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Peking-Paris im Automobil. Luigi Barzini
Читать онлайн.Название Peking-Paris im Automobil
Год выпуска 0
isbn 4064066114398
Автор произведения Luigi Barzini
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ein schwieriger Aufstieg im Lien-ya-miao-Gebirge.
Wir kommen an einen Ort, Tum-ba-li, dessen in der Mauer befindliches Tor so eng ist, daß wir nicht hindurchkönnen. Wir fahren langsam auf grünen Wiesen im Halbkreise vorbei. Bei einem Dorfe machen wir halt. Der Motor hat Durst und wir auch. Eine gutmütige Menge umringt uns, bietet uns frisches, klares Wasser an und unterzieht den unteren Teil des Automobils einer genauen Prüfung. Man streitet, man kommt näher; kühne junge Leute bücken sich bis zur Erde, um die Schutzwand des Geschwindigkeitsgetriebes besser betrachten zu können. Dann bücken sich alle. Das Geschwindigkeitsgetriebe interessiert sie augenscheinlich. Auch wir sehen nach und suchen vergebens zu ergründen, was ihre Aufmerksamkeit in so hohem Grade fesseln könne. Die Szene ist komisch. Einer faßt Mut und bittet uns mehr mit Gesten als mit Worten um eine Erklärung. Ah, endlich verstehen wir. Sie fragen, wo das Tier ist! Das Pferd ist nicht vorn, es muß also da drinnen stecken. Um so mehr — bemerkt einer, mit ausdrucksvoller Mimik auf den Eimer deutend —, als man ihm durch ein Loch zu saufen gibt. Es ist schwer zu fassen, wo der unglückselige Vierfüßer eingesperrt ist. Ettore will ihnen praktische Erläuterungen geben und öffnet das Motorgehäuse, um ihnen die Zylinder zu zeigen. Aber die Leute blicken mit dem Ausdrucke der tiefsten Überzeugung nach wie vor nach unten. Wir lassen sie bei ihrem Staunen.
Später holten wir die Sänften ein, die uns am Morgen überholt hatten. Die Maultiertreiber sprangen aus dem Sattel, um die aufgeregten Tiere zu beruhigen, die in jähem Schreck wild durcheinander rannten; die Sänften, die zuerst hin und her schwankten wie Nachen auf bewegter See, machten gegen den Willen der Insassen halt infolge der entgegengesetzten Meinungen, die die an das Gefährt gespannten Maultiere über die einzuschlagende Richtung sehr energisch betätigten. Wir konnten noch sehen, wie hinter den emporgehobenen und zur Seite geschobenen Vorhängen die würdigen Reisenden uns mit der Miene des tiefsten Erstaunens betrachteten, das nicht frei von Unwillen war; rasch fuhren wir an ihnen vorbei, indem wir ihnen ein freundliches Lebewohl zuriefen. Dies war unsere Rache.
Am Abend machten wir in einem reizenden Dorfe halt, in Schem-pao-wan, das von wahrhaft patriarchalischem Alter ist. Innerhalb der Mauern herrscht eine bezaubernde Ruhe, man hört nur das Gezwitscher der Vögel. An jeder Tür hängen an dem oberen Balken zwei bis drei Käfige mit singenden Wüstenlerchen; ihre Triller erfüllen die Luft. Es ist eine seltsame, durchdringende, volle, laute Musik, der die auf den Schwellen hockenden Bewohner schweigend lauschen. Die Mongolen bringen von ihren Ebenen Tausende dieser zierlichen gefangenen Sänger, für die die Chinesen eine große Vorliebe zeigen, auf den Markt. Die Chinesen geben ihren Stimmen den Vorrang vor jedem andern Ton, als ob sie in ihnen etwas Göttliches erkennten. Die überschwemmte Dorfstraße hat sich in einen Sumpf verwandelt, in dem sich die Häuser und das Blau des Himmels widerspiegeln. Seit uralter Zeit muß sich diese kleine Wasseransammlung zwischen den Häusern festgesetzt haben, weil man nichts zu ihrer Entfernung tut und Weiden Zeit gehabt haben, an ihren Rändern zu wachsen und ihren Durst in dem stillen Wasser zu löschen. Die Einwohner gehen auf erhöhten Fußsteigen um sie herum. Wagen kommen nicht in das Dorf.
