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Peking-Paris im Automobil. Luigi Barzini
Читать онлайн.Название Peking-Paris im Automobil
Год выпуска 0
isbn 4064066114398
Автор произведения Luigi Barzini
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Der Aufstieg war zu Ende. Der Abstieg stellte sich als noch abschüssiger heraus; stets führte der Weg steil am Berge hin. Wir schirrten die Tiere aus und lösten die Seile, um sie an den hinten befindlichen Haken zu befestigen. Alle Kraft mußte darauf verwandt werden, das Automobil auf dem abschüssigen Wege aufzuhalten. Alle Mann stellten sich wie beim Seilziehen in zwei Reihen auf. Ettore stellte den Hebel auf die erste Geschwindigkeit ein. Auf diese Weise wäre das Automobil, selbst wenn die Seile rissen und die Bremsen nicht faßten, nicht mit der fürchterlichen Schnelligkeit eines Falles hinuntergesaust, sondern wenigstens einigermaßen von dem Motor aufgehalten worden, und es wäre somit noch möglich gewesen, es zu lenken, wenn auch nicht zu retten. Als alles bereit war, ertönte das Kommando: Vorwärts! Das graue Ungeheuer begann, sich in den Abgrund hinabzusenken.
Es schien, als wolle es sich dafür rächen, daß es gezogen worden war. Jetzt war es das Automobil, das laufen wollte. Es paßte auf alle Unvorsichtigkeiten der Menschen auf, zur Flucht bereit, der geringsten Lockerung der Spannung nachgebend; man hätte glauben können, es erwarte den günstigen Augenblick zur Empörung und wolle sich die Bändigung seiner Kraft nicht länger gefallen lassen. Ein Augenblick hätte genügt, es hätte genügt, daß eine momentane Störung in dem Zusammenwirken der Kräfte eintrat, daß die Anstrengung der Muskeln in kaum merklicher Weise nachließ, und die große Maschine wäre hinuntergestürzt, uns alle mit sich reißend. Eine Zeitlang schien sie gegen die Hemmung durch die Bremsen unempfindlich zu sein. Nach hinten geworfen, das Kinn auf der Brust, die Füße gegen den Erdboden gestemmt, Beine und Arme gestrafft, die Zähne zusammengebissen, den Atem angehalten, so kämpften wir alle, Chinesen und Europäer, mit vereinten Kräften. Zum Glück war es nur für einen kurzen Augenblick. Die neuen, gut geölten Bremsen griffen nur langsam ein, aber endlich taten sie es doch. Ettore kannte seine Bestie und war voll Vertrauen; er wußte sie zur rechten Zeit zu zähmen. Als wir haltmachen wollten, legten wir große Steine unter die Räder mit der Eile eines, der eine Barrikade errichten will, um den Feind aufzuhalten. Dann ruhten wir aus und ließen das Automobil allein in einer recht vertrackten Lage vornübergeneigt zurück, während die langen Seile sich hinter ihm wie zwei mächtige Schweife am Boden entlang ringelten. Bald erreichten wir wieder die Ebene und nahmen froh unseren Marsch zwischen dem Gebirge und dem Hun wieder auf.
Der Pfad führte uns zu einem Dorfe, Schau-huai-huan, das halb versteckt zwischen dichten Weidenbäumen lag und von Reisfeldern umgeben war. Die Straße war sumpfig geworden. Der Boden, klebrig und naß, vom Regen durchweicht, gab nach. Die Räder versanken bis zur Hälfte der Speichen darin, und der zähe Schlamm setzte sich an den Radkränzen und den Gummireifen fest, häufte sich hier an und gab den Rädern die abenteuerlichsten Formen und Umrisse; es schien, als bewege sich das Automobil auf Rollen aus Erde. Auch unsere Stiefel erfuhren eine unbequeme Vergrößerung; der Schmutz bedeckte sie mit dicken Krusten, die wir von Zeit zu Zeit durch Schütteln und durch Wegschleudern entfernten. Wir glitten aus, das Ausschreiten wurde uns schwer. Die Kulis mußten jede Minute halten und ausruhen. Wir begegneten einer Karawane von Maultieren, die mit mongolischen Fellen beladen waren; zwei Tiere wichen, erschreckt durch das Automobil, vom festen Pfade ab und versanken bis an den Leib.
Im Sumpflande bei dem Dorfe Schau-huai-huan.
In der Nähe des Dorfes stand die Straße unter Wasser. Zur Rechten und Linken dehnten sich von hohen Dämmen umgebene und trotzdem ebenfalls überschwemmte Reisfelder aus. Es gab keine Wahl; wir mußten durch. Unsere Leute entblößten ihre Beine und wateten in den Pfuhl hinein. Der Übergang schien trotz seiner Länge gut vonstatten zu gehen. Hoffnungsvoll maßen wir mit den Augen die Entfernung bis zum trockenen Lande. Noch zwei Minuten, und wir waren in Sicherheit. Das Wasser gurgelte unter unseren Schritten.
