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dauerte nur wenige Minuten, bis Irene das Bett im Gästezimmer für ihn bezogen hatte. Währenddessen hatte sich Dr. Scheibler im Bad umgezogen und trat jetzt in einem von Dr. Daniels Schlafanzügen herein.

      »Im Grunde ist es zwecklos, wenn ich mich ins Bett lege«, meinte er niedergeschlagen. »Schlafen kann ich sowieso nicht.«

      »Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, entgegnete Dr. Daniel. »In ein paar Minuten werden Sie wie ein Murmeltier schlummern.« Er wies mit einer einladenden Handbewegung zum Bett. »Legen Sie sich hin und drehen Sie sich zur Seite. Ich werde Ihnen ein Beruhigungsmittel spritzen, damit Sie ein bißchen zur Ruhe kommen.«

      Er trat mit der vorbereiteten Spritze zu Dr. Scheibler und schob die Schlafanzughose ein Stück nach unten.

      »Nicht erschrecken, das piekst jetzt ein bißchen«, warnte Dr. Daniel seinen Kollegen, dann injizierte er rasch und geschickt das Beruhigungsmittel. Anschließend setzte er sich noch für ein paar Minuten auf die Bettkante.

      »Nun, wie fühlen Sie sich?« wollte er wissen, als er bemerkte, wie Dr. Scheiblers Lider zu flattern begannen.

      »Müde«, murmelte der, dann fielen ihm auch schon die Augen zu.

      Dr. Daniel betrachtete ihn noch einen Moment, bevor er aufstand und leise das Gästezimmer verließ.

      »Seltsam«, meinte er.

      »Was ist seltsam?« wollte Irene wissen, die gerade die Treppe heraufkam.

      »Daß dieser junge Mann ausgerechnet zu mir kommt«, antwortete Dr. Daniel. »Und daß es auch noch um eine Patientin von mir geht, die mit ihm aber eigentlich nichts zu tun hatte.«

      »Meine Güte!« stöhnte Irene. »Du verstehst es aber heute ausgezeichnet, in Rätseln zu sprechen.«

      Dr. Daniel lächelte. »Wenn es dich beruhigt, Irenchen, das ganze ist auch für mich ein Rätsel, aber ich denke, morgen werde ich mehr darüber erfahren.«

      *

      Dr. Daniel, Irene und die fünfzehnjährige Carmen Brück, die seit dem Tod ihres Vaters im Hause Daniel lebte, saßen gerade beim Frühstück, als Dr. Scheibler noch ein wenig schlaftrunken hereinkam. Er hatte einen Morgenmantel angezogen, den er im Bad gefunden hatte, und sah seinen Gastgeber jetzt sichtlich verlegen an.

      »Guten Morgen«, grüßte er. »Ich… ich glaube, ich war gestern ziemlich durcheinander.«

      Dr. Daniel stand auf und ging ihm entgegen. »Das kann man wohl sagen. Aber jetzt setzen Sie sich erst mal. Möchten Sie auch Kaffee?«

      Dr. Scheibler nickte. »Wenn es keine Umstände macht.«

      »Überhaupt nicht«, bekräftigte Irene, dann reichte sie dem jungen Mann die Hand. »Irene Hansen«, stellte sie sich vor.

      »Gerrit Scheibler«, erwiderte er, dann nahm er an dem großen, runden Tisch Platz und senkte den Kopf. »Es ist mir schrecklich unangenehm, daß ich Ihnen so zur Last falle. Nicht genug damit, daß ich am Freitagabend nach der Sprechstunde noch bei Ihnen hereingeplatzt bin, jetzt störe ich Sie auch noch am Wochenende.«

      »Sie stören überhaupt nicht«, entgegnete Dr. Daniel mit Nachdruck. »Mein Sohn zieht es ohnehin wieder einmal vor in München zu bleiben, und meine Tochter hat dieses Wochenende Dienst, und Carmen…« Er lächelte das junge Mädchen neben sich an. »Carmen möchte eine Rad-tour mit Freunden unternehmen. Sie sehen also, daß ich dieses Wochenende von niemandem gebraucht werde.«

      Allmählich begann Dr. Scheibler zu verstehen, weshalb Dr. Daniel bei seinen Patientinnen so beliebt war. Er verstand es, seine Hilfsbereitschaft anzubieten ohne aufdringlich zu wirken – und vor allem war er bereit, jedem zu helfen… auch einem beinahe Fremden, wie Dr. Scheibler es war.

      Gleich nach dem Frühstück verabschiedete sich Carmen sehr herzlich von Dr. Daniel und seiner Schwester, bevor sie sich auf ihr Rad schwang und den Kreuzbergweg hinunterfuhr. Auch Irene machte sich auf den Weg in den Ort, um noch ein paar Kleinigkeiten einzukaufen.

