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      Dr. Scheibler mußte lachen. »Kommen zu Ihnen nur Leute, die sich verlaufen haben?«

      Die junge Frau stimmte in das Lachen mit ein. »Meistens ja. Nur wenige nehmen freiwillig den steilen Weg zum Gröber-Hof auf sich.«

      »Gröber-Hof«, wiederholte Dr. Scheibler, während sein Blick zu dem stattlichen Anwesen wanderte, dann sah er die junge Frau wieder an. »Und Sie sind die Bäuerin, oder?«

      »So ähnlich, ja. Claudia Gröber ist mein Name, und mein Schwiegervater ist der Bauer hier.«

      Das kleine Mädchen, das sich noch immer an Claudias Rock festhielt, begann jetzt ein wenig zu quengeln, woraufhin die junge Frau es auf den Arm nahm. Dr. Scheibler runzelte die Stirn.

      »So schwer sollten Sie in Ihrem Zustand aber nicht tragen«, gab er zu bedenken.

      Claudia lachte. »Meine kleine Marianne trage ich auch noch, wenn ich im neunten Monat bin. So empfindlich bin ich nicht.« Sie sah den Mann vor sich prüfend an. »Sie sind wohl Arzt, oder?«

      Dr. Scheibler nickte. »Richtig, und eigentlich wollte ich Dr. Daniel besuchen, aber die Sprechstunde ist noch nicht zu Ende, und da habe ich mich zu einer kleinen Wanderung entschlossen.«

      »Kleine Wanderung ist gut«, meinte Claudia schmunzelnd. »Der Anstieg ist ziemlich steil, allerdings gibt es auch einen bequemeren Weg zu uns herauf.« Und dabei wies sie auf eine schmale Straße, die sich ganz unauffällig durch den Wald schlängelte. »So, Herr… wie heißen Sie überhaupt?«

      Dr. Scheibler wurde verlegen. »Meine Güte, Sie müssen mich ja für einen entsetzlich unhöflichen Klotz halten.« Er deutete eine Verbeugung an. »Gerrit Scheibler.«

      »Also, Herr Scheibler, dann kommen Sie mal mit in die Stube«, meinte Claudia. »Sie haben sicher Hunger und Durst.«

      »Das kann ich doch nicht…«

      »Kommen Sie nur«, fiel Claudia ihm ins Wort. »Für einen hungrigen Wanderer steht die Tür des Gröber-Hofs immer offen.«

      Wenig später saß Dr. Scheibler in der gemütlichen Stube, während Claudia ein Brotzeitbrett vor ihn hinstellte. Und dann trug sie einen Teller schwarzgeräuchertes herein und einen Korb mit selbstgebackenem Bauernbrot. Käse und Butter rundeten die zünftige Brotzeit ab.

      »Ein Dunkles dazu?« wollte Claudia wissen, doch Dr. Scheibler wehrte ab.

      »Bitte keinen Alkohol«, entgegnete er. »Ich bin mit dem Auto in Steinhausen.«

      »Sehr vernünftig«, urteilte Claudia, dann lächelte sie. »In diesem Fall kann ich Ihnen aber nur kalte Milch anbieten. Etwas anderes Nichtalkoholisches gibt es hier oben bei uns nicht.«

      »Das macht nichts«, meinte Dr. Scheibler, und während er aß und trank, verstärkte sich dieses eigenartige Gefühl noch, das ihn seit seiner Ankunft in Steinhausen ergriffen hatte. Es schien ihm, als hätte ihm noch nie etwas so gut geschmeckt wie diese Brotzeit, und dabei fühlte er sich so zufrieden wie schon lange nicht mehr.

      Fast tat es ihm leid, als er eine halbe Stunde später den Rückweg nach Steinhausen antreten mußte.

      »Grüßen Sie Dr. Daniel von mir«, erklärte Claudia, »und sagen Sie ihm, er soll sich bei uns mal wieder sehen lassen.«

      »Wird gemacht«, versprach Dr. Scheibler, winkte der jungen Frau noch einmal zu und ging dann bergab.

      Nach fast einer Stunde erreichte er die Villa von Dr. Daniel und stellte mit einem Blick auf die Uhr fest, daß die Sprechstunde nun zu Ende sein müßte. Und plötzlich war die Niedergeschlagenheit der letzten Wochen wieder da. Dr. Scheibler fühlte sich müde und deprimiert, und für einen Augenblick war er versucht, Steinhausen wieder zu verlassen, ohne mit Dr. Daniel gesprochen zu haben.

      Doch in diesem Augenblick trat der Arzt aus dem Haus. Vom Wohnzimmerfenster aus hatte er den einsamen Wanderer entdeckt, der so zögernd am Fuß des Kreuzbergs stehengeblieben war. Und als Dr. Daniel ihm nun ein Stück entgegenging, erkannte er ihn plötzlich.

