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Wege! Die Hebel her! Achtung! Eins, zwei, drei ...!“ — Und in der unermeßlichen Glut, die über der öden Landschaft lagert, entwickelt unsere kleine Schar eine fieberhafte Tätigkeit. Dann ergriffen die Kulis von neuem die Seile, und vorwärts ging es: lai lai-la.

Der Hun-Fluß beim Aufstieg auf den Lien-ya-miao.

      Der Hun-Fluß beim Aufstieg auf den Lien-ya-miao.

      „Deutscher Feldtelegraph“, so lasen wir über der Tür einer einsamen Hütte. Es war ein Überbleibsel jener vielberufenen internationalen militärischen Expedition, das von der Bevölkerung geschont wird, vielleicht weil man die Worte für eine heilige Inschrift des Abendlandes hält. Es ist alles, was von jenem so viel Aufregung verursachenden Einmarsch der Mächte übriggeblieben ist. Wir sind unter die Mauern einer Stadt, Huai-lai, gelangt, der nach Süden ein hoher alleinstehender Hügel mit einem Tempel auf dem Gipfel vorgelagert ist. Dieser Tempel war einige Wochen lang eine europäische Kaserne. Wir machten halt, um den Leuten eine Stunde Ruhe zu gönnen; sie gingen, um die Zeit auszunützen, in die Stadt hinein und überbrachten der Bevölkerung die Kunde von unserer Ankunft.

      Sofort will ganz Huai-lai uns sehen. Man hört das Lärmen einer Menschenmenge, die sich dem Tore nähert. Zuerst kommen die Kinder, die Vorhut der Schar. Nach wenigen Minuten sind wir von Hunderten von Menschen umringt, die sich mit achtungsvollem Lächeln um das Automobil drängen. Sie betrachten es, berühren es scheu, werden kühn, fragen uns, begrüßen uns, staunen uns an. Viele halten auf der flachen Hand Käfige mit Singvögeln; an schönen Tagen trägt jeder gute Chinese von einer gewissen sozialen Stellung zur Unterhaltung einen Vogelkäfig; es ist dies seine Hauptbeschäftigung, ein hübscher, traditioneller Zeitvertreib.

Zwischen Felsen und Morästen an den Ufern des Hun-ho.

      Zwischen Felsen und Morästen an den Ufern des Hun-ho.

      Inzwischen frühstücken wir ein wenig Käse und Cornedbeef. Die Einwohnerschaft von Huai-lai sieht uns dabei zu, es macht ihr offenbar Vergnügen. Rings um uns streitet man sich über die Art und Beschaffenheit unserer Speisen. Ein alter Mann gibt uns durch Zeichen zu verstehen, daß er kosten wolle; den Käse spuckt er aus, während er das Fleisch hinunterschluckt; dann tut er der Bürgerschaft sein Urteil kund und zu wissen. Die Bürgerschaft tritt in nähere Erörterungen darüber ein. Der alte Mann will seine Kontrolle auch auf unser Getränk ausdehnen, und wir reichen ihm die Weinflasche, die er zögernd an die Lippen führt, nachdem er den Becher unwillig zurückgewiesen hat. Er trinkt, kostet, beginnt wieder zu trinken, und widmet sich dieser Tätigkeit mit solchem Eifer, daß die ganze Flasche sich gurgelnd in seine ehrwürdige Kehle entleert. Darauf ist er europäisiert; er lächelt uns mit kleinen, lustig zwinkernden Augen zu und spricht lebhaft auf uns ein; er steigt auf das Automobil, setzt sich hier unter den Beifallsbezeigungen seiner Mitbürger nieder und versucht der Hupe einen Ton zu entlocken; dies gelingt ihm, und er ist glücklich. Es kostet uns nicht wenig Schwierigkeit, ihn wieder herunterzubefördern, als die Kulis zurückkommen und wir unseren Marsch fortsetzen.

Im Schatten des Lien-ya-miao.

      Im Schatten des Lien-ya-miao.

      Wir kommen an armen, aus Lehm gebauten Dörfern, kleinen, Einsturz drohenden Tempeln, baufälligen Häusern, elenden Hütten vorüber, die von einer wandernden Stadt längs des Weges verloren zu sein schienen. Ein roter, von einem Stock herabwehender Lappen kennzeichnet sie als Absteigequartiere für müde Reisende, als Herbergen für Maultiertreiber im kleinen. Unsere Leute machen dort halt, um in Eile eine Schale Tee zu schlürfen oder sich für eine Sapeke (3/10 Pfennig) den Fliegen streitig gemachte Süßigkeiten zu kaufen. Alle diese Landstriche hätte man für unbewohnt halten können; nirgends zeigte sich ein Mensch, nirgends ließ sich ein Ton hören; es schien, als wolle man sich vor uns verbergen oder uns zu verstehen geben: „Bleibt uns drei Schritte vom Leibe!“ Ta-tu-mu, eine Stadt mit hohen, oben abbröckelnden Mauern, machte den Eindruck einer seit Jahrhunderten verlassenen Ruine.

