Скачать книгу

und holte von überall einen ganz beachtlichen Stoß hervor.

      »Die kleinsten Babysachen gibt es in Größe 56«, erklärte sie. »Allerdings würde ich Ihnen die nächste Größe empfehlen. Gerade die Neugeborenen wachsen so schnell, daß ihnen die Höschen und Jäckchen dann doch nicht lange passen. Außerdem könnte es ja auch sein, daß Sie ein großes Baby bekommen – so mit acht Pfund etwa, dann ist 56 mit Sicherheit zu klein.«

      Die Frau nickte, und dann lächelte sie. »Ich bin froh, daß ich hier hereingekommen bin. Beim ersten Kind ist man mit allem noch so unsicher. Da haben Sie bestimmt mehr Erfahrung, und ich lasse mich gern beraten.«

      »Das freut mich«, entgegnete Marina. »Es gibt viele Kundinnen, die das nicht so gern haben. So, hier sind die Hemdchen, Jäckchen und Höschen in Größe 62.«

      Die Frau schaute sich alles genau an, und man merkte ihr an, daß es ihr oftmals sehr schwer fiel, sich zu entscheiden.

      »Das sieht alles so putzig aus«, meinte sie. »Am liebsten würde ich den ganzen Stoß kaufen.«

      Marina lächelte. »Das wäre mit Sicherheit zuviel des Guten.«

      Schließlich entschied sich die Kundin für vier sehr neutrale Strampelhöschen in Gelb und Grün, nahm noch vier Hemdchen und vier Jäckchen und ließ sich dann die Wiegen und Stubenwagen zeigen.

      »Die sehen zwar sehr hübsch aus«, erklärte Marina, »aber lange hat ein Baby nicht Platz darin. Ich würde Ihnen ein Gitterbettchen empfehlen. Da können Sie den Gitterrost nach oben verstellen, solange das Baby noch sehr klein ist. Und wenn Sie einen Himmel dazunehmen und ein Babynestchen, dann ist es genauso kuschelig wie ein Stubenwagen.«

      Die junge Frau ließ sich von Marinas Argumenten überzeugen. Schließlich kaufte sie sogar noch einen Kinderwagen, Wickelkommode mit Auflage und ein Bade- und Wickelgestell für die Badewanne.

      »Meine Güte, wie soll ich das alles nur nach Hause schaffen«, fiel ihr plötzlich ein. »Ich fürchte, da muß ich heute abend meinen Mann vorbeischicken.«

      »Das ist nicht nötig«, wehrte Marina ab. »Wir haben einen Lieferservice. Wenn Sie mir Ihren Namen und Ihre Adresse geben, dann werden die Sachen morgen im Laufe des Tages zu Ihnen nach Hause gebracht.«

      »Das ist ja toll«, urteilte die junge Frau. »Ich glaube, bei Ihnen werde ich öfter einkaufen. Aber Sie wollten ja meine Adresse notieren. Mein Name ist Veronika Riedl, und ich wohne…«

      Alles weitere bekam Marina nicht mehr mit. Veronika Riedl! Der Name hatte sie förmlich erstarren lassen Konnte das noch ein Zufall sein? Gerhard hatte doch gesagt, daß seine Frau Veronika hieß…

      »Hallo, ist Ihnen nicht gut?« drang die Stimme der Kundin in Marinas aufgewühlte Gedanken.

      »Nein, nein, es… es geht schon wieder«, zwang sich Marina zu antworten. »Wie war Ihre Adresse?«

      »Münchner Straße 4 hier im Ort.«

      Marina nickte mechanisch und notierte die Adresse. Damit war jeder Zweifel ausgeschlossen: Das war Gerhards Anschrift.

      Veronika Riedl verabschiedete sich sehr herzlich von Marina, bedankte sich nochmals für die Mühe, die sie sich gegeben hatte, und verließ schließlich die Boutique. Völlig apathisch blieb Marina mitten im Laden stehen und starrte auf die Tür, die sich hinter der Kundin geschlossen hatte. Noch immer konnte sie kaum begreifen, was sie gerade erlebt hatte.

      Gerhard hatte sie belogen. Zuerst hatte er ihr seine Ehe verschwiegen, seit Monaten behauptete er, er und Veronika stünden vor der Scheidung, dabei erwartete sie in Kürze ihr erstes Kind und war sich der Liebe ihres Mannes offenbar sehr sicher. Das hatte Marina unschwer aus den kleinen Bemerkungen heraushören können, die Veronika Riedl im Laufe des Gesprächs hatte fallenlassen.

      Marina hätte später nicht mehr sagen können, wie sie den restlichen Tag hinter sich gebracht hatte. Mechanisch wie eine Puppe schloß sie den Laden um sechs Uhr ab, ging zur Bushaltestelle und fuhr nach Hause.

