ТОП просматриваемых книг сайта:
Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman. Marie Francoise
Читать онлайн.Название Dr. Daniel Paket 1 – Arztroman
Год выпуска 0
isbn 9783740948535
Автор произведения Marie Francoise
Жанр Языкознание
Серия Dr. Daniel Paket
Издательство Bookwire
»Das heißt, daß ich das Baby behalten werde.« Claudia streckte eine Hand aus, um ihre Mutter zu berühren, doch diese wich aus. »Mama, ich habe mir dieses Baby gewünscht – unter anderen Voraussetzungen zwar, aber es ist noch immer das Kind, das ich mit Freuden empfangen habe. Und ich denke nicht daran, es zu töten.«
Da stand Helene Sandner auf.
»Wir werden sehen«, war ihr einziger Kommentar, dann ließ sie Claudia allein.
Als wenig später ihr Vater nach Hause kam, hörte Claudia, wie ihre Mutter ihm sofort Bericht erstattete. Im nächsten Moment stand Konrad Sandner im Zimmer und starrte auf seine Tochter hinunter. Es schien Claudia, als habe sie ihn noch niemals so zornig gesehen.
»Was fällt dir ein, dich deiner Mutter so zu widersetzen!« herrschte er sie an. »Solange du in unserem Haus lebst, wirst du tun, was wir dir sagen. Und in diesem Fall befehle ich dir, daß du dir von einem Arzt helfen läßt.«
Doch Claudia schüttelte wieder den Kopf. »Nein, Papa, eine Abtreibung kommt für mich nicht in Frage.«
»Das werden wir ja sehen.« Damit verließ er den Raum und Claudia hörte, wie er einige Telefongespräche führte. Langsam trat sie zur Tür und hörte gerade noch, wie ihr Vater einen Termin für sie vereinbarte. Blankes Entsetzen stieg in ihr hoch.
»Das also ist deine Auslegung von Zusammenhalt in der Familie!« schrie sie ihn mit sich überschlagender Stimme an. »Aber darauf kann ich verzichten!«
Und wie von Furien gehetzt rannte sie auf ihr Zimmer, packte in fliegender Hast einige Sachen zusammen und verließ noch in derselben Stunde das Haus ihrer Eltern. Niemand hielt sie zurück.
*
Wie von Furien gehetzt rannte Claudia die Straße hinunter. Sie lief, als wolle sie vor dem eben Erlebten davonlaufen, doch die harten Worte ihrer Eltern verfolgten sie.
Schwer atmend blieb sie schließlich stehen und lehnte sich an das Brückengeländer. Unter ihr floß die Isar, große, spitze Steine ragten aus dem Wasser, und Claudia wußte bald nicht mehr, wie lange sie schon hier stand, in die Tiefe starrte und sich fragte, ob sie springen sollte. Dort unten wäre sie all ihre Sorgen los – für immer.
»Schau mal, Klausi, siehst du die Schwäne?«
Erschrocken fuhr Claudia herum. Neben ihr stand eine junge Frau mit einem etwa zweijährigen Jungen auf dem Arm.
»Swäne«, plapperte der Kleine nach.
In diesem Moment wußte Claudia, was sie zu tun hatte. Eduard und ihre Eltern waren es nicht wert, daß sie sich das Leben nahm, aber ihr Kind war es wert, daß sie weiterlebte, um ihm eine gute Mutter zu sein. Sie würde ihr Baby allein großziehen. Und sie war sicher, daß sie es schaffen würde.
Spontan lief Claudia der Frau mit dem Kind nach und hielt sie am Arm fest.
»Ich danke Ihnen«, erklärte sie. »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Sie haben mir sehr geholfen.«
Dann ging sie weiter ohne den erstaunten Blick der jungen Frau wahrzunehmen. Ihr Kopf arbeitete plötzlich präzise wie ein Uhrwerk. Sie war arbeitslos, hatte hier in München also auch keine Verpflichtungen. Und es gab einen Menschen, der ihr sicher helfen würde.
Und so führte Claudias erster Weg zu ihrer Bank. Sie hatte Glück und huschte gerade noch in den Schalterraum, bevor das Institut schloß. Der Angestelle, der jetzt nach ihren Wünschen fragte, schien nicht gerade erfreut über ihr Auftauchen zu sein. Offensichtlich hatte er sich schon im Feierabend gewähnt. Doch Claudia hatte nicht vor, den jungen Mann lange aufzuhalten. Sie ließ sich lediglich ihr gesamtes Guthaben auszahlen, dann machte sie sich auf den Weg zum Bahnhof, löste eine Fahrkahrte und nahm den nächsten Zug nach Bad Tölz. Von hier aus waren es nur noch ein paar Schritte bis zu dem Haus, in dem ihre Tante Ottilie wohnte.
