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gesagt hast, haben wir auch an der Uni gelernt.«

      »Es gehört eine ganze Menge dazu, das zuzugeben«, meinte Dr. Daniel, während er sich wieder auf den Bettrand setzte, dann griff er nach Stefans Hand. »Du wolltest deinen Kopf auf Biegen und Brechen durchsetzen, und vielleicht wolltest du mir beweisen, daß ein junger Medizinstudent mehr auf dem Kasten hat als ein promovierter Gynäkologe.«

      Tiefe Röte überzog Stefans Gesicht.

      »Nein, Papa«, wehrte er dann ab. »Ganz so war es nicht. Ich weiß genau, daß du ein erstklassiger Arzt bist, aber… als du mit Tee und Quarkwickeln angefangen hast…« Er zuckte die Schultern. »Ich dachte, wozu studiert man Medizin, wenn man sich dann mit Sachen behelfen muß, mit denen unsere Großmütter schon sämtliche Wehwehchen behandelt haben. Das ist doch ein Rückschritt.«

      Bedächtig schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »So solltest du das nicht sehen, Stefan. Die Behandlungsmethode richtet sich immer nach der Krankheit. Ein Scharlachkranker braucht Antibiotika, und so manchem Krebskranken wurde mit Chemotherapie geholfen. Aber wenn ich einen Schnupfen habe, dann nützt mir ein Kamilledampfbad weit mehr als alle chemisch hergestellten Nasentropfen. Verstehst du, was ich meine?«

      Stefan nickte. »Ja, Papa, ich glaube schon. Wenn ich eine schwere Rachenentzündung gehabt hätte, dann hättest du mir Penicillin gegeben, aber meine Halsschmerzen kamen lediglich von der Erkältung, und da erfüllte ein Quarkwickel eben auch seinen Zweck.«

      »Genauso ist es«, stimmte Dr. Daniel zu, dann stand er auf, holte eine Lampe, einen Spiegel und einen Löffel, bevor er sich wieder zu seinem Sohn aufs Bett setzte. »Du kannst dich von der Wirkung gleich selbst überzeugen.« Er gab Stefan den Spiegel in die Hand. »So, jetzt mach deinen Mund auf.« Mit der Lampe leuchtete Dr. Daniel den Rachen seines Sohnes ab, während er mit dem Löffelstiel dessen Zunge herunterdrückte. Und mit Hilfe des Spiegels konnte Stefan deutlich sehen, daß sein Rachen kaum noch gerötet war.

      Er seufzte leise. »Der Beweis wäre gar nicht nötig gewesen, Papa. Ich wußte von Anfang an, daß du recht hast – wieder einmal.«

      Aufmerksam sah Dr. Daniel ihn an. »Ist das der Grund, weshalb du nicht mit mir zusammen in der Praxis arbeiten möchtest?«

      Stefan senkte den Kopf. »Ja, Papa. Mit dir zusammen könnte ich wahrscheinlich niemals Selbstvertrauen entwickeln. Bei jeder Entscheidung hätte ich Zweifel, ob sie von dir auch anerkannt wird.«

      »Das ist doch Unsinn, Stefan«, wehrte Dr. Daniel betroffen ab. »Natürlich hätte ich in diesem Fall die größere Erfahrung, aber deshalb würde ich doch nicht versuchen, dich zu gängeln. In einer Gemeinschaftspraxis hat jeder seine Patienten, und keiner ist dem anderen Rechenschaft schuldig. Das hieße für dich, daß ich dir nur dann einen Rat erteilen würde, wenn du mich ausdrücklich darum bitten würdest.«

      Gegen seinen Willen mußte Stefan lächeln. »Das glaubst du ja selbst nicht, Papa. Erinnerst du dich noch an mein erstes Studienjahr? Wenn ich dir eine Frage gestellt habe, dann hast du mir eine vollständige Abhandlung des gesamten Themas geliefert – viel mehr, als ich überhaupt wissen wollte. Und du hast mich gezwungen, Dinge zu lesen, die ich noch gar nicht brauchte. Das war auch der Grund, warum ich noch vor dem Vorphysikum am liebsten alles hingeschmissen hätte. Und nur die Tatsache, daß ich durch einen Freund an die kleine Wohnung in München gekommen bin, die Karina und ich uns jetzt teilen, hat mich davon abgehalten. Ich wußte, daß ich mit dem Studium zurechtkommen würde, wenn ich erst mal außerhalb deiner Reichweite wäre.« Er sah seinen Vater bittend an. »Faß das nicht falsch auf, Papa. Ich weiß, daß du es nur gut gemeint hast. Du wolltest mir helfen, aber deine Hilfe kann einen manchmal erdrücken – zumindest empfinde ich das so.« Er schwieg kurz, dann lächelte er. »Aber keine Angst, ich habe dich trotzdem sehr lieb.«

      *

      Das Gespräch mit seinem Sohn hatte Dr. Daniel mehr zugesetzt, als er zugegeben hätte. War er Stefan gegenüber wirklich so beherrschend? Er hatte sich doch immer bemüht, für seine Kinder nur das Beste zu tun. Und nun war ausgerechnet seine Haltung der Grund, weshalb Stefan seine Praxis nicht übernehmen wollte.