      »Herr Kollege«, erklärte er überrascht. »Wie kommen Sie denn hierher?«

      »Sie kennen mich noch?« fragte Dr. Scheibler zurück.

      »Na, erlauben Sie mal«, entgegnete Dr. Daniel. »Immerhin sind wir uns ja schon einige Male begegnet.« Prüfend sah er den jungen Mann vor sich an. »Wollten Sie zu mir?«

      Dr. Scheibler senkte den Kopf. »Ja, aber… vergessen Sie’s. Es ist nicht so wichtig.«

      Er wollte gehen, doch Dr. Daniel hielt ihn zurück. »Mir scheint, es ist sogar außerordentlich wichtig. Kommen Sie, Herr Scheibler, gehen wir ins Haus. Die Herbstabende sind ziemlich kühl.«

      »Da haben Sie recht«, stimmte Dr. Scheibler zu, während er Dr. Daniel folgte. »Allmählich habe ich wirklich zu frieren begonnen.«

      »Meine Schwester hat gerade heißen Tee aufgebrüht«, erklärte Dr. Daniel, während sie die Villa betraten. »Der wird Ihnen sicher auch guttun.«

      Wenig später saßen sich die beiden Männer im Wohnzimmer gegenüber, und Dr. Scheibler nippte dankbar an dem heißen Tee, den Dr. Daniels Schwester vor ihn hingestellt hatte.

      »Nun, Herr Scheibler, was führt Sie zu mir?« wollte Dr. Daniel wissen, als der junge Arzt beharrlich schwieg.

      Dr. Scheibler atmete tief durch. »Ich habe schon ein richtig schlechtes Gewissen, weil ich Sie gestört habe. Immerhin haben Sie den ganzen Tag gearbeitet und wollen abends sicher Ihre Ruhe haben.«

      »Das ist doch Unsinn«, wehrte Dr. Daniel ab. »Ich nehme mir immer Zeit, wenn jemand Hilfe braucht, und mir scheint, Sie haben sie besonders nötig.« Er betrachtete den jungen Mann aufmerksam und entdeckte die dunklen Schatten unter seinen Augen. »Wie lange haben Sie nicht mehr geschlafen?«

      Dr. Scheibler zuckte die Schultern. »Seit ein paar Wochen. Ich… ich finde einfach keine Ruhe mehr.« Mit einer fahrigen Handbewegung fuhr er durch sein dichtes dunkles Haar. »Ich weiß einfach nicht mehr weiter.«

      Unwillkürlich kam Dr. Daniel der Verdacht, daß Dr. Scheibler vielleicht ein Mädchen in Schwierigkeiten gebracht hatte. Schließlich wußte er ja, daß der junge Mann kein Kostverächter war, wenn es um das weibliche Geschlecht ging.

      »Es erstaunt mich ein bißchen, daß Sie da zu mir kommen«, gestand Dr. Daniel. »Wir kennen uns ja eigentlich nur sehr flüchtig.«

      Dr. Scheibler nickte. »Aber Sie kennen Professor Thiersch, und er hält unheimlich viel von Ihnen.«

      Überrascht zog Dr. Daniel die Augenbrauen hoch. Er begriff nicht, worauf der junge Arzt hinauswollte.

      »Vielleicht wäre es doch am besten, wenn Sie von vorn erzählen würden«, schlug Dr. Daniel vor.

      Dr. Scheibler atmete tief durch. »Es geht um Patricia Gerhardt… besser gesagt, sie war der Auslöser für alles. Das heißt… sie konnte ja nichts dafür…«

      Dr. Daniel begriff, daß er von Dr. Scheibler heute keinen klaren Gedankengang mehr erwarten konnte. Der junge Arzt schien völlig durcheinander zu sein. Vermutlich war er total übermüdet, und die Wanderung, die er offensichtlich gerade unternommen hatte, mußte ihm den Rest gegeben haben. Entschlossen stand Dr. Daniel auf.

      »Sie werden jetzt erst mal ein paar Stunden schlafen, Herr Scheibler«, erklärte er in bestimmtem Ton. »Meine Schwester wird das Gästezimmer für Sie herrichten, und morgen unterhalten wir uns dann in aller Ruhe über die ganze Geschichte.«

      Dr. Scheibler schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht annehmen, Herr Daniel, und außerdem… ich habe überhaupt nichts dabei.«

      »Kein Problem«, entgegnete Dr. Daniel. »Einen Schlafanzug kann ich Ihnen gern leihen. Sie dürften etwa die gleiche Größe haben wie ich. Und eine neue Zahnbürste läßt sich auch besorgen. Es hat keinen Sinn, wenn Sie sich noch länger dagegen sträuben. Sie brauchen dringend ein paar Stunden Schlaf, und ich werde dafür sorgen, daß Sie ihn auch bekommen.«

      Dr.

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