Mit einem Male blieb das Automobil stehen.
„Vorwärts, vorwärts!“ rief Ettore.
„Dummköpfe!“ riefen wir, „gerade in diesem Augenblick ausruhen zu wollen!“
„Weiter, weiter! Eine Rast ist jetzt verhängnisvoll. Wir versinken!“
Die Automobile im Hofe der Russisch-Chinesischen Bank in Kalgan.
Aber die armen Chinesen hatten nicht freiwillig haltgemacht. Sie begriffen die Gefahr sehr wohl. Sie zogen aus Leibeskräften und schrien vor Aufregung. Die drei Tiere stemmten die Hufe unter einem Hagel von Peitschenhieben ein und streckten ihre mageren Hälse vor. Die Seile waren gespannt, das Chassis ächzte. Vergebens. Die Maschine schien festgenagelt zu sein. Mehrmals wurde der Versuch, sie zu bewegen, wiederholt, bald langsam, bald heftig, in jeder Weise. Man mußte andere Mittel ausfindig machen. Wir schickten uns an, Ketten um die Bäume zu schlingen und Taue zu benutzen. Die Chinesen aber, die mit ihren nackten Füßen auf dem Grunde des Wassers hin und her tasteten, fühlten, daß die Räder an etwas gestoßen hatten. Pietro berichtete es uns.
„Großer Stein!“
Ein großer Stein? Die Hebel her! An die Arbeit! Wir waren entschlossen, selbst einen Berg zu zertrümmern, als die Kulis, die mit den Händen nach einem Ansatzpunkte für die Hebel suchten, erkannten, daß es sich nicht um einen Stein handle. Und Pietro erklärte:
„Große Wurzeln!“
In der Tat waren es die Wurzeln einer riesigen Weide, die ein wenig abseits stand, üppig grünend und so gleichgültig, als träfe sie nicht die geringste Verantwortung. Es war nichts anderes zu machen, als die Wurzeln mit der Axt abzuhauen. Eine seltsame und ganz neue Arbeit beim Automobilsport! Wer uns gesehen hätte, hätte geglaubt, wir wären mit dem märchenhaften Unternehmen beschäftigt, das Wasser zu spalten. Die Hiebe fielen regelrecht; ein in den Grund gesteckter Pfahl gab die Richtung an, in der sie geführt werden mußten.
Die abgehauenen Wurzeln wurden mit den Armen gefaßt, gezogen, herausgerissen, gezerrt und gedreht, bis die Räder völlig frei waren. Dann verließen wir rasch den Pfuhl und legten einige Kilometer ohne anzuhalten zurück, froh, wieder einen Weg zu finden, der, wenn er auch schlecht war, uns doch nicht heimtückisch mit unsichtbaren Gefahren bedrohte. Der Weg führte uns auf das sandige Flußufer zurück und wand sich dann von neuem zwischen Feldern, Hainen und Dörfern hindurch. An jeder Pfütze machten wir halt, um mit einem wohligen Gefühl Hände und Gesicht in das frische Wasser zu tauchen.
„Where do you go?“ — „Wohin wollen Sie?“
Diese Frage, die in englischer Sprache an uns gerichtet wurde, während wir an einem einsam und verlassen dastehenden Tempel vorbeikamen, bewirkte, daß wir uns mit der größten Verwunderung umwandten. Wir sahen nur einen Chinesen, der im Schatten eines Baumes saß und uns unverwandt betrachtete. War er es, der uns angeredet hatte?
„Wo wollen Sie hin?“ wiederholte er.
„Nach Kalgan. Und Sie, wer sind Sie?“
„Ich bin ein Ingenieur der Kalganer Eisenbahn.“
„Und was treiben Sie hier?“
„Ich studiere.“
„Was studieren Sie?“
„Die Kalganer Eisenbahn.“
„Viel Vergnügen.“
„Warten Sie doch!“
„Warum?“
„Ich will mich von Ihnen verabschieden.“
Und der wackere Ingenieur unterbrach das Studium der Kalganer Eisenbahn, das große Ähnlichkeit mit einem sanften Schlummer hatte, und kam würdevoll auf uns zu, um zu zeigen, daß er mit den fremden Sitten vertraut war. Er streckte uns allen die Hand hin, wiederholte: „Adieu, adieu!“ und kehrte in den Schatten seines Baumes zurück.
Wir machten halt, um in dem Wirtshaus des Dorfes Schan-schui-pu einige miserable Brotfladen