      »So, Herr Scheibler, jetzt sind wir ungestört«, meinte Dr. Daniel, während er es sich mit dem jungen Arzt im Wohnzimmer gemütlich machte. »Und nun erzählen Sie mir bitte, was Sie auf dem Herzen haben.«

      Dr. Scheibler seufzte. »Machen Sie sich auf eine schlimme Geschichte gefaßt.« Und dann erzählte er, was nach der Operation von Patricia Gerhardt vorgefallen war. »Sie war so traurig, und sie hat mir so leid getan…« Er senkte den Kopf. »Und

      ich wollte auch Oberarzt werden.«

      Dr. Daniel nickte. »Ich habe von Anfang an gemerkt, wie ehrgeizig Sie sind. Aber bitte, erzählen Sie weiter.«

      »Ich studierte die Krankenakte der Patientin und kam zu dem Schluß, daß Dr. Heller vielleicht doch ein Fehler unterlaufen war – so wie Frau Gerhardt es ja vermutet hatte. Der fehlende Operationsbericht bestärkte mich in meiner Meinung, also bin ich zu Professor Thiersch gegangen.«

      Dr. Daniel konnte sich das Ende der Geschichte ausmalen.

      »Professor Thiersch hat Sie fristlos entlassen«, vermutete er, »denn Dr. Heller hatte die Operation absolut korrekt durchgeführt.«

      »So ähnlich, ja«, antwortete Dr. Scheibler. »Allerdings gab der Professor mir noch Gelegenheit, selbst zu kündigen, und er hat mir auch eine gute Beurteilung geschrieben. Das Fatale an der ganzen Geschichte ist, daß sich der Vorfall in rasender Geschwindigkeit herumgesprochen hat – nicht nur in der Thiersch-Klinik.« Er senkte den Kopf. »Ich finde jetzt einfach keine Stellung mehr.«

      »Und was erhoffen Sie sich nun von mir?« wollte Dr. Daniel wissen, obwohl er sich die Antwort bereits denken konnte.

      Dr. Scheibler atmete tief durch. »Professor Thiersch hält große Stücke auf Sie, und da dachte ich…«

      Dr. Daniel nickte. »Ich weiß genau, was Sie dachten, aber ich fürchte, Sie unterliegen da einem großen Irrtum. Mein Einfluß auf Professor Thiersch ist nicht so groß, wie Sie zu denken scheinen. Und gerade in Ihrem Fall halte ich ein weiteres Gespräch mit ihm für völlig aussichtslos. Professor Thiersch hat seine Prinzipien, und von denen weicht er nun mal nicht ab.«

      Niedergeschlagen sackte Dr. Scheibler in sich zusammen. Dr. Daniel war seine letzte Hoffnung gewesen.

      »Dann muß ich München eben doch verlassen«, murmelte er. »Vielleicht habe ich in einer anderen Stadt mehr Glück.«

      Unwillkürlich empfand Dr. Daniel Mitleid mit dem jungen Arzt. »Hängen Sie denn wirklich so sehr an dieser Stadt?«

      Mit einem verlegenen Lächeln sah Dr. Scheibler ihn an. »Ich weiß schon, es klingt kindisch, aber… hier in München habe ich mich zum ersten Mal seit dem Tod meiner Eltern wieder zu Hause gefühlt. Ich habe so etwas lange nicht erlebt, und deshalb… es würde mir wirklich schwerfallen, diese Stadt zu verlassen.«

      Mit einem leisen Seufzer stand Dr. Daniel auf. »Also schön, versuchen wir’s.« Er trat zum Telefon und wählte die Nummer der Thiersch-Klinik in München.

      »Heute ist Samstag«, gab Dr. Scheibler zu bedenken.

      Dr. Daniel blickte lächelnd zurück. »Kennen Sie Ihren Chefarzt so schlecht? Meines Wissens ist er auch am Wochenende oft in seiner Klinik anzutreffen.«

      Doch diesmal hatte Dr. Daniel Pech. Professor Thiersch war weder in der Klinik noch zu Hause. Und bei einem erneuten Anruf in der

      Thiersch-Klinik gelang es ihm nur, den Oberarzt zu erreichen.

      »Herr Kollege«, erklärte Dr. Heller überrascht. »Sie wollen mir doch wohl nicht das Wochenende vermiesen, indem Sie mir einen schwierigen Fall aufhalsen?«

      »Nein, das Wochenende vermiese ich Ihnen bestimmt nicht«, versprach Dr. Daniel. »Aber einen schwierigen Fall habe ich tatsächlich hier bei mir. Es geht um Dr. Scheibler. Er ist im Moment bei mir, und es geht ihm nicht besonders gut.«

      »Das kann ich mir vorstellen«, meinte Dr. Heller. »Er bekommt nirgends eine Stellung, stimmt’s?«

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