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auf die Tür, die sich hinter Ricky geschlossen hatte. Sie wußte jetzt, daß sie einen großen Fehler begangen hatte, als sie die Fehlgeburt provoziert hatte, aber sie wußte auch, daß es keinen Sinn gehabt hätte, Ricky jetzt noch nachzulaufen. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, wann es ihm mit einer Entscheidung ernst war und wann nicht. Und diesmal war es ihm verdammt ernst damit.

      *

      Als Marina Kampe am Morgen nach der Sterilisation erwachte, wußte sie nicht, ob sie erleichtert oder traurig sein sollte. Gestern war die Angst vor dem Eingriff noch zu groß gewesen, als daß sie sich über die Folgen wirkliche Gedanken gemacht hätte, doch jetzt… jetzt war es vorbei. Sie würde nie wieder ein Baby haben können.

      Unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen, doch dann zwang sie sich an Gerhard zu denken – an ihn und an den Verrat, den er begangen hatte. Und die Erinnerung daran bestärkte sie wieder in dem Gedanken, daß sie richtig gehandelt hatte. Nie wieder würde ihr ein Mann so weh tun können, denn jetzt hielt sie alle Fäden in der Hand. Jetzt konnte sie mit den Männern spielen, wie sie wollte. Und sie würde sich hüten, jemals wieder ihr Herz in eine solche Affäre mit einzubeziehen.

      Zwei Tage später wurde sie aus der Klinik entlassen, doch Dr. Sommer nahm ihr das Versprechen ab, sich in der darauffolgenden Woche von Dr. Daniel untersuchen zu lassen.

      Marina hielt ihr Wort und kam gleich am Montag früh zu Dr. Daniel in die Sprechstunde.

      Die Empfangsdame unterdrückte nur mit Mühe einen Seufzer. Sie haßte es, wenn die Patientinnen unangemeldet kamen.

      »Es tut mir leid, Frau Meindl«, erklärte Marina leise. »Aber ich wurde am Freitag aus der Klinik von Dr. Sommer entlassen, und er hat gesagt, ich soll mich gleich diese Woche von Herrn Dr. Daniel untersuchen lassen.«

      Gabi Meindl zwang sich zu einem Lächeln. »Das ist schon in Ordnung, Frau Kampe. Nehmen Sie einstweilen noch im Wartezimmer Platz. Es kann allerdings ein Weilchen dauern, bis Sie zum Doktor gerufen werden.«

      »Das macht nichts. Ich habe Zeit«, murmelte Marina, dann betrat sie das sehr wohnlich eingerichtete Wartezimmer, grüßte die anwesenden Damen und setzte sich fast verschüchtert in den Sessel, der in der hintersten Ecke stand. Nur zu deutlich war sie sich der Anwesenheit der beiden schwangeren Frauen bewußt, und die Gewißheit, daß sie nie mehr dieses Glück würde erleben können, zauberte einen Hauch von Melancholie in ihre zarten Züge.

      *

      Eine Woche lang hatte Ricky Schermann mit sich gerungen, dann war er in sein Auto gestiegen und nach Steinhausen gefahren. Er wußte, daß er mitten in die Vormittagssprechstunde von Dr. Daniel platzen würde, doch das war ihm im Augenblick egal. Er mußte mit irgend jemandem sprechen, und Dr. Daniel war der einzige, zu dem er das nötige Vertrauen hatte. Nicht einmal seinem Vater gegenüber hatte er den Grund für seine Trennung von Livia genannt.

      Die junge Empfangsdame machte große Augen, als Ricky die Praxis betrat. Es kam zwar nicht gerade selten vor, daß Männer hierherkamen, doch normalerweise waren sie in Begleitung ihrer Frau. Dann kam Gabi Meindl der Gedanke, daß dieser junge Mann vielleicht der Ehemann einer der anwesenden Damen sein könnte.

      »Möchten Sie jemanden abholen?« fragte sie aus diesem Grund.

      Ricky schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte zu Herrn Dr. Daniel.«

      Jetzt konnte Gabi ihre Verblüffung nicht mehr verbergen. »Aber… der Herr Doktor… ich meine, Dr. Daniel ist Frauenarzt.«

      »Das ist mir durchaus bekannt«, meinte Ricky. Er konnte sich schon vorstellen, wie seltsam es anmuten mußte, wenn er als Mann zu einem Frauenarzt gehen wollte. Andererseits hatte er aber auch keine Lust, diesem jungen Mädchen den Grund für sein Hiersein näher zu schildern. Er sah sich um und entdeckte an einer der Türen das Schildchen mit der Aufschrift Wartezimmer.

      »Kann ich da drüben warten, bis der Doktor frei ist?« wollte er wissen.

      Gabi konnte nur nicken. Seit sie hier in der Praxis arbeitete, war noch nie ein Mann zu ihrem Chef gekommen, und sie hätte zu gern gewußt, was dieser Fremde von Dr. Daniel wohl wollte.