      Völlig niedergeschlagen ließ sie sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und starrte blicklos ins Leere. Sie hatte den ganzen Tag außer einem Wurstbrot noch nichts gegessen, und normalerweise hätte sie sich jetzt eine Kleinigkeit zurechtgemacht, doch für heute war ihr der Appetit vergangen.

      Marina wußte selbst nicht, wie lange sie so gesessen hatte. Erst das Geräusch des sich im Schloß drehenden Schlüssels ließ sie aus ihrer Erstarrung erwachen.

      »Hallo, Liebes!« drang Gerhards fröhliche Stimme an ihr Ohr.

      Wie brachte er es nur fertig, ein solches Doppelleben zu führen? Und als er jetzt das Wohnzimmer betrat, hatte Marina plötzlich das Gefühl, einem völlig Fremden gegenüberzustehen. Das war nicht mehr der Mann, den sie geliebt hatte.

      Langsam erhob sich Marina vom Sofa, trat zu Gerhard und streckte die rechte Hand aus.

      »Den Schlüssel«, verlangte sie knapp.

      Gerhard begriff nicht. »Aber, Liebes, was ist denn los? Du siehst aus, als wärst du einem Gespenst begegnet. Und was soll das mit dem Schlüssel? Willst du etwa, daß ich nicht mehr komme?« Er lachte, weil er seine Bemerkung für einen Witz hielt.

      »Genauso ist es, Gerd.«

      Schlagartig hörte Gerhard auf zu lachen.

      »Bist du verrückt? Was soll denn das Ganze?«

      »Bitte, Gerd, tu nicht so, als hättest du keine Ahnung, weshalb ich heute diesen Schlußstrich ziehe«, erklärte Marina und spürte dabei immer deutlicher, wie ihre Liebe zu dem gutaussehenden Mann schwand.

      »Ich habe wirklich keine Ahnung«, verteidigte sich Gerhard.

      »Deine Frau war heute bei mir in der Boutique.«

      Gerhard erbleichte, dann senkte er den Kopf.

      »Ich verstehe«, murmelte er und übergab Marina den Wohnungsschlüssel ohne weiteren Kommentar.

      »Du bist feige«, hielt Marina ihm vor. »Hinterhältig und feige. Nicht genug damit, daß du deine Frau betrügst, obwohl sie schwanger ist und glaubt, daß du dich auf das Kind ebenso freust wie sie. Aber dann lügst du mir auch noch vor, ihr würdet unmittelbar vor der Scheidung stehen.« Sie schwieg kurz. »Ich verabscheue dich, Gerd. Du bist der gemeinste, niederträchtigste Mensch, der mir je begegnet ist. So, und jetzt geh.« Sie zögerte kurz, dann setzte sie hinzu: »Und keine Angst. Deine Frau wird niemals erfahren, daß du eine Affäre hattest – denn mehr bin ich für dich ohnehin nicht gewesen.«

      Gerhard schauderte vor der Kälte, die in Marinas Stimme lag, trotzdem atmete er insgeheim auf. Er hatte tatsächlich Angst gehabt, daß Marina Veronika von seinem Verhältnis zu ihr bereits erzählt hatte.

      »Jetzt bist du erleichtert, was?« Marinas Stimme triefte vor Sarkasmus. »Meine Güte, Gerd, bist du ein mieser Kerl! Verschwinde endlich, damit ich dich nicht mehr sehen muß!«

      Das ließ sich Gerhard nicht zweimal sagen. Ohne Gruß verließ er die Wohnung.

      Minutenlang stand Marina noch da und starrte auf die Tür, die sich hinter Gerhard geschlossen hatte. In ihrem Kopf war gähnende Leere, doch ihr Herz schmerzte. Sie hatte Gerhard belogen, und sie hatte sich selbst belogen. Und plötzlich schlug sie beide Hände vors Gesicht und begann haltlos zu schluchzen.

      »Ich liebe dich, du Mistkerl. Verdammt, ich liebe dich noch immer!«

      *

      Dr. Daniel war nicht sehr überrascht, als Marina Kampe sein Sprechzimmer betrat, und auch ihr deprimierter Gesichtsausdruck erstaunte ihn nicht, schließlich wußte er ja, wie sehr sie unter der Tatsache litt, daß die Schwangerschaft, über die sie sich so sehr gefreut hatte, gar keine richtige Schwangerschaft gewesen war.

      »Nun, Frau Kampe, wie geht es Ihnen?« erkundigte er sich teilnahmsvoll, nachdem Marina ihm gegenüber Platz genommen hatte.

      »Ich möchte mich sterilisieren lassen«, erklärte Marina, ohne auf seine Frage einzugehen.

Скачать книгу