»Claudia! Das ist aber eine hübsche Überraschung!« rief die rundliche Frau mit den zu einem Knoten aufgesteckten grauen Haaren. »Du warst ja schon eine Ewigkeit nicht mehr bei mir zu Besuch.«
Claudia fiel ihrer Tante um den Hals und brach an ihrer Schulter in Tränen aus.
»Tante Otti, du mußt mir helfen«, schluchzte sie verzweifelt. »Ich… ich bekomme ein Baby!«
Claudia spürte, wie ihre Tante sich versteifte, dann rückte sie ein Stück von ihrer Niche ab.
»Ein Baby?« wiederholte sie fassungslos. »Aber, Kind, du bist doch noch gar nicht verheiratet.«
Unwillkürlich begann Claudia zu frösteln. Sollte auch dieser Weg vergebens sein?
»Muß man verheiratet sein, um schwanger werden zu können?« fragte sie leise, dann senke sie den Kopf. »Tante Otti, ich war sicher, daß der junge Mann, von dem dieses Baby ist, mich heiraen würde. Aber… aber vor einer Woche, da hat er eine andere kennengelernt, und ich mußte einsehen, daß alles… alles nur ein Spiel für ihn war.« Mit offener Verzweiflung im Blick sah Claudia auf. »Bitte, Tante Otti, hilf mir. Ich bin arbeitslos, und… ich weiß nicht, wohin ich sonst noch sollte.«
Ottilie Hartl zögerte. »Natürlich kannst du fürs erste hierbleiben, Claudia, aber… eine Lösung auf Dauer ist das auch nicht. Versteh mich nicht falsch. Ich möchte dir gern helfen, aber… die Wohnung ist klein, und ich darf keinen Untermieter hier aufnehmen. Und wenn erst das Kind da ist… ich fürchte, du mußt dich nach etwas anderem umsehen.« Sie tätschelte Claudias Hand, um ihren Worten die Härte zu nehmen. »Aber bis du etwas gefunden hast, kannst du bleiben.«
»Danke, Tante Otti«, murmelte Claudia niedergeschlagen.
*
Sie war keinen einzigen Schritt weitergekommen, und das wurde ihr erst so richtig bewußt, als sie abends in dem winzigen Gästezimmer im Bett lag. Tränen liefen wieder über ihr Gesicht, und dann stand sie plötzlich auf und zog sich an. Ohne richtig zu wissen, was sie tat, verließ sie mit ihrem kleinen Koffer die Wohnung der Tante, trat auf die Straße und ging einfach los – ohne ein Ziel vor Augen.
Die aufsteigende Müdigkeit ließ ihre Beine immer schwerer werden. Mühsam stolperte sie durch die Dunkelheit, und als sie einmal hinfiel, blieb sie einfach liegen, schloß die Augen und war sicher, nie wieder erwachen zu müssen. Sie wollte sterben, und sie hoffte, daß sie hier in der Kühle der Nacht auch sterben würde. Doch als der Morgen graute, erwachte Claudia wieder. Mühsam rappelte sie sich auf und ging langsam weiter.
Wenn nicht diese Nacht, dann eben in der nächsten, dachte sie. Irgendwann wird mich der Tod von diesem elenden Dasein erlösen.
Sie hielt den Blick gesenkt und sah so nicht die Häuser, die vor ihr auftauchten. Erst als sie das Ortsschild passierte, bemerkte sie, daß sie nicht länger auf einsamen Wegen vor sich hin stolperte. Mit brennenden Augen betrachete sie die adretten Vorgebirgshäuschen und sehnte sich danach, hier irgendwo Schutz und Geborgenheit zu finden.
Dann erblickte sie die Kirche und ging ohne zu zögern darauf zu. Die Tür knarrte ein wenig, als Claudia sie öffnete, und dann umfing sie auch schon der Duft von Weihrauch und brennenden Kerzen. Langsam trat sie zu den Betbänken, kniete auf einer der Bänke nieder und versank in ein stummes, nach Hilfe flehendes Gebet. Und die Gottesmutter, die so gütig auf das verzweifelte Mädchen hinunterblickte, schien Erbarmen mit ihr zu haben. Es war, als hätte sie der Mann, der jetzt auf der Sakristei trat, gerufen.
»Guten Morgen, mein Kind«, sprach er das junge Mädchen an, das so mutterseelenallein in der Kirche kniete. »Du siehst aus, als wärst du vor etwas auf der Flucht.«
Mühsam erhob sich Claudia und strich durch das wirr gewordene Haar. Die Hose und die Bluse, die sie trug, waren schmutzig vom langen Liegen auf dem feuchten, steinigen Weg. Auch ihr Gesicht wies nur noch vereinzelte Spuren der einstigen Schönheit auf – Kummer und Schmutz hatten es fast bis zur Unkenntlichkeit verändert.
»Das bin ich auch, Hochwürden«, flüsterte Claudia. »Auf der Flucht vor dem Leben.« Sie sah in das gütige Gesicht des Pfarrers. »Heute nacht wollte ich sterben. Ist das eine Sünde?«
Er