Скачать книгу

an anderen Kliniken in München«, warf Dr. Scheibler voller Bitterkeit ein. »Deshalb bekomme ich jetzt eine Absage nach der anderen.«

      »Wundert dich das? Meine Güte, Gerrit, welcher Chefarzt will einen solchen Quertreiber schon in seinem Team haben?«

      »Danke!« fauchte Dr. Scheibler sie an. »Nur zu deiner Information: Ich bin überhaupt kein Quertreiber! Ich wollte einer Frau helfen und… verdammt, ja, natürlich, ich wollte auch Oberarzt werden.«

      »Das vor allen Dingen«, vermutete Rabea. »Schon damals, als wir noch zusammen waren, wolltest du Oberarzt werden. Und es konnte dir gar nicht schnell genug gehen.« Sie schüttelte den Kopf. »Dein Ehrgeiz wird dich noch mal umbringen, Gerrit.«

      »Wenn du mir weiterhin solchen Mut zusprichst, dann mit Sicherheit«, entgegnete Dr. Scheibler bissig. Er wies auf die zehn leeren Ampullen, die noch immer am Tisch standen. »Ich habe das Zeug noch in der Wohnung. Wenn ich es mir jetzt – verschmutzt, wie es inzwischen obendrein ist – intravenös spritze, dann wird jede Hilfe für mich unweigerlich zu spät kommen.«

      »Rede keinen Unsinn, Gerrit!« wies Rabea ihn scharf zurecht. »Nur weil du aus der Thiersch-Klinik geflogen bist und nicht gleich wieder Arbeit findest…«

      »So, wie es aussieht, werde ich niemals wieder Arbeit finden«, fiel Dr. Scheibler ihr niedergeschlagen ins Wort, »jedenfalls nicht als Arzt.« Er konnte ein trockenes Aufschluchzen nicht unterdrücken. »Und ich will meinen Beruf nicht wechseln! Ich bin nun mal mit Leib und Seele Arzt! Ein einziger Fehler kann mir doch nicht das Genick brechen.«

      »Muß es denn unbedingt München sein?« fragte Rabea. »In den umliegenden Kliniken hat es sich bestimmt noch nicht herumgesprochen.«

      »Was soll ich in einer Wald- und Wiesenklinik auf dem Land?« widersprach Dr. Scheibler heftig.

      »Kranken Menschen helfen«, antwortete Rabea schlicht. »Oder glaubst du, die gibt es nur in der Stadt? Wenn du wirklich mit Leib und Seele Arzt bist, dann muß es dir egal sein, wo du arbeitest.«

      Dr. Scheibler errötete. Natürlich hatte Rabea recht, aber er wollte eben nicht in einer winzigen Klinik auf dem Land versauern. Er wollte Oberarzt werden und irgendwann Chefarzt, und er wollte einen Namen haben, den man mit Achtung aussprach – so, wie den von Professor Thiersch beispielsweise. Das konnte er aber nur erreichen, wenn er wieder an eine namhafte Klinik kommen würde.

      »Bei dir steht nicht der kranke Mensch an erster Stelle, sondern deine Karriere«, erklärte Rabea, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

      Wieder errötete Dr. Scheibler.

      »Was willst du eigentlich?« fuhr er Rabea in seiner Verlegenheit an. »Mich fertigmachen?«

      »Nein, Gerrit, absolut nicht. Ich will nur, daß du endlich begreifst, was wirklich wichtig im Leben ist.«

      Dr. Scheibler senkte den Kopf. »Also schön. Ich werde mich auch an den umliegenden Krankenhäusern bewerben.«

      »Du könntest natürlich auch in eine andere Stadt gehen«, schlug Rabea ihm vor. »Stuttgart, Karlsruhe, Köln, Dresden – Deutschland ist groß, und ich bin sicher, daß sich der Vorfall in der Thiersch-Klinik nicht überall herumgesprochen hat.«

      Dr. Scheibler seufzte. »Daran habe ich natürlich auch schon gedacht, aber… ich würde ungern von München weggehen.« Er zuckte die Schultern. »Irgendwie hänge ich an dieser Stadt.«

      Rabea nickte. »Das kann ich verstehen. ich lebe auch gern hier.« Sie überlegte einen Moment. »Es gäbe noch eine dritte Möglichkeit. Du könntest versuchen, noch einmal mit Professor Thiersch zu sprechen.«

      »Aussichtslos«, entgegnete Dr. Scheibler. »Du hast ihn doch auch schon kennengelernt. Ich würde nicht einmal bis zu seinem Büro kommen. Weißt du, was er mir zum Abschied gesagt hat? ›Ich habe Ihre Arbeit sehr geschätzt, Scheibler, aber jetzt will ich Sie nie mehr sehen.‹ Nein, Rabea, ein Besuch bei Professor Thiersch wäre völlig vergeblich. Dieser Mann ist unerbittlich, und das wäre er auch, wenn ich auf Knien bettelnd zu ihm käme.«

      *

      Nach langem Überlegen hatten sich Patricia und Oliver Gerhardt für einen Urlaub auf den Kanarischen Inseln entschlossen. Die erste Station sollte Gran Canaria sein, und bereits in der ersten Woche stellte Patricia fest, daß sie das Zusammensein mit Oliver sehr genoß – mehr als in den beiden letzten Jahren. Es war eine ganze Weile her, seit sie sich ihrer Liebe zum letzten Mal so bewußt gewesen war.

