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um die schmalen Schultern des Mädchens und geleitete es aus der Kirche. »Komm erst mal mit zu mir. Da kannst du ein heißes Bad nehmen, und meine Haushälterin wird dir etwas zu essen machen.«

      Zusammen mit Claudia betrat er das Pfarrhaus. Schon im Flur kam ihnen eine sympathisch aussehende Frau um die sechzig mit grauer Löckchenfrisur entgegen. Als sie Claudia erblickte, schlug sie entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen.

      »Ja, Hochwürden, wo kommt denn dieses Mädchen her?« fragte sie erschrocken.

      Der Pfarrer lächelte gütig. »Ist ein armes, streunendes Kätzchen, das ein bißchen Liebe und Pflege braucht.« Er sah Claudia an. »Ich heiße übrigens Klaus Wenninger, und das«, er wies auf die Frau, »ist meine Haushälterin Gerdi Schuster. Sie ist schon ein halbes Menschenleben lang bei mir.« Er wandte sich der noch immer sehr entsetzt wirkenden Frau zu. »Kommen Sie schon, Gerdi, schauen Sie nicht so langsam. Richten Sie der Kleinen ein heißes Bad her. Und Hunger wird sie auch haben.«

      Eine Stunde später saß Claudia mit dem Pfarrer und seiner Haushälterin am Tisch und aß voller Appetit schon den dritten Teller Gemüseeintopf. Dann sah sie mit einem scheuen Lächeln auf.

      »Wie kann ich das jemals gutmachen, Hochwürden?«

      Klaus Wenninger schüttelte den Kopf. »Gutmachen ist nicht nötig, mein Kind. Erzähl mir einfach deine Geschichte, ja?«

      Doch da schüttelte Claudia bestimmt den Kopf. »Tut mir leid, Hochwürden, das kann ich nicht.«

      Der Pfarrer nickte. »Gut, dann sag mir nur deinen Namen.«

      »Claudia Sandner«, antwortete sie leise.

      »Claudia«, wiederholte Hochwürden Wenninger. »Ein schöner Name. Nun, Claudia, ich bin sicher, daß du müde bist. Komm, ich zeige dir dein Zimmer.« Und schon stieg er ihr voraus die Treppe hinauf und öffnete eine Tür auf der linken Seite.

      Ein wenig überrascht musterte Claudia das kleine Zimmer, dessen zarte Blümchentapete dem Raum einen jungmädchenhaften Charakter verlieh – äußerst ungewöhnlich für ein Pfarrhaus, doch Hochwürden Wenninger benutzte dieses Zimmer auch nur, um verirrten oder heimatlosen »Schäfchen« eine Unterkunft zu gewähren. Ein wunderschönes, gerahmtes Christusbild hing an der Wand über dem Bett, und neben der Tür war ein kleiner Weihwasserkessel, den zwei sich umarmende Engel hielten.

      Impulsiv tauchte Claudia die Fingerspitzen ein und schlug das Kreuzzeichen. Klaus Wenninger bemerkte es mit einem wohlwollenden Lächeln.

      »So, Claudia«, meinte er. »Jetzt schlaf dich erst einmal richtig aus, dann sehen wir weiter.«

      Claudia nickte, zögerte und umarmte den gütigen Pfarrer dann.

      »Ich danke Ihnen, Hochwürden. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen.«

      *

      Als Claudia erwachte, schien die Sonne zum Fenster herein. Im ersten Augenblick wußte sie nicht, wo sie war, dann kam die Erinnerung zurück. Sie befand sich im Haus des freundlichen Pfarrers. Einen Augenblick blieb Claudia noch liegen und überlegte, wie lange sie wohl geschlafen haben mochte.

      Unwillkürlich glitten ihre Hände dabei über die kleine Wölbung ihres Bauches. Sie war erst im zweiten Monat – ihrer Figur war die Schwangerschaft also noch nicht anzusehen. Trotzdem hätte ein guter Beobacher wohl gespürt, was mit ihr los war.

      Jetzt stand Claudia auf, trat an das kleine Waschbecken, das im Zimmer installiert war, und wusch sich, bevor sie sich wieder ankleidete und ein wenig unsicher nach unten ging. Obwohl der Pfarrer sie so freundlich und ohne zu fragen aufgenommen hatte, fühlte sie sich doch wie ein Eindringling.

      »Na, Claudia, hast du gut geschlafen?«

      Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie von Hochwürden Wenninger so unerwartet angesprochen wurde.

