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an die einsame Frau, die stets einen melancholischen Ausdruck in den Augen gehabt hatte. Und wie oft hatte sie ihn um einen Hausbesuch gebeten, nur um einmal mit jemandem sprechen zu können. Jetzt hatte sie das nicht mehr nötig, denn durch Dr. Daniels Hilfe hatte sie Familienanschluß gefunden und war seitdem immer mehr aufgeblüht. Man sah ihr ihr Alter nicht mehr an.

      »Ich freue mich immer wieder, Sie so glücklich zu sehen«, erklärte Dr. Daniel aus diesen Gedanken heraus.

      Anna Deichmann nickte strahlend. »Ja, Herr Doktor, ich führe jetzt ein sehr erfülltes Leben, und das verdanke ich vor allen Dingen Ihnen.«

      Bescheiden winkte Dr. Daniel ab. »Darüber wollen wir doch gar nicht sprechen.« Er fuhr sich mit einer Hand durch das dichte blonde Haar. »Ich komme heute nicht ohne Grund zu Ihnen, Frau Deichmann. Es geht um Ihr Häuschen, das – soweit ich weiß – noch immer leersteht.«

      »Das ist richtig, Herr Doktor«, nickte Anna Deichmann. »Ich konnte mich einfach nicht entschließen, es zu vermieten. Und ein Verkauf kommt ohnehin nicht in Frage. Immerhin hat mein Mann dieses Haus gebaut und dafür eine Menge Erspartes und noch mehr Arbeitskraft investiert.« Sie zuckte die Schultern. »Meine Enkelkinder sind zwar noch klein, aber irgendwann werden sie auch erwachsen und brauchen dann vielleicht ein Häuschen wie meines.«

      Dr. Daniel schmunzelte. Wie selbstverständlich Anna Deichmann die Burgner-Kinder inzwischen als ihre Enkelkinder bezeichnete.

      »Ich hätte eine Bitte an Sie«, fuhr er dann fort. »Wie Sie schon sagen, sind Ihre Enkelkinder noch sehr klein, und in der Zwischenzeit… nun, es gibt ein junges Ehepaar hier in Steinhausen, das dringend eine Wohnung bräuchte. Die beiden sind vor einer Woche Eltern geworden und…« Er stockte. Im Grunde hatte es keinen Sinn, großartig drumherum zu reden. »Es geht um Rainer und Anke Bergmann. Sie kennen den alten Bergmann gut genug, um zu wissen, was für ein Mensch er ist.«

      Anna Deichmann winkte ab. »Und ob ich ihn kenne! Hat er sich jetzt also auch noch mit seinem Sohn überworfen?«

      Dr. Daniel nickte. »Ja, so könnte man es ausdrücken. Rainer ist jedenfalls aus der Bergmann-Villa ausgezogen und wohnt augenblicklich im ›Goldenen Löwen‹. Das ist natürlich auf Dauer kein Zustand, vor allem, wenn seine Frau mit dem Baby entlassen wird, und da dachte ich…«

      Anna Deichmann lächelte. »Sie haben goldrichtig gedacht, Herr Doktor, wie immer. Natürlich stelle ich Rainer mein Haus zur Verfüfung – auf unbegrenzte Zeit. Schließlich kenne ich den Jungen seit seiner Geburt. Ein netter Kerl… ganz anders als sein Vater.«

      »Da haben Sie recht«, stimmte Dr. Daniel unumwunden zu, dann stand er auf. »Ich kann Rainer also zu Ihnen schicken, damit Sie auch die finanzielle Seite regeln können?«

      »Selbstverständlich. Aber viel zu regeln wird es da nicht geben. Rainer und seine Frau können in das Haus ziehen, wann sie wollen. Und was die Miete betrifft…« Sie winkte ab. »Wozu brauche ich eine Menge Geld, wenn ich meine Kinder und Enkelkinder habe? Rainer und ich werden uns schon einig werden.«

      *

      Stefan und Karina Daniel sahen sich erst am Montagabend. Stefan war in aller Frühe von Steinhausen aus direkt zur Uni gefahren, und als er jetzt die kleine Wohnung im Herzen Schwabings betrat, schlug ihm schon der herzhafte Gulaschduft entgegen.

      »Also, wenn wir uns auch oft in den Haaren liegen – eines muß man dir lassen, Karina, du kannst ausgezeichnet kochen«, meinte Stefan.

      Seine jüngere Schwester wandte sich vom Herd um und lächelte ihn an.

      »Danke für das Kompliment«, entgegnete sie. »Na, was macht die Erkältung?«

      »Wurde von Papa bestens kuriert«, antwortete Stefan, dann begann er den Tisch zu decken.

      Karina beobachtete ihn eine Weile, dann sprach sie die Frage, die sich ihr unwillkürlich aufdrängte, doch aus.