      Überhaupt wirkten sich Sonne und Meer recht günstig auf Patricias Stimmung aus, obwohl sie sich in Gedanken noch immer viel zu oft mit dem Gedanken an ein Baby beschäftigte und sich immer wieder dabei ertappte, wie sie ihren Körper beobachtete und sich fragte, ob in diesem Moment wohl ein Eisprung erfolgen würde.

      Auch jetzt lag sie am Strand und träumte davon, daß ihr Zusammensein mit Oliver endlich die langersehnten Früchte tragen könnte. Die heranrollenden Wellen umspielten sanft ihre Beine, Wind und Sonne streichelten ihre Haut.

      Ein paar Meter von ihr entfernt saß Oliver vor seiner Staffelei und malte. Seit er hier auf Gran Canaria war, hatte er die Liebe zur Malerei wiederentdeckt. Vor einigen Jahren war das sein großes Hobby gewesen, und eine Weile hatte er sogar daran gedacht, die Malerei zu seinem Beruf zu machen, doch der Erfolg war nicht sehr groß gewesen. Anscheinend eignete sich seine Kunst doch nur für den Hausgebrauch.

      Dafür lebte er hier im Urlaub sein Hobby jetzt voll aus. In ihrem Hotelzimmer stapelten sich mittlerweise schon die Bilder – alle mit dem gleichen Motiv: Patricia zwischen den Dünen von Maspalomas, Patricia vor den Kakteen des Palmitos Parks, Patricia im Hafen von Las Palmas, Patricia unter Palmen, Patricia am Strand – liegend, stehend, sitzend – im Bikini, in Shorts, im Sommerkleid… immer nur Patricia. Es war, als könne er nichts anderes mehr malen als seine Frau. Und manchmal schien es ihm auch so zu sein. Seine Liebe zu Patricia füllte ihn wieder völlig aus.

      Nach drei Wochen verlegten sie ihr Domizil nach Teneriffa. Und in der Vielseitigkeit von Landschaft und Vegetation entstand das schönste Bild von Patricia – ein Porträt, das alles ausdrückte, was Patricia war und empfand: Schönheit, Sensibilität und grenzenlose Sehnsucht. Und Oliver wußte genau, wem diese Sehnsucht galt – einem Baby.

      »Du kannst noch immer an nichts anderes denken als an eine Schwangerschaft, nicht wahr?«

      Die Frage kam leise und ohne jeden Vorwurf.

      Wie abwesend sah Patricia zu dem schnellbedeckten Gipfel des Pico de Teide, des höchsten Berges von Spanien, hinüber. Es schien ihr eigenartig, daß hier unten das ganze Jahr über eine konstante Temperatur von 26, 27 Grad herrschte, während dort oben Schnee lag.

      Nur langsam drangen Olivers Worte zu ihr durch. Sie mußte sich zwingen, ihren Blick von dem malerischen Berg zu lösen und Oliver anzuschauen.

      »Du hast recht«, gestand sie leise. »Tag für Tag frage ich mich, ob es diesmal wohl geklappt hat. « Tränen traten in ihre Augen. »Bist du mir böse?«

      Liebevoll schloß er sie in seine Arme. »Nein, mein Liebling, natürlich nicht. Aber ich fürchte, Dr. Daniel hat recht. Solange du dich so krampfhaft um eine Schwangerschaft bemühst, wird es nicht klappen. Du mußt versuchen, dich von dem Gedanken zu lösen, daß du nicht schwanger werden kannst. Du bist eine ganz normale, junge Frau, und irgendwann wirst du ein Baby haben. Aber so etwas läßt sich nicht von heute auf morgen erzwingen. Ein Kind will in Liebe gezeugt werden.«

      Patricia nickte ein wenig halbherzig. »Wahrscheinlich hast du recht. Und ich werde mich bemühen, nicht jedesmal, wenn wir zusammen sind, daran zu denken, ob es wohl klappt.«

      Oliver küßte sie zärtlich, dann legte er einen Arm um ihre Schultern. »Komm, Patricia, fahren wir noch ein Stück. Ich möchte dir etwas zeigen, was ich heute früh im Reiseführer gesehen habe.«

      Die Ablenkung gelang. Nahezu sprachlos vor Staunen und Begeisterung stand Patricia vor Las Canadas, dem größten erloschenen Krater der Welt.

      »Hier möchte ich dich malen. Darf ich?« fragte Oliver.

Скачать книгу