gebahren der Guanacos. Sie hatten sich niedergetan, hatten den langen Hals eng ins Gras geschmiegt und Strupp und Rupp, die Lämmer, zwischen sich genommen, wollten durchaus nicht aufstehen, waren störrisch, bissen, schlugen, spuckten, bis wir die Zugtiere einfach zuerst ins Haus zerrten. Da folgten sie. Allan hatte sich den drohenden Riesenkeil nun auch angeschaut und hatte ihn »prächtig« gefunden. Wenn ich seine harmlose Munterkeit beobachtete, gab es mir einen Stich durchs Herz. Er hätte ahnen sollen, daß seine Mutter ihm so nahe war!

      Coy war jetzt fieberhaft tätig. Wir mußten Steine zusammentragen, die Fensteröffnungen verbarrikadieren. Wir schwitzten, und die Unrast in unserem Blut war wie ein unbeschreibliches Gefühl matter Trunkenheit.

      Dabei wuchs der matte, fahle Keil immer mehr. Jeder Luftzug hatte aufgehört. Coy schimpfte wie ein Rohrspatz, wurde grob. Nichts machten wir ihm gut. Die Barrikaden vor den Fenstern sollten glatt sein, möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Steine mußten wir auf das Balkendach ziehen, wahre Felsblöcke. Es war eine Hundearbeit.

      So verging eine halbe Stunde.

      Der Keil war inzwischen gewandert, nach Westen zu, bog aber wieder nach Süden ab.

      Wir waren mit den Vorbereitungen zum Empfang des Matti Roco fertig, und Coy lief uns voran zum nördlichen Waldrand. Links die fernen Felsgestade. Links wanderte der Keil dahin …

      Über das Meer, näherte sich wieder dem Ufer – immer schneller … Das wechselnde Farbenspiel der Luftwirbel war lebhafter geworden. Der Himmel noch dunstiger. Am Rande des Kegels zuckten Blitze hin – ohne jeden Donner. Totenstille ringsum. Nur unsere Herzen hämmerten, und in den Gliedern hatte ich ein bis dahin unbekanntes Kribbeln. Joachim hatte sich auf einen Stein gesetzt und Allan auf den Schoß genommen. Der Junge war blaß und hatte verängstigte Augen.

      Der Keil zog jetzt vielleicht fünf Meilen vor uns über die Steppe entlang. Seine Spitze war schwarz gefärbt.

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