      Nach kurzem Anklopfen betrat Ricky das Wartezimmer und stellte sich mit bewundernswerter Ruhe den neugierigen Blicken der anwesenden Damen, bevor er auf einem der freien Sessel Platz nahm. Er spähte zu dem kleinen Tischchen hinüber, auf dem mehrere Zeitschriften lagen, doch es waren nur die üblichen Frauen- und Elternmagazine, die in Ricky kein großes Interesse weckten. Und so richtete er seinen Blick auf das Fenster, durch das man die Berge so schön sehen konnte.

      Nach und nach wurden die beiden schwangeren Frauen aufgerufen und schließlich auch die ältere Dame, die es während der ganzen Zeit nicht geschafft hatte, ihre Augen von Ricky abzuwenden. Als sie das Wartezimmer verließ, atmete Ricky förmlich auf, dann fiel sein Blick auf das junge Mädchen, das mit gesenktem Kopf in der Ecke saß. Ihre ganze Haltung drückte Niedergeschlagenheit aus, und unwillkürlich fühlte Ricky Mitleid.

      »Frau Kampe, bitte.«

      Die Stimme der Sprechstundenhilfe riß Ricky aus seiner Betrachtung, doch auch das Mädchen war sichtlich erschrocken. Jetzt stand sie hastig auf und folgte der Sprechstundenhilfe nach draußen. Ricky sah ihr nach und verstand sich dabei selbst kaum. Sein Herz gehörte doch immer noch Livia. Wie kam es, daß dieses Mädchen, mit dem er noch kein Wort gewechselt hatte, ihn so beeindrucken konnte?

      Ricky fand keine Antwort auf diese Frage, denn jetzt wurde auch er endlich ins Sprechzimmer gerufen. Dr. Daniel kam ihm entgegen und drückte seine Hand.

      »Herr Schermann, das ist aber eine Überraschung«, meinte er, dann mußte er lächeln. »Ich hätte nicht gedacht, daß Sie sich in die Praxis wagen.«

      Ricky mußte ebenfalls lächeln. »Es war auch tatsächlich eine kleine Mutprobe. Ihre Empfangsdame schien schon ein wenig aus der Fassung gebracht zu sein, und die Damen im Wartezimmer… na ja, ich fühlte mich wie ein seltenes Fossil.«

      Dr. Daniel lachte. »Das glaube ich gern.« Dann wurde er wieder ernst. »Und was führt Sie nun zu mir?«

      Ricky atmete tief durch. »Ich habe mich von Livia getrennt.«

      Dr. Daniel nickte bedächtig. »Damit habe ich schon gerechnet.«

      Mit einer Hand fuhr sich Ricky durch das dichte Haar. »Ich weiß, daß ich an ihrer Seite nie wieder glücklich werden könnte, aber… ohne sie…« Plötzlich stand er auf. »Meine Güte, ich belästige Sie da mit meinen Problemen, dabei haben Sie sicher haufenweise andere Arbeit zu erledigen.«

      »Setzen Sie sich wieder, Herr Schermann«, bat Dr. Daniel, »und lassen Sie sich sagen, daß ich mich auch solchen Problemen annehme, die eigentlich nicht in meinen Aufgabenbereich fallen. Ich bin sicher, Sie hatten einen Grund, sich an mich und nicht an irgend jemand anderen zu wenden.«

      Ricky nickte. »Ja, ich… ich habe Vertrauen zu Ihnen, Herr Doktor. Und Sie sind der einzige, der die ganze Geschichte kennt.« Er senkte den Kopf. »Ich habe mit niemandem darüber gesprochen – nicht einmal mit meinem Vater.«

      »Die Trennung von Frau Mangano macht Ihnen also schwer zu schaffen«, vermutete Dr. Daniel. »Das ist allerdings nicht weiter verwunderlich. Immerhin haben Sie sich geliebt, und vielleicht tun Sie das auch jetzt noch.«

      Ricky schüttelte den Kopf. »Sie hat mich belogen, und sie hat – zumindest im übertragenen Sinn – mein Kind getötet. Ich glaube nicht, daß ich sie noch liebe…, das heißt, bis vorhin dachte ich…« Er errötete ein wenig. »Sie müssen mich für schrecklich wankelmütig halten, aber… das junge Mädchen, das gerade bei Ihnen war, hat mich sehr beeindruckt.« Er zuckte die Schultern. »Eigentlich weiß ich nicht mal genau wodurch… ich meine, sie hat kein Wort gesprochen, aber…« Er brachte den Satz nicht zu Ende.

      »Ich halte Sie überhaupt nicht für wankelmütig«, entgegnete Dr. Daniel ernst. »Ganz im Gegenteil. Ich finde es sogar sehr gut, wenn Sie sich nach dieser großen Enttäuschung, die Sie erlebt haben, wieder zu einer Frau hingezogen fühlen – auf welche Weise auch immer. Leider ist das nicht bei allen Menschen so.« Und dabei

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