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      Zusammen hatten sie das Haus dann angeschaut. Einige Zimmer waren noch voll möbliert, weil Anna Deichmann nur einen Teil ihrer Einrichtung im ausgebauten Dachgeschoß des Burgner-Hauses hatte unterbringen können.

      Rainer war das nur recht. Die Möbel gefielen ihm; sie machten das Haus gemütlich. Und was noch fehlte, ließ er von einer Möbelspedition aus den Räumen der Bergmann-Villa holen, die er mit Anke bewohnt hatte. Als er fertig war, sah er sich zufrieden um. Ja, hier war der richtige Ort, um ein ruhiges, glückliches Familienleben zu beginnen.

      Am nächsten Morgen fuhr er nach München und holte Anke und die kleine Claudia aus der Klinik. Doch sein erster Weg führte nicht nach Hause, sondern zur Praxis von Dr. Daniel.

      Die Sprechstunde hatte zwar schon begonnen, trotzdem nahm sich der Arzt ein paar Minuten Zeit für das junge Elternpaar.

      »Nun, wie ist alles gelaufen?« wollte er wissen.

      Rainer lächelte. »Sie sind unser guter Geist, Herr Dr. Daniel. Ich weiß nicht, was wir ohne Ihre Hilfe getan hätten. Und wie Sie schon prophezeit hatten, gab es mit Frau Deichmann nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sie schien überglücklich zu sein, weil sie helfen konnte.«

      Dr. Daniel nickte. »Ja, sie ist eine sehr liebe und hilfsbereite Frau.« Er legte Rainer und Anke je eine Hand auf die Schulter. »Dann steht Ihrem Familienglück jetzt nichts mehr im Wege, oder?«

      Die beiden tauschten einen verliebten Blick.

      »Nein, Herr Doktor«, antwortete Anke. »Jetzt ist unser Glück vollkommen.«

      »Fast«, schränkte Rainer grinsend ein, dann wies er auf die kleine Claudia, die friedlich in Ankes Armen schlummerte. »Ein paar solcher kleiner Bergmanns sollen schon noch dazukommen – möglichst gemischt, damit sich in unserem Haus auch wirklich etwas rührt.«

      Dr. Daniel lachte. »Da habe ich bei Ihnen beiden nicht die geringsten Zweifel, daß sich weiterer Nachwuchs bald einstellt.« Dann wurde er wieder ernst. »Und wie geht es mit der CHEMCO weiter?«

      Rainer zuckte die Schultern. »Seit meinem Auszug aus der Villa habe ich von meinem Vater nichts mehr gehört, obwohl er weiß, wo er mich erreichen kann. Ich vermute, er ringt noch mit sich, ob er meine Bedingungen akzeptieren soll oder nicht.«

      »Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dem, was Sie sagten, dann wird ihm wohl nichts anderes übrigbleiben«, vermutete Dr. Daniel.

      »Ich habe meine Worte vollkommen ernst gemeint«, erklärte Rainer mit Nachdruck. »Aber es steht meinem Vater ja frei, einen Geschäftsführer einzusetzen. Ich persönlich werde der CHEMCO jedenfalls keine Träne nachweinen. Dafür hat mich das Werk zuviel Ärger und schlaflose Nächte gekostet. Und ich hätte mir damit beinahe meine Nerven ruiniert. Das soll nie wieder passieren.«

      *

      Das Wochenende versprach strahlenden Sonnenschein, doch Karina Daniel konnte sich nicht so recht darüber freuen. Die Ungewißheit, der sie sowohl privat als auch beruflich entgegensteuerte, machte ihr arg zu schaffen.

      Sie war gerade auf dem Weg nach Steinhausen und hatte nun genügend Zeit, um über alles genau nachzudenken, denn bereits seit einer guten halben Stunde stand sie auf der Autobahn im Stau. In einigen Bundesländern hatten die Ferien begonnen, und nun strömte alles gen Süden.

      »Du bist nicht allein«, drang die Stimme eines Schlagersängers aus dem Autoradio.

      »Der hat gut reden«, knurrte Karina. Sie fühlte sich im Augenblick nämlich ganz entsetzlich allein. In der Liebe hatte sie ihre Entscheidung ja getroffen, und sie war sicher, daß sie diesen Schritt nicht bereuen würde – auch wenn Wolfgang Metzler für sie unerreichbar bleiben würde.

      Aber was sollte sie mit ihrem Studium machen? Sicher, sie hatte Jura nicht aus Leidenschaft gewählt. Viel lieber wäre sie Ärztin geworden. Es sollte ihr also eigentlich leichtfallen, jetzt noch umzusatteln. Andererseits hatte sie sechs Semester Jura studiert und mußte mit der Medizin nun völlig von vorn beginnen. Sie hatte also drei Jahre lang umsonst gearbeitet. War es das wirklich wert?

