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betrachtete ihren Bruder, und dabei wurde ihr wieder einmal bewußt, wie sehr sie sich doch unterschieden. Sicher, an den Gesichtszügen war die Ähnlichkeit unverkennbar, aber sonst? Karina war ruhig und ausgeglichen, während Stefan gelegentlich schon seine Launen haben konnte. Und mit ihren goldblonden Haaren bot sie rein äußerlich einen krassen Gegensatz zu Stefans dunklen Locken. Als er noch ein Junge gewesen war, hatten alle damit gerechnet, daß er irgendwann auch blond werden würde, wo doch sowohl Dr. Daniel als auch seine verstorbene Frau helles Haar hatten. Aber Stefan war allen Vererbungsgesetzen zum Trotz dunkel geblieben. Und obwohl er der ältere von beiden war, kam es nicht selten vor, daß Karina um vieles verständiger war als ihr Bruder.

      »Irrtum«, antwortete sie jetzt. »Tante Irene hat mal wieder Heimweh bekommen. Sie ist gerade auf dem Weg nach Kiel und wird wohl einige Tage oben bleiben.«

      Stefan begriff sofort, worauf seine Schwester hinauswollte.

      »Vergiß es!« erklärte er entschieden. »Ich habe keine Lust, nach Hause zu fahren. In Steinhausen ist doch nichts los.«

      »Du hast an keinem Wochenende Lust, dorthin zu fahren«, hielt Karina ihm vor. »Wenn ich dich nicht immer wieder drängen würde, dann kämst du aus München gar nicht mehr weg.«

      Ein heftiger Hustenanfall hielt Stefan davon ab, etwas zu erwidern. Seine Schwester schüttelte mißbilligend den Kopf.

      »Also entweder rauchst du zuviel, oder du hast dir eine Erkältung eingefangen«, meinte sie.

      »Ich rauche überhaupt nicht viel«, wehrte sich Stefan, als er wieder Luft bekam.

      »Du solltest es ganz lassen. Rauchen ist ungesund.«

      Stefan zog eine Grimasse. »Fang du nicht auch noch an. Das predigt mir Papa schon die ganze Zeit.« Er mußte wieder husten. »Außerdem liegt es nicht am Rauchen. Ich habe Kopfschmerzen, und mein Hals tut weh.«

      Karina grinste. »Das paßt ja wunderbar. Also, Stefan, ich schlage vor, du fährst nach Hause und läßt dich von Papa gesundpflegen.«

      Stefan tippte sich mit einem Finger an die Stirn. »Bei dir piept’s wohl! Ich bleibe hier.«

      Doch eine Stunde später saß Stefan in seinem betagten Kleinwagen und fuhr Richtung Steinhausen. Dabei fragte er sich, wie seine Schwester es wieder geschafft hatte, ihn doch noch zur Heimfahrt zu überreden.

      »Papa hat recht«, knurrte er sein Lenkrad an. »Die wird eine ganz gerissene Rechtsanwältin. Die Richter, die sich einmal mit ihr herumschlagen müssen, tun mir heute schon leid. Die werden Entscheidungen fällen, von denen sie nachher nicht mehr wissen, wie sie dazu gekommen sind.«

      Stefan fuhr sich mit einer Hand über die brennenden Augen. Er spürte direkt, wie die Erkältung immer schlimmer wurde.

      »Ich hätte eine Aspirin nehmen sollen«, murmelte er. »Na ja, Papa wird schon was im Haus haben.«

      Endlich tauchten die ersten Häuser Steinhausens vor ihm auf. Der Glockenturm der St.-Benedikt-Kirche schien zu ihm herüberzugrüßen, während sich die Kamine der CHEMCO stolz in die Höhe reckten.

      Stefan verließ die Hauptstraße und lenkte seinen Wagen die seile Auffahrt hinauf, die zur Villa seines Vaters führte. Dann hielt er sein Auto auf dem Patientenparkplatz an und blieb noch einen Augenblick sitzen. Die Fahrt hatte ihn mehr angestrengt, als er zugeben wollte. Eigentlich hätte er ja auf Karina hören und den Zug nach Steinhausen nehmen sollen, aber er hatte seinen Dickkopf wieder mal durchsetzen müssen.

      Jetzt trat Dr. Daniel aus dem Haus und kam mit langen Schritten zum Parkplatz herüber. Sein Gesicht strahlte vor Freude.

      »Stefan, du bist ja doch gekommen«, erklärte er und schloß seinen Sohn, der inzwischen aus dem Auto gestiegen war, impulsiv in die Arme. »Ich freue mich, daß du da bist.«

      Stefan lächelte. »Wir konnten dich doch nicht vereinsamen lassen. Und da Karina morgen abend mit Markus in die Oper gehen will, muß ich eben herhalten.«

      Dr. Daniel lachte. »Das klingt nicht so, als wärst du gern heimgekommen.«

      Stefan zuckte die Schultern. »Im Augenblick ist es mir herzlich egal, wo ich bin.«

      Dr. Daniel wurde stutzig.