      Ruhelos wälzte sich Dr. Daniel von einer Seite auf die andere und konnte doch keinen Schlaf finden. Als der Morgen graute, gab er es schließlich auf. Er ging leise ins Bad hinüber, duschte und setzte sich dann ein wenig trübsinnig in die Küche. Er fühlte sich nach der schlaflosen Nacht wie gerädert, konnte sich aber trotzdem nicht aufraffen, sich eine Tasse Kaffee aufzubrühen.

      »Guten Morgen, Papa.«

      Die Stimme seines Sohnes ließ Dr. Daniel hochschrecken.

      »Konntest du nicht schlafen?« wollte Stefan wissen, während er sich zu ihm an den Tisch setzte.

      »Das fragst du noch?« entgegnete Dr. Daniel fast ein wenig heftig. »Nach allem, was du mir gestern vorgehalten hast, kann ich schließlich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.«

      Stefan senkte den Kopf. »Ich wollte dich nicht verletzen, Papa, aber…« Jetzt sah er seinen Vater wieder an. »Ich mußte dir doch die Wahrheit sagen. Und Tatsache ist nun mal, daß ich deine Praxis niemals übernehmen werde. Bitte, sei mir nicht böse.«

      Dr. Daniel seufzte. »Ich bin dir nicht böse, Stefan, ich bin nur sehr enttäuscht. Als du damals angefangen hast, Medizin zu studieren, da… na ja, da habe ich bereits Pläne geschmiedet. Ich stellte mir vor, wie schön es sein würde, mit meinem Sohn Seite an Seite in dieser Praxis zu arbeiten. Stefan…« Seine Stimme bekam einen fast flehenden Klang. »Steht deine Entscheidung denn wirklich schon unumstößlich fest?«

      Stefan zögerte. Es fiel ihm schwer, seinem Vater so weh tun zu müssen.

      »Ja, Papa«, antwortete er dennoch. »So leid es mir tut.«

      Dr. Daniel unternahm einen letzten Versuch. »Ich mache dir einen Vorschlag, Stefan. Bring dein Examen und deine Assistenzzeit hinter dich, und dann sprechen wir noch einmal darüber.«

      »Wenn du glaubst, daß das etwas bringt – einverstanden«, entgegnete Stefan. »Allerdings muß ich dir der Ehrlichkeit halber sagen, daß sich an meinem Entschluß wahrscheinlich nichts ändern wird.« Dann stand er auf. »Ich mache uns jetzt Kaffee.« Er sah seinen Vater lächelnd an. »Meine Erkältung hast du gut kuriert, Papa.«

      »Dann bin ich also doch noch zu etwas zu gebrauchen«, entgegnete Dr. Daniel mit leiser Bitterkeit.

      Spontan trat Stefan zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Papa, bitte, nimm das alles nicht zu persönlich.«

      »Wie soll ich es denn dann nehmen?« entgegnete sein Vater.

      Stefan setzte sich wieder. »Schau mal, Papa, ich bin noch so jung, ich habe Pläne. Ich empfinde deine Art von Hilfe manchmal als erdrückend, aber das ist es nicht allein. Ich stelle mir für meine Zukunft einfach etwas anderes vor, als Frauenarzt in einem Ort wie Steinhausen zu werden. Ich weiß noch nicht genau, was ich möchte, aber ich weiß zumindest, was ich nicht will: Ich will hier nicht versauern.«

      Und da begriff Dr. Daniel, daß Wolfgang Metzler recht gehabt hatte. Er mußte Stefan einfach Zeit lassen. Er selbst hatte doch auch diese Träume gehabt: Ein großer Arzt zu werden, möglichst sogar mit einer eigenen Klinik. Aber irgendwann hatte er eingesehen, daß es gar nicht so schlecht war, als Gynäkologe in Steinhausen zu arbeiten. Und Stefan würde das vielleicht noch begreifen.

      *

      Obwohl er zum Umfallen müde war, raffte sich Dr. Daniel nach dem Mittagessen auf und fuhr nach Steinhausen hinunter, um die Familie Burgner zu besuchen. Die kleine Tanja öffnete ihm die Tür und sah ihn mit großen Augen an.

      »Grüß dich«, erklärte Dr. Daniel lächelnd. »Ich möchte zu Frau Deichmann. Ist sie zu Hause?«

      »Oma ist im Garten«, antwortete die Kleine. »Ich hole sie gleich.« Und schon wieselte sie davon.

      Es dauerte nur wenige Minuten, bis Anna Deichmann um das Haus herumkam, dann ging in ihrem Gesicht die Sonne auf.

      »Herr Doktor!« rief sie erfreut aus. »Das ist aber eine nette Überraschung.

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