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      Langsam und zögernd, so, als hätte sie Angst, verließ Saskia Felber den Zug, dann blieb sie minutenlang auf dem Münchner Hauptbahnhof stehen. Was hatte sie hier eigentlich zu suchen? Beinahe sieben Jahre waren vergangen, seit sie ihren Heimatort Steinhausen verlassen hatte, und nun sollte sie zurückkehren, als hätte es diese vielen Jahre nicht gegeben?

      Ein wenig ratlos sah sich Saskia um, dann nahm sie mit einem tiefen Seufzer ihre Koffer auf und ging zu einem anderen Bahnsteig. Von hier würde in einer halben Stunde der Zug nach Steinhausen abfahren.

      Noch immer war Saskia unschlüssig, ob sie das Richtige tat, doch als der Zug in den Bahnhof einfuhr, bestieg sie ihn nach kurzem Zögern doch. Nachdenklich sah sie aus dem Fenster, während die Landschaft vorüberhuschte. Sie kannte das alles sehr gut, obwohl sich in den Jahren ihrer Abwesenheit einiges verändert hatte. Ob es in Steinhausen auch so war?

      Doch als Saskia nach einer halben Stunde aus dem Zug stieg, hatte sie das Gefühl, als wäre hier die Zeit stehengeblieben. Der kleine Ort war idyllisch wie eh und je, nur die Chemiefabrik der Bergmanns paßte nicht so recht zu den adretten Vorgebirgshäuschen. Saskia drehte sich um und erkannte ein wenig außerhalb Steinhausens am Hang die Villa von Dr. Daniel. Dorthin zog es sie nun auch mit aller Macht, aber konnte sie so, wie sie jetzt war, einfach zu Dr. Daniel gehen? Zumindest ihre Koffer müßte sie erst irgendwo abstellen.

      Suchend sah sich Saskia um. In den Gasthof von Steinhausen wollte sie nicht unbedingt gehen, da sie sich vor der geschwätzigen Wirtin fürchtete. Aber wohin dann?

      Vom Kirchturm schlug es zweimal. Und ohne genau zu wissen weshalb, lenkte Saskia ihre Schritte jetzt dorthin. Dann stand sie vor dem Pfarrhaus und überlegte, ob sie klingeln sollte oder nicht. Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als ein wild kläffendes Fellknäuel durch den Garten rannte und dann am geschlossenen Tor hochsprang.

      »Wastl! Wirst du wohl ruhig sein!«

      Mit wehendem Talar kam Hochwürden Klaus Wenninger um das Haus gelaufen, was Saskia zum ersten Mal seit einem Jahr ein Lächeln entlockte. Der gute Pfarrer hatte sich in all den Jahren genauso wenig verändert wie der Ort, an dem er seine Schäfchen betreute. Jetzt blieb er abrupt stehen, weil er des jungen Mädchens ansichtig geworden war, und versuchte, seine Würde wiederzuerlangen, was denkbar schwierig war, denn er glich nun mal eher dem berühmten Don Camillo, als einem ersten, würdigen Pfarrer.

      »Guten Tag, mein Kind«, begrüßte er Saskia. »Was führt dich zu mir?«

      Die Promenadenmischung namens Wastl kläffte währenddessen munter weiter, bis Pfarrer Wenninger der sprichwörtliche Geduldsfaden riß und er seinen Hund am Halsband nahm und ins Haus sperrte.

      »Guten Tag, Hochwürden«, grüßte Saskia nun ihrerseits, dann lächelte sie wieder. »Sie erkennen mich nicht mehr, nicht wahr?«

      Prüfend sah der Pfarrer sie an. »Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß Sie recht haben.«

      »Saskia Felber.«

      Hochwürden Wenninger versuchte sein Erschrecken zu verbergen. Das sollte die fröhliche Saskia sein?

      »Ich… ich weiß nicht, wohin«, stammelte sie und war dabei plötzlich den Tränen nahe.

      »Und da ist es gut, daß du zu mir kommst«, erklärte der Pfarrer, schloß das Gartentor auf und ließ Saskia eintreten. »Komm, Mädchen, meine Haushälterin hat vom Mittag bestimmt noch einen Teller Suppe übrig, und nachher ruhst du dich ein bißchen aus.« Er warf ihr einen forschenden Blick zu. »Du hast keine Unterkunft, nicht wahr?«

      Saskia schüttelte den Kopf. »Oma ist lange tot, und sonst habe ich niemanden mehr.«

      Pfarrer Wenninger nickte verständnisvoll. »Dann bleibst du einstweilen bei Gerdi und mir.«

      Dankbar sah Saskia ihn an. Sie spürte, daß sie kein Wort mehr sprechen konnte, sonst würde sie unweigerlich in Tränen ausbrechen. Doch Hochwürden Wenninger verstand sie auch ohne Worte.