      Karina seufzte. Normalerweise hätte sie in einem solchen Fall ihren Vater um Rat gefragt, aber sie bezweifelte, daß er in diesem Punkt objektiv sein könnte. Er würde ihren Wunsch nach einem Wechsel vielleicht für eine momentane Laune halten, weil sie gerade in einen Arzt verliebt war.

      In die stehenden Autos kam langsam wieder Bewegung. Im Schrittempo kroch Karinas »Marienkäfer« – wie sie ihren Wagen liebevoll bezeichnete – weiter, und dann konnte sie schon die Ausfahrt sehen, an der sie die Autobahn endlich verlassen würde.

      Auf der Landstraße ging es zügig voran, und schließlich tauchten die ersten Häuser Steinhausens vor ihr auf. Karina erreichte die Weggabelung, die zur Villa ihres Vaters hinaufführte. Sie hatte den Blinker bereits gesetzt, doch dann fuhr sie geradeaus weiter, ohne genau zu wissen, warum.

      Sie schlug den Weg zum Waldcafé ein, stellte ihr Auto auf dem Parkplatz ab und spazierte den schmalen, gewundenen Weg zum Waldsee hinunter. Das glasklare Wasser glitzerte im Sonnenlicht, und mit einem tiefen Seufzer ließ sich Karina in das hohe Gras sinken, legte sich zurück und blinzelte zu den majestätisch aufragenden Tannen hinauf.

      Ein leises Rascheln hinter ihr ließ sie erschrocken hochfahren.

      »Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen…« Der Mann unterbrach sich, als er das junge Mädchen erkannte. »Karina. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«

      Ein strahlendes Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht. »Das macht nichts, Wolfgang.« Und dann wußte sie nicht, was sie noch sagen wollte. Das unverhoffte Auftauchen des Mannes, dem ihre ganze Liebe gehörte, brachte sie ein wenig durcheinander.

      »Darf ich mich ein bißchen zu dir setzen?« fragte Dr. Metzler.

      Karina nickte. »Natürlich, Wolfgang.« Sie blickte auf den See hinaus, um sich nicht zu verraten, denn sie war sicher, daß in ihren Augen alles zu lesen war, was sie fühlte.

      »Das habe ich am meisten vermißt« gestand Dr. Metzler leise. »Diesen See, das Rauschen der Tannen und diese gute würzige Luft.«

      »Ich könnte nie von hier weggehen«, gestand Karina. »Und sobald mein Studium beendet ist, werde ich nach Steinhausen zurückkommen.«

      Dr. Metzler schmunzelte. »Und was sagt dein Freund dazu?«

      Karina sah ihn an. »Ich habe keinen Freund.«

      Erstaunt zog Dr. Metzler die Augenbrauen hoch. »Robert… ich meine, dein Vater ließ so etwas verlauten…«

      »Damals entsprach das auch noch der Wahrheit«, erklärte Karina. »Wir haben uns getrennt.« Ihr Blick suchte wieder den See. »Wirst du hierbleiben, Wolfgang? Oder ist der Aufenthalt hier nur ein kurzer Urlaub für dich?«

      Dr. Metzler atmete tief durch. »Nein, ich bin heimgekehrt, und ich werde bleiben. Ich habe Pläne, die ich hier verwirklichen möchte.«

      Karina nickte. »Mein Vater sagte, daß du sehr hochgesteckte Ziele hast.«

      Dr. Metzler lachte. »Das kann ich mir vorstellen.« Dann wurde er wieder ernst. »Aber so unrecht hat er nicht. Ich will eine Klinik bauen.«

      Mit großen Augen sah Karina ihn an. »Eine Klinik? Hier in Steinhausen?« Sie schüttelte den Kopf. »Wie willst du jemanden finden, der dir in einem Ort wie Steinhausen eine Klinik finanziert? Noch dazu, wo das Kreiskrankenhaus praktisch um die Ecke steht.« Sie schwieg kurz. »Glaubst du nicht, daß du mit einer eigenen Praxis auch Menschen helfen könntest?«

      »Natürlich könnte ich das«, gab Dr. Metzler zu. »Und erst vor kurzem hat mir Dr. Gärtner angeboten, daß ich seine Praxis übernehmen könnte.«

      Dr. Arnulf Gärtner arbeitete seit Jahrzehnten als praktischer Arzt in Steinhausen. Er mußte schon weit über siebzig sein, und Karina wunderte sich, wie er es immer noch schaffte, Sprechzeiten und Hausbesuche hinter sich zu bringen.

      »Dann will er sich jetzt endlich zur Ruhe setzen?«

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