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gehört, daß man nach einer schweren Scharlacherkrankung das Gedächtnis verliert?“

      „Gewiß, Fräulein –“

      „Nun – ich hatte Scharlach. Das ist das einzige, worauf ich mich besinne. Das heißt – seitdem ich bei Arbang oder besser bei Orstra bin, ist mein Gedächtnis wieder normal.“

      „Wann raubte er Sie denn?“

      „Vor fünf Jahren, bevor er nach Göteborg kam.“

      „Und wo?“

      „Das kann ich nicht sagen. Ich will Ihnen nun alles im einzelnen erzählen, nur Ihnen beiden.“

      Was sie nun, teilweise durch eingestreute Fragen Harsts auf Einzelheiten gebracht, uns erzählte, will ich hier mit meinen eigenen Worten wiedergeben. –

      Sigrid kam sozusagen in Kopenhagen im Zimmer eines Hotels zum Bewußtsein. Sie saß in einem Sessel am Fenster, war in Decken gehüllt und sah neben sich einen älteren, ihr völlig fremden Herrn sitzen, der sie dann mit Sigrid anredete und sie ganz wie seine Tochter behandelte. Sehr bald erschien ein anderer Herr, ein Arzt, der dem damals vierzehnjährigen Mädchen schonend beibrachte, daß sie infolge ihrer Krankheit die Erinnerung verloren hätte, die jedoch eines Tages ganz von selbst sich wiederfinden würde.

      Klein-Sigrid wurde von Arbang mit größter Zärtlichkeit behandelt und gewöhnte sich an den Gedanken, daß er tatsächlich ihr Vater sei, daß ihre Mutter bereits jahrelang tot und ihr Name Sigrid Arbang sei, sehr schnell.

      Nach einer Woche reiste Arbang mit ihr nach Göteborg und bemühte sich hier um eine Anstellung. Er wurde dann von dem Juwelier Oskar Bantjör auf Grund der vorzüglichen Zeugnisse, die er aufweisen konnte (und die natürlich gefälscht waren) als Hausdiener und Portier engagiert und erhielt auf dem Hofe des Bantjörschen Grundstücks eine Zwei-Zimmer Wohnung zugewiesen.

      Sigrid besuchte nun in Göteborg eine Privatschule und lebte drei Jahre zufrieden und glücklich mit diesem Manne zusammen, der stets gleich zärtlich und fürsorglich blieb und dem sie es ohne weiteres geglaubt hatte, daß er sie kurz vor ihrer Erkrankung damals zu Verwandten nach Dänemark geschickt hätte, bei denen sie dann infolge einer Scharlachepidemie schwer erkrankte und das Gedächtnis einbüßte, worauf er sie nach ihrer Genesung von den Verwandten abgeholt und nach Kopenhagen zu einem Spezialarzt gebracht hätte.

      Als sie dann achtzehn Jahre alt war, begann ihr an der Lebensführung ihres Vaters doch so allerlei aufzufallen, besonders das eine, daß er sehr viele Nächte außer dem Hause zubrachte und Sonnabends stets eine Fußtour bis Montag früh unternahm.

      Dann fand sie einmal seinen Schreibtisch unverschlossen und durchsuchte ihn, da sich in ihrer Seele bereits ein unbestimmter Argwohn gegen ihren Vater festgesetzt hatte.

      Zu ihrem Erstaunen und ihrem Schreck entdeckte sie so einen Kasten, der Schminken, falsche Bärte und Perücken enthielt, ferner allerhand Stahlwerkzeuge, die nur verbrecherischen Zwecken dienen konnten. – Durch diesen Fund wurde ihre Neugier noch mehr angestachelt. Sie wollte sich Gewißheit darüber verschaffen, ob ihr Vater, vor dem sie eine unerklärliche Scheu hatte, wirklich insgeheim noch ein zweites Leben als Einbrecher führe. So öffnete sie denn eines Sonntags während seiner Abwesenheit einen Koffer, dessen Patentschlüssel ihr Vater sorgfältig zu verstecken pflegte. Sie hatte dieses Versteck jedoch ermittelt und fand nun in dem Koffer nicht nur allerhand Männeranzüge und Hüte, sondern auch Frauenkleider. – Wieder an einem anderen Sonntag paßte sie dann auf, als Arbang gegen Mitternacht von einem „Ausflug“ heimkehrte. Sie beobachtete durch ein Loch, das sie in die Türfüllung gebohrt hatte, wie er sich als ältere Frau verkleidete und dann die Wohnung wieder verließ. Erst kurz vor Tagesanbruch hörte sie ihn zurückkommen. Er hatte eine Reisetasche bei sich. Diese Tasche war nachher, wie sie feststellte, im Küchenherd verbrannt worden.