      *

      Nachdem Saskia einen Teller Suppe gegessen hatte, brachte Pfarrer Wenninger das junge Mädchen ins erste Stockwerk hinauf und öffnete dann eine Tür auf der linken Seite.

      Und schon stieg er ihr voraus die Treppe hinauf und öffnete eine Tür auf der linken Seite.

      Ein frisch bezogenes Bett lud zum Hineinkuscheln ein, und die zarte Blümchentapete verlieh dem Raum einen jungmädchenhaften Charakter. Ein wunderschönes gerahmtes Christusbild hing an der Wand über dem Bett, und neben der Tür war der kleine Weihwasserkessel, den zwei sich umarmende Engel hielten.

      »So, Saskia, hier kannst du dich ein wenig ausruhen«, meinte der Pfarrer.

      »Danke, Hochwürden«, entgegnete das junge Mädchen leise, zögerte noch einen Moment und fügte dann hinzu: »Würden Sie mich bitte wecken, wenn bei Dr. Daniel die Sprechstunde beginnt?«

      »Natürlich, Saskia.« Er sah sie an. »Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«

      Saskia zögerte, dann stellte sie die Frage, die ihr am Herzen lag, doch. »Wissen Sie etwas über Stefan? Stefan Daniel?«

      Pfarrer Wenninger lächelte. Er erinnerte sich noch gut daran, daß Saskia und Stefan früher unzertrennlich gewesen waren. Sie hatten zusammen Kindergarten und Schule besucht, und als sie beide so vierzehn, fünfzehn Jahre alt gewesen waren, war einer ohne den anderen gar nicht zu denken gewesen. Irgendwie hatte man in ganz Steinhausen damit gerechnet, daß aus Saskia und Stefan einmal ein Paar werden würde. Doch dann war ein junger Mann hierhergekommen, und die hübsche Saskia hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Sie war gerade achtzehn gewesen, als sie Steinhausen von einem Tag auf den anderen verlassen hatte. Und nun war sie also wieder hier – offensichtlich unverheiratet und sehr unglücklich.

      »Stefan studiert in München Medizin«, antwortete Pfarrer Wenninger endlich. »Aber am Wochenende kommt er manchmal heim.«

      Unwillkürlich beschäftigten sich Saskias Gedanken mit der Frage, ob Stefan wohl noch frei war, doch sie wagte es nicht, diese Frage auch zu stellen, weil sie sich vor der Antwort fürchtete.

      *

      Dr. Robert Daniel war gerade im Begriff, sein Sprechzimmer zu verlassen und nach oben in seine Wohnung zu gehen, als ihm die Empfangsdame Gabi Meindl noch eine Besucherin ankündigte.

      »Ein Fräulein Felber möchte Sie gern sprechen.« Gabi zögerte einen Moment. »Sie ist nicht angemeldet, und ich glaube auch nicht, daß sie als Patientin kommt.«

      Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Felber? Doch nicht Saskia Felber?« Er wartete Gabi Meindls Antwort gar nicht ab, sondern erklärte spontan: »Schic ken Sie sie bitte herein.«

      Kaum eine Minute später trat nach kurzem Anklopfen ein junges Mädchen ins Zimmer und blieb an der Tür stehen, als hätte sie Angst vor dem großen blonden Arzt, der sich jetzt hinter seinem Schreibtisch erhob.

      »Saskia!« rief Dr. Daniel aus. »Du bist es also wirklich!«

      Das junge Mädchen nickte. »Ja, Herr Dr. Daniel, ich bin wieder hier.«

      Mit einer väterlichen Geste legte der Arzt einen Arm um Saskias Schultern und geleitete sie zu einem der beiden Sessel, die vor seinem Schreibtisch standen.

      »Bitte, Saskia, setz dich.« Prüfend sah er sie an. »Du siehst nicht sehr glücklich aus.«

      »Das bin ich auch nicht«, flüsterte Saskia, dann brach sie völlig unvermittelt in Tränen aus.

      Unwillkürlich mußte Dr. Daniel an das immer fröhliche, unkomplizierte Mädchen denken, das Saskia einst gewesen war. Doch bevor er eine Frage stellen konnte, blickte sie ihn mit ihren großen dunklen Augen an.

      »Kann ich mit Stefan sprechen?«

      Bedauernd schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Tut mir leid, Saskia, aber Stefan ist nicht mehr zu Hause. Er studiert in München und hat dort zusammen mit seiner Schwester eine kleine Wohnung. Nur am Wochenende kommt er gelegentlich hierher.«

      Saskia

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