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sondern weil es von seinem Vater mehr oder weniger so angeordnet worden war. Er hielt Martin für den umsichtigsten seiner Söhne, und gerade bei diesen Witterungsverhältnissen wollte er die schwangere Claudia in guten Händen wissen, nachdem sie ihm in den vergangenen Monaten so sehr ans Herz gewachsen war.

      Normalerweise hätte Martin den Befehl seines Vaters liebend gern ausgeführt, doch seit seiner zarten Liebeserklärung, die von Claudia so herb zurückgewiesen worden war, hatte er Angst vor einem Alleinsein mit ihr. Er hatte ihr sein Herz geöffnet, doch sie schien nicht einmal besonders viel Sympathie für ihn zu hegen. Weshalb sonst würde sie ihm ständig aus dem Weg gehen? Und auch jetzt war sie offensichtlich nicht sehr glücklich über seine Begleitung, denn ihr Gesicht war starr wie eine Maske, während sie an seiner Seite den Hof verließ.

      Schweigend stapften sie durch den hohen Schnee talwärts. Claudia mußte sich konzentrieren, damit sie in ihrem Zustand keinen falschen Schritt machte und womöglich schwer stürzte. Trotzdem glitt sie auf dem schmalen Weg plötzlich aus und wäre wohl auch gefallen, wenn Martin nicht blitzschnell zugegriffen hätte. Obwohl Claudia einen dicken

      Anorak trug und Martins kräftiges Zupacken kaum unpersönlicher hätte ausfallen können, spürte sie die Berührung bis ins Herz. Hastig befreite sie sich aus seinem Griff und wollte ihren Weg fortsetzen, doch Martin hielt sie zurück.

      »Was ist los, Claudia?« wollte er wissen. »Ich habe dich doch nur vor einem Sturz bewahrt. Ist dir meine Begleitung denn so sehr zuwider?«

      Claudia schüttelte den Kopf, blickte dabei aber zu Boden.

      Abrupt wandte sich Martin wieder talwärts. »Ich werde Vater bitten, nächstes Mal Franz oder Thomas mit dir nach Steinhausen zu schicken.« In seiner Stimme klang dabei offene Bitterkeit.

      »Martin… bitte, ich…« Claudia stockte. Sie wußte nicht, was sie zu ihrer Entschuldigung hätte vorbringen können. Sie wollte Martin doch nicht verletzen – ihn am allerwenigsten. Trotzdem konnte sie sich gerade ihm gegenüber nicht so offen und unbeschwert geben, wie sie es sonst tat.

      Martin blieb stehen und sah sie an. »Was habe ich dir getan, daß du dich mir gegenüber plötzlich so abweisend verhältst? Anfangs sind wir doch so gut miteinander ausgekommen. Nimmst du es mir übel, daß ich dich mag? Daß du für mich mehr bist als nur eine Haushaltshilfe? Für meine Gefühle kann ich nichts, Claudia.«

      »Ich weiß«, entgegnete sie leise. »Und es liegt auch nicht an dir, Martin. Es ist nur… ich… ich will mit Männern nichts mehr zu tun haben.« Sie schwieg kurz. »Genügt dir diese Erklärung?«

      Martin senkte den Kopf. »Das muß mir wohl genügen.« Dann sah er Claudia wieder an. »Wer hat dir so weh getan? Welcher Mistkerl hat dich so hart werden lassen?«

      Claudia wandte sich ab. »Das geht dich nichts an. Bitte, Martin, laß mich endlich in Ruhe. Ich will nicht darüber sprechen.«

      Damit setzte sie ihren Weg den Kreuzberg hinunter fort. Martin zögerte einen Moment, dann folgte er ihr. Er schnitt das Thema nicht mehr an, doch in seinem Innern wuchs eiserne Entschlossenheit. Claudias Worte hatten ihm gezeigt, daß sie eine herbe Enttäuschung erlebt haben mußte, und Martin ahnte, daß der Vater ihres Kindes die Ursache für ihr Verhalten war.

      »Aber ich beweise ihr, daß es auch noch andere Männer gibt – Männer, die nicht nur von Liebe sprechen, sondern auch zu ihr stehen«, flüsterte er sich selbst zu, und es klang wie ein Schwur.

      *

      Claudia wollte ihre Gefühle nicht wahrhaben. Mit eiserner Verbissenheit kämpfte sie dagegen an, und der Grund dafür war ihre Angst. Sie wollte nicht noch einmal enttäuscht werden. Nachdem Eduard ihre Liebe so eiskalt verraten hatte, hatte sie sich geschworen, ihr Herz nie wieder einem Mann zu öffnen. Und obwohl sie tief in ihrem Innern wußte, daß Martin völlig anders war als Eduard, wehrte sie sich gegen die Gefühle, die in ihr aufzusteigen drohten.

      Sie war mittlerweile im sechsten Monat, und jetzt konnte sie ihre Schwangerschaft nicht mehr verbergen. Sie wollte es allerdings auch nicht, denn seit dem langen Gespräch mit Dr. Daniel freute sie sich wieder vorbehaltlos auf ihr Baby.