      »Was ist denn los, Stefan?« fragte er besorgt. »Probleme mit deiner Rabea?«

      Stefan schüttelte den Kopf. »Wir lieben uns noch immer heiß und innig – obwohl sie im Augenblick kaum Zeit für mich hat. Sie sitzt praktisch nur noch hinter ihren Büchern und büffelt, damit sie das Examen schafft. Dabei gehört sie sowieso zu den Besten unserer Klasse.«

      »Was ist es dann?« wollte Dr. Daniel wissen, und als er seinen Sohn jetzt genau betrachtete, bemerkte er plötzlich dessen eigenartig glänzende Augen. »Mir scheint, du bist krank.«

      Doch Stefan winkte ab. »Ach was, nur eine Erkältung.«

      »Komm mit in die Praxis, mein Junge, dann schauen wir uns das gleich mal genauer an«, schlug Dr. Daniel vor, aber Stefan wehrte vehement ab.

      »Du glaubst doch wohl nicht, daß ich mich in einer Frauenarztpraxis untersuchen lasse!« erklärte er mit Nachdruck.

      Sein Vater lächelte. »Keine Angst, du mußt nicht auf den gynäkologischen Stuhl.«

      »Das wäre ja auch noch schöner.« Stefan schüttelte den Kopf. »Nein, Papa, eine Untersuchung ist wirklich nicht nötig. Und wenn ich mich tatsächlich schlechter fühlen sollte, dann kann ich immer noch zu dem alten Dr. Gärtner hinübergehen. Der ist wenigstens Allgemeinmediziner.«

      »Du hast aber großes Vertrauen zu deinem Vater«, stellte Dr. Daniel mit leisem Sarkasmus fest. »Na, dann komm erst mal mit nach oben. Und eines will ich gleich klarstellen, mein Sohn – ich habe mich zwar auf die Gynäkologie spezialisiert, aber deshalb bin ich immer noch in der Lage, eine ganz normale körperliche Untersuchung vorzunehmen. Und ich halte mich auch durchaus für fähig, eine beginnende Erkältung zu behandeln.«

      Beschämt senkte Stefan den Kopf. »Tut mir leid, Papa.« Er schwieg kurz, dann seufzte er. »Also schön, ich lasse mich untersuchen. Du gibst ja sonst doch keine Ruhe. Aber ich setze keinen Fuß in die Praxis.«

      Dr. Daniel lächelte. »Einverstanden. Ich hole nur rasch meine Bereitschaftstasche. Geh du inzwischen auf dein Zimmer, mach dich frei und leg dich auf dein Bett.«

      Stefan gehorchte, und nur wenige Minuten, nachdem er sich hingelegt hatte, trat auch sein Vater schon herein.

      »So, mein Junge, jetzt werden wir erst mal kontrollieren, ob du erhöhte Temperatur hast«, erklärte er, während er das Fieberthermometer zur Hand nahm, doch dann legte er es unbenutzt wieder zu Seite. »Das heißt, wir warten besser damit, bis du ein wenig zur Ruhe gekommen bist.« Er beugte sich vor und tastete die leicht geschwollenen Drüsen ab.

      »Kopfschmerzen?« erkundigte er sich nebenbei.

      »Ja, ziemlich.«

      »Augendruck?«

      »Auch«, antwortete Stefan. »Manchmal brennen sie richtig.«

      Dr. Daniel nickte, dann holte er sein Stethoskop hervor und hörte gewissenhaft Herz und Lunge ab.

      »Bleib gleich sitzen, Stefan«, wies er seinen Sohn danach an. »Ich muß mir deinen Rachen noch anschauen.« Er lächelte. »In meinem Beruf brauche ich nie ein Spatel, aber der Löffel hier wird’s auch tun. Also, mein Junge, dann mach mal schön deinen Mund auf.«

      Stefan gehorchte, und Dr. Daniel drückte mit dem Löffelstiel seine Zunge nach unten, um ungehinderten Einblick in den etwas geröteten Rachen zu bekommen.

      »So, Stefan, jetzt noch Fieber messen, dann bist du fürs erste erlöst«, meinte Dr. Daniel.

      »Und? Was diagnostiziert der Onkel Doktor?« wollte Stefan wissen.

      »Einen leichten grippalen Infekt«, erklärte sein Vater lächelnd. »Trotzdem wird mein Herr Sohn für die nächsten Tage das Bett hüten,

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