      »Das tut mir aber leid«, meinte er sofort. »Erschrecken wollte ich dich nicht.«

      Der nächste Schrecken kam aber gleich hinterher, denn in diesem Moment jagte ein Fellknäuel auf Claudia zu, sprang an ihr hoch und begrüßte sie mit freudigem Bellen und Jaulen. Erst jetzt erkannte Claudia, daß es sich um einen Hund handelte, dessen Rasse unmöglich festzustellen war.

      »Wastl, bist du denn verrückt geworden!« schimpfte der Pfarrer. »Du kannst unseren Gast doch nicht so überfallen!« Dann lächelte er das Mädchen an. »Aber er scheint dich zu mögen, Claudia.«

      Sie ging in die Hocke und streichelte den um sie herumwieselnden Hund.

      »Ich habe Tiere auch ganz besonders gern«, erklärte sie dabei. »Hier hatte ich nur mit keinem Hund gerechnet, deshalb bin ich so erschrocken.«

      »Also, Wastl, dann stell dich mal artig vor«, befahl Hochwürden Wenninger.

      Der Mischlingshund setzte sich und hob eine Pfote. Mit dem leicht geöffneten Maul und der heraushängenden Zunge sah er aus, als würde er lachen. Und es gab wohl niemanden, der diesem Charme hätte widerstehen können.

      »Bist du aber gut erzogen«, stellte Claudia fest.

      »Das täuscht«, entgegnete der Pfarrer trocken. »Warte nur, bis der Briefträger kommt. Dann kannst du meinen Wastl kennenlernen.« Er berührte Claudia an der Schulter. »So, mein Kind, jetzt komm mal mit. Ich möchte ein bißchen mit dir plaudern.«

      Claudia folgte dem Pfarrer in eine gemütlich eingerichtete Stube.

      »Hier schreibe ich meine Predigten«, erklärte er, dann winkte er ab. »Alles Übertreibung. Im Grunde sage ich auch in der Kirche immer, was ich denke. Meine Schäfchen werden gelobt oder ausgeschimpft – wie sie es gerade brauchen.«

      Claudia mußte lächeln. Dieser Dorfpfarrer erinnerte sie an die alten Don-Camillo-Filme, mit Fernandel in der Hauptrolle. Und sie hätte ihn sich gut im vertrauten Gespräch mit dem lieben Gott oder aber Wirtshausbänke schwingend vorstellen können – so wie Don Camillo es seinerzeit gemacht hatte. Bei dem Vergleich mußte sie ein wenig lächeln.

      »Wie hübsch ein Mädchengesicht gleich aussieht, wenn der Mund lächelt«, bemerkte Pfarrer Wenninger. »Als du gestern gekommen bist, hast du so traurig ausgesehen.«

      Claudia seufzte. »Das hat auch einen Grund, Hochwürden.« Sie senkte den Kopf. »Ich bin arbeitslos und habe kein Zuhause mehr. Und der einzige Mensch, von dem ich mir noch Hilfe erhofft hatte, war meine Tante, doch auch sie kann mich auf Dauer nicht bei sich aufnehmen.« Sie zuckte die Schultern. »Ich war so verzweifelt, und da bin ich in der Nacht einfach losgelaufen. Irgendwann wollte ich nur noch sterben.«

      »Obwohl du ein neues Leben unter dem Herzen trägst?«

      Claudia errötete. »Das haben Sie gemerkt, Hochwürden?«

      »In meinem Kopf mag zwar manchmal der Kalk rieseln, aber meine Augen sind noch ausgezeichnet«, entgegnete der Pfarrer.

      Unwillkürlich blickte Claudia an sich hinab. »Aber… man kann doch noch gar nichts sehen.«

      »An deinem Bauch freilich nicht«, meinte Klaus Wenninger. »Aber in deinem Gesicht. Allein ein Blick in deine traurigen Augen spricht Bände.« Er schwieg kurz, dann fragte er: »Wer ist denn der Vater von dem kleinen Wurm?«

      Claudia schüttelte den Kopf. »Das ist eine Geschichte für sich.«

      »Die du mir offensichtlich nicht erzählen willst«, vermutete Klaus Wenninger.

      Claudia zwang sich zu einem Lächeln. »Seien Sie mir nicht böse, Hochwürden, aber… es tut noch zu weh.«

      Der Pfarrer nickte verständnisvoll. »Gut, Claudia, ich will dich zu nichts zwingen. Aber eines mußt du mir versprechen: Du mußt dich untersuchen lassen. Schließlich wollen wir doch nicht, daß deinem Baby etwas passiert.«

      »Ich kenne hier niemanden«, wandte Claudia leise ein. »Ich weiß ja nicht einmal, wo ich bin.«

      Da lächelte der Pfarrer. »Du bist in Steinhausen. Und wir haben hier einen ausgezeichneten Frauenarzt – Dr. Daniel. Ich bin

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