      »Ist irgend etwas vorgefallen zwischen euch beiden?« Stefan schüttelte den Kopf. »So kann man es eigentlich nicht nennen. Es ist nur… na ja, wir haben über die Praxis gesprochen.«

      »Ach, du liebe Zeit«, stöhnte Karina auf. »Mußte das sein, Stefan? Meine Güte, du bist noch nicht mal mit dem Studium fertig und…«

      »Trotzdem steht meine Entscheidung unumstößlich fest«, fiel Stefan ihr ins Wort. »Ich werde niemals mit Papa in der Praxis zusammenarbeiten. Du weißt, wie er mir im ersten Studienjahr zugesetzt hat – ohne es zu wollen natürlich, aber er hätte mich beinahe soweit gebracht, das Medizinstudium an den Nagel zu hängen.« Er senkte den Kopf. »Heute bin ich allerdings froh, daß ich es nicht getan habe. Ich bin sicher, daß ich mit Leib und Seele Arzt sein werde.« Jetzt sah er seine Schwester wieder an. »Aber ich versichere dir auch, daß ich niemals einen Fuß in Papas Praxis setzen werde. Ich habe andere Pläne.«

      »Damit brichst du ihm das Herz«, prophezeite Karina. »Du weißt genau, wie sehr er sich wünscht, die Praxis mit dir zusammen zu führen. Und irgendwann sollst du einmal sein Nachfolger werden.«

      »Frauenarzt in Steinhausen.« Stefan schüttelte den Kopf. »Nein, Karina, das ist nichts für mich.«

      Karina winkte ab. »Warte erst mal, bis du Gynäkologe bist. Ich fürchte, die Arbeit in einer Klinik ist kein Honigschlecken, das wirst du während deiner Assistenzzeit auch noch feststellen. Und vielleicht bist du dann froh, wenn du nach Steinhausen gehen kannst.«

      Wieder schüttelte Stefan den Kopf. »Du verstehst mich nicht. Es ist nicht nur Steinhausen und auch nicht die Praxis – es ist Papa. Er ist ein erstklassiger Arzt, und ich würde mich an seiner Seite immer minderwertig fühlen. Er hat langjährige Erfahrung, die ich mir erst erarbeiten muß, und er würde mich in seinem Bemühen, mir zu helfen, buchstäblich erdrücken.«

      Karina stellte den Gulaschtopf auf den Tisch, dann holte sie die Schüssel mit Reis und setzte sich.

      »Seltsam, ich habe das nie so empfunden«, meinte sie. »Ich war immer froh, wenn Papa mir geholfen hat – und das bin ich heute noch.«

      Stefan häufte sich Reis auf seinen Teller, dann bediente er sich mit Gulasch.

      »Du studierst auch nicht Medizin«, entgegnete er.

      Sinnend blickte Karina vor sich hin. »Wer weiß. Das könnte sich vielleicht ganz schnell ändern.«

      Fassungslos starrte Stefan seine Schwester an. »Heißt das, daß du… umsatteln willst?«

      Karina zuckte die Schultern. »Möglich. Wenn du Papas Praxis nicht willst – ich würde sie mit Handkuß nehmen.«

      »Deswegen mußt du aber doch nicht Medizin studieren«, wandte Stefan ein. »Du könntest die Praxis umbauen und eine Anwaltskanzlei…«

      Da tippte sich Karina mit einem Finger an die Stirn. »Du hast sie ja wohl nicht alle! Papa hängt mit ganzem Herzen an der Praxis. Glaubst du, da würde ich es über mich bringen, das alles umzubauen? Es würde Papa umbringen.«

      Stefan schüttelte den Kopf. »Meinst du nicht, daß du da ein bißchen übertreibst?«

      »Ganz bestimmt nicht. Und außerdem ist die Medizin ein Fach, das mich durchaus reizen könnte.« Dann zuckte sie die Schultern. »Aber ich bin ja noch jung. Um mich endgültig zu entscheiden, habe ich noch Zeit.«

      Stefan grinste herausfordernd. »Sei dir da nur nicht so sicher. Wenn dein Markus mal ernst macht, dann stehst du vor dem Traualtar, ehe du weißt, wie dir geschieht.«

      »Von wegen!« wehrte Karina vehement ab. Sekundenlang rang sie mit sich, ob sie ihrem Bruder die Wahrheit sagen sollte, entschloß sich jedoch, vorerst Stillschweigen zu bewahren. Er würde noch früh genug merken, daß zwischen ihr und Markus Schluß war. Und so fügte sie nur hinzu: »Mit dem Heiraten habe ich noch gar nichts am Hut. Erst kommt mein Studium, dann sehen wir weiter.« Und dabei dachte sie schon mehr an Medizin als an Jura.

      *

      Rainer Bergmann konnte sein Glück kaum fassen. Gleich am Montag hatte er den Mietvertrag mit Anna Deichmann unter Dach und Fach gebracht.

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