      »Fräulein Sandner, bitte.«

      Die Stimme der Sprechstundenhilfe riß sie aus ihren Gedanken. Rasch stand sie auf und folgte Lena Kaufmann ins Sprechzimmer. Als sie eintrat, erhob sich Dr. Daniel hinter seinem Schreibtisch und kam ihr lächelnd entgegen.

      »Nun, Claudia, wie fühlen Sie sich?« wollte er wissen.

      Claudia seufzte. »Von der Schwangerschaft her gut, aber sonst…« Sie ließ den Satz offen.

      Besorgt runzelte Dr. Daniel die Stirn. »Haben Sie Probleme auf dem Gröber-Hof? Macht Ihnen Vevi das Leben schwer?«

      Claudia schüttelte den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht. Ich habe Ihnen ja letztes Mal schon gesagt, daß wir uns ausgezeichnet verstehen.»

      »Also immer noch Martin«, vermutete Dr. Daniel. »Tja, Claudia, wenn Sie unter seiner Liebe gar so leiden, dann wäre es vielleicht besser für Sie, den Hof zu verlassen. Diesen Vorschlag wollte ich Ihnen ohnehin machen, allerdings nicht wegen Martin, sondern Ihretwegen. Sie leben auf dem Gröber-Hof ziemlich abgeschieden, außerdem ist der Auf- und Abstieg gerade im Winter nicht ungefährlich. Und nachdem die Vevi jetzt wieder auf dem Hof ist, wäre Ihr Weggehen für die Männer nicht gar so schlimm. Für ihr leibliches Wohl ist ja gesorgt. Was halten Sie davon, über die Wintermonate wieder ins Pfarrhaus zu ziehen?«

      »Nein, Herr Doktor, das möchte ich nicht«, wehrte Claudia ab. »Ich verstehe Ihre Besorgnis, aber… ich fühle mich wohl auf dem Gröber-Hof.«

      »So? Vorhin ließen Sie etwas anderes anklingen.«

      Mit einer fahrigen Handbewegung wischte sich Claudia über die Stirn. Martins Gesicht stand vor ihrem geistigen Auge – seine schwarzen Locken und die sanften dunklen Augen… sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß er in der Lage war, irgend jemandem weh zu tun. Aber war nicht auch Eduard am Anfang ihrer Beziehung so liebenswert gewesen?

      »Er ist genauso wie alle anderen«, erklärte sie aus diesen Gedanken heraus.

      »Wie bitte?«

      Dr. Daniel hatte ihrem Gedankengang nicht so ohne weiteres folgen können.

      »Ach, Herr Doktor«, seufzte Clauda. »Es ist… ja, es ist wegen Martin, aber nicht so, wie Sie vielleicht denken. Es ist vielmehr… ich habe Angst vor meinen eigenen Gefühlen. Ich will keinem Mann mehr Vertrauen schenken, weil ich mich vor einem weiteren Verrat fürchte. Und doch merke ich, wie Martin meinen festen Vorsatz ins Wanken bringt. Ich… ich fühle etwas ganz Eigenartiges für ihn.«

      Dr. Daniel zögerte mit der Antwort und betrachtete Claudia unterdessen sehr genau. Er ahnte, was in ihr vorging. Sie liebte Martin, und vielleicht wußte sie das sogar schon. Aber auch ihre Angst war verständlich.

      »Vielleicht sollten Sie sich und ihm einfach Zeit geben«, schlug Dr. Daniel schließlich vor. »Versuchen Sie, Martin besser kennenzuleren, und dann werden Sie sich auch über Ihre Gefühle bald klar werden. Und vergleichen Sie Martin nach Möglichkeit nicht mit Eduard. Martin Gröber ist ein einfacher, junger Bursche, für den Intrigen und Verrat Fremdworte sind. Er würde nie einen Menschen ausnutzen. Wenn er Ihnen also sein Herz schenkt, dann ist es ihm ernst damit.«

      Eine wohlige Wärme breitete sich bei diesen Worten in Claudia aus, doch als sie sich wenig später mit Martin traf, um den Rückweg zum Gröber-Hof anzutreten, da war ihre Angst schon wieder da. Martin war ein Mann, und Männer waren alle gleich. Woher sollte Dr. Daniel wissen, daß Martin so völlig anders sei als Eduard? Er kannte Eduard nicht, wußte nicht, wie zärtlich und liebenswürdig er gewesen war, als sie sich kennengelernt hatten. Er war genauso gewesen wie Martin jetzt, doch als es darauf angekommen war, hatte er sie einfach sitzenlassen – mit seinem Kind.

      Und nun sollte sie wieder einem Mann Vertrauen und Liebe schenken? Nein, das war eindeutig zuviel verlangt. Sie würde allein bleiben – allein mit ihrem Kind. Damit waren sie beide sicher besser dran.

      *

      Der

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