Jetzt nähert sich ein kleiner Trupp, ein Bild aus alten Zeiten. Auf einem weißen, mit roter Seide aufgezäumten Maultiere reitet eine vornehme Dame vorüber, reichgekleidet in gestickte Gewänder, das Gesicht weiß und rot geschminkt, die kleinen Lippen blutrot gefärbt, den Hut mit Blumen geschmückt. Eine Figur, wie von einer chinesischen Vase. Die Pekinger Mode ist nicht bis hierher gedrungen; hier leben noch die Trachten vergangener Jahrhunderte. Vor und hinter der Dame schreiten Diener; sie begibt sich vielleicht zu einem Feste. Wir bleiben stehen, um sie zu beobachten, während sie eine kleine gewölbte Brücke überschreitet und bei unserem Anblick anmutig ihr Gesicht mit dem Ärmel bedeckt.
Wo ist das Tier?
Wir durchstreiften das Dorf, nachdem wir das Automobil in einer vor den Toren gelegenen Karawanserei eingestellt hatten. Als wir zurückkehrten, fanden wir den Hof mit Menschen, Kamelen, Wagen und Pferden angefüllt. Es waren Karawanen angekommen. Das Personal der Herberge eilte geschäftig hin und her. Hier wurden riesige Haufen Getreide für die Tiere abgemessen, dort trug man den Männern Schüsseln mit dampfendem Reis und hohe Berge von Weißbrot auf. In einem Winkel des Hofes nahm ein Zauberer mit Hilfe einer angezündeten Kerze und einiger magischer Worte Beschwörungen vor zum Zwecke der Heilung eines alten kranken Maultieres, das den Zauber inmitten einer schweigenden Zuhörerschaft resigniert über sich ergehen ließ. In den weiten raucherfüllten Küchen brannten alle Feuer, und bei dem rötlichen Lichte von Talgfackeln bewegten sich die Köche mit nackten, schweißigen Rücken wie die Schmiede in einer antiken Schmiedewerkstatt. Um das Automobil herum war wieder eine Menschenmenge versammelt, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, das Tier zu suchen. Wir stellten fest, daß der chinesische Bauer sich die rätselhafte Erscheinung am logischsten durch die Vorstellung eines Zugtiers erklärte. Nur hielten die Intelligentesten daran fest, daß es sich nicht um ein Pferd handle, sondern um irgendein unbekanntes, fabelhaftes Tier, das von uns gefangen gehalten werde, und wenn sie den rauhen Ton der Hupe hörten, so sagten sie: „Das ist seine Stimme.“
In diesem Jahrmarktstrubel tauchten zwei russische Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett auf. Es war Militär der Gesandtschaft, das die russische Post nach Kalgan und Kiachta brachte. Sie kamen von Peking und überbrachten uns Nachrichten von den drei übrigen Automobilen, die, wie sie wußten, am Abend vorher in Pa-ta-ling angelangt waren. Sie hatten sie diesseits der Großen Mauer angetroffen; die Automobile hätten in Huai-lai übernachtet. Wir hatten seit frühmorgens 65 Kilometer zurückgelegt, 20 davon mit dem Motor. Wir waren den andern also um 35 Kilometer voran; in Kalgan würden sie uns einholen.
„Das Abendblot ist angelichtet!“ hörten wir rufen. Pietro stand neben uns, mit Schüsseln in den Händen, und lächelte uns hinter dem Dampf der ausschließlich von ihm bereiteten Speisen an. Pietro ist auch Koch.
Als wir später zwischen Abendessen und Zubettgehen vor unserem Zimmer saßen und einige Zigaretten rauchten, sahen wir den schwarzen Schatten hoher Berge sich von dem gestirnten Himmel abheben.
„Es sind die Berge von Ki-mi-ni“, bemerkte der Fürst.
„Also noch Aufstiege!“
„Und schwierige. Kalgan liegt jenseits.“
„Werden wir hinüberkommen?“
„Wer weiß! Morgen wird es einen heißen Tag geben.“
Und so war es.
Wir brachen auf, als es noch Nacht war.
Kaum ließ ein leichter Lichtschimmer — dem vom Monde ausgehenden gleichend — die Sterne im Osten erblassen. Es war schwer, den Weg zu unterscheiden. Der alte Aufseher der Kulis, der die Gegend kannte, ging voran, um das Gelände zu erkunden. Wir konnten es nicht wagen, mit dem Motor zu fahren, und im übrigen hatten wir nur noch wenige Kilometer in der Ebene zurückzulegen, ehe wir an die Gebirgspässe von Ki-mi-ni gelangten. Unsere Chinesen marschierten ohne Anstrengung weiter, mit dem raschen Gange des Maultieres, des Pferdes und des Esels gleichen Schritt haltend. Bei Sonnenaufgang befanden wir uns