      Die Straße verengte sich; wir gerieten häufig in tiefe Rinnen, die vom Wasser im Sande oder zwischen den Kieseln ausgehöhlt worden waren. Wir marschierten im Bett eines Bergstroms.

      Rings um uns her erhoben sich riesenhoch die rauhen Berge, die wir am Morgen gesehen hatten, ohne eine Spur von Vegetation, von brennend gelber Farbe. Wir erstiegen die zweite Bergstufe, die Peking von der mongolischen Hochebene trennt, zu der man über drei Absätze gelangt. Man steigt zu der Mitte Asiens empor wie zu einem Tempel: drei Stufen, drei Absätze. Unten, zu unserer Linken, öffnen sich die unermeßlichen Talgründe von Schansi, eingetaucht in ein strahlendes Blau.

      An manchen Stellen war kaum Platz für das Automobil, und wir trafen die sorgfältigsten Vorsichtsmaßregeln. Wir mußten ab und zu einen Schlag mit der Spitzhacke tun, Maße abschätzen und kühn die Weiterfahrt versuchen, wobei wir die Radränder scharf im Auge hatten und der Führer sich bereithielt, die Maschine unter dem mächtigen Druck der Bremsen unbeweglich festzuhalten. Bei einem Dorfe, Tu-mu-go, 45 Kilometer von Tscha-tau-tschung, fanden wir uns beinahe unvermutet außerhalb des Berglandes; eine grüne Ebene lud uns zu einer Fahrt ein, und wir nahmen die Einladung an.

      „Halt!“

      Wie durch Zauberschlag ist die Ermüdung von uns gewichen. In einer Minute sind die Kulis beiseite geschoben und dem Kommando Pietros anvertraut, die drei Tiere abgeschirrt. Mit fieberhafter Eile schlingen wir die Seile um die Laternenhalter und entfalten die Flagge. Ein Andrehen der Kurbel, und der Motor arbeitet. Wir steigen auf die Maschine und vorwärts!

      Vorwärts, den gewundenen, unebenen Weg entlang, unbekümmert um die Sprünge, die Stöße, die Rucke, einzig und allein darauf bedacht, das Automobil laufen zu lassen. Es hat nur zweite Geschwindigkeit, scheint uns aber zu fliegen. Es zeigen sich große Regenlachen. Vorwärts! Wir stürmen hinein und durchfurchen sie unter einem wahren Schauer von Wasser und Schmutz; die zurückschlagende Welle dringt in den offenen Raum des Automobils ein und durchnäßt uns. Wir lachen. Wir sprechen laut, ergriffen von einer seltsamen Aufregung; es ist ein Rückschlag gegen das lange Schweigen und gegen die entmutigende Langsamkeit der bisherigen Reise. Auch lebt in uns eine neue Freude auf, die aus der tiefen, unsagbaren Genugtuung stammt, etwas zu unternehmen, was noch nie unternommen worden ist. Es ist die Wollust einer Eroberung, der Rausch eines Triumphes und zu gleicher Zeit eine Überraschung, eine Art Verzückung infolge der phantastischen Seltsamkeit der Fahrt in diesem Lande. Wir erblicken Pagodendächer zwischen den Bäumen. Es ist uns, als unterbrächen wir eine tausendjährige Ruhe, als seien wir die ersten, die durch unser Dahineilen einen Weckruf in seinen tiefen Schlaf hinein erschallen ließen. Wir fühlen den Stolz auf Zivilisation und Rasse; wir fühlen, daß wir etwas vertreten, das höher steht als wir selbst: es ist Europa, das mit uns dahinzieht. In dieser Geschwindigkeit faßt sich die gesamte Bedeutung unserer Zivilisation zusammen. Das brennende Sehnen der abendländischen Seele, ihre Stärke, das wahre Geheimnis jedes ihrer Fortschritte ist in einem Worte ausgedrückt: „Rascher!“ Unser Leben wird angestachelt von diesem heißen Verlangen, von dieser schmerzhaften Ungenügsamkeit, von diesem erhabenen Besessensein: „Rascher!“ In die chinesische Starrheit tragen wir in der Tat unser fieberhaft erregtes Wesen hinein. Wir fahren durch Flecken und Dörfer. Halbnackte Kinder fliehen bei unserem Nahen. Die Männer und Frauen blicken uns mit stiller Überraschung, mit ruhiger, wohlwollender Neugier nach. Wir sehen seltsame Trachten, malerischer als die von Peking, vielleicht älter. Es sind grüne, rote, gelbe, blaue Kleider, alle von grellen Farben. Die Bewohner des flachen Landes lieben in der ganzen Welt lebhafte Farben, vielleicht weil sie täglich Blumen vor Augen haben. Auf den Schwellen der Häuser, wo sich die Menge zusammendrängt, herrscht ein buntes, in der Sonne funkelndes Gewimmel, darüber ragen die charakteristischen Dächer mit der leichten kahnartigen Biegung. Wir können uns keinen lebhafteren Eindruck vom fernen Osten wünschen.

Am Hun-ho.

      Am Hun-ho.

      Auf den von üppigem Grün strotzenden Feldern richten sich bei dem Geräusch unserer Maschine die

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