      Sigrid vermochte jetzt nicht länger zu heucheln. Es kam zwischen ihr und Arbang zu einer Aussprache, bei der er zunächst alles ableugnen wollte. Dann flehte er sie an, sie solle ihm ihre Liebe nicht entziehen; er sei ein Unglücklicher, der an einem krankhaften Trieb zum Verbrechen leide. – Er versprach ihr, sein Leben zu ändern. Er blieb denn auch monatelang nachts daheim, und Sigrid hoffte schon, ihn völlig geheilt zu haben.

      Inzwischen hatte Gunnar Bantjör sich ihr genähert, hatte sich auch heimlich mit ihr verlobt. Sein Vater, der seinen Sohn nur als leichtsinnigen Lebemann kannte, merkte, daß Sigrid die Aufmerksamkeiten Gunnars nicht zurückwies und warnte sie vor ihm.

      Dann, am 10. April dieses Jahres, mußte Gunnar geschäftlich nach Deutschland reisen. Vorher hatte er Sigrid überredet, mit ihm und ihrem Vater nach Amerika für immer auszuwandern.

      Am 12. April, nachts ein halb zwölf Uhr, verließen Sigrid und Arbang in aller Stille das Haus des Juweliers und trafen vor der Stadt mit Gunnar zusammen. Sie waren beide durch Autobrillen unkenntlich gemacht, bestiegen den Kraftwagen, den Gunnar besorgt hatte, und fuhren nach Trollhätta, stiegen vor dem Orte aus und schickten das Auto zurück. Mit ihren Koffern begaben sie sich dann nach dem Häuschen, das Arbang schon vorher gekauft hatte, wie Sigrid später feststellte.

      In dem armseligen Hause blieb Sigrid zwei Stunden allein. Gunnar und Arbang hatten ihr erklärt, sie wollten noch auf dem Bahnhof Fahrkarten nach Christiania besorgen. Arbang kehrte allein zurück und sagte ihr, Gunnar habe sich plötzlich anders besonnen und sei bereits nach Göteborg unterwegs; er habe die Verlobung aufgehoben und wollte Sigrid nicht wiedersehen.

      Sigrid durchschaute Arbang.

      „Du lügst!“ rief sie. „Sage mir die Wahrheit! Oder ich verlasse Dich sofort! Was ist mit Gunnar geschehen?“

      Da erst ließ Arbang die Maske fallen.

      „Nun denn – so wisse, daß Gunnar auf meine Veranlassung seines Vaters Tresor ausgeräumt hat!“ erwiderte er mit eisigem Hohn. „Er ist uns voraus nach Christiania gereist. Deinetwegen stahl er die Edelsteine! Wovon sollten wir in Amerika leben?!“

      Sigrid zweifelte nicht, daß Arbang Gunnar wirklich zu dieser Schandtat verführt hatte. Gunnar war ja gegen seinen Vater seit Wochen derart aufgebracht, daß ihm alles zuzutrauen war, zumal wenn ihn noch jemand aufstachelte, was hier doch offenbar der Fall gewesen.

      Wimmernd war sie in der Sofaecke zusammengesunken.

      Da hatte Arbang ihr aus der Reiseflasche einen Becher mit Rotwein gefüllt, hatte ihr zugeredet, zu trinken.

      Und – sie hatte getrunken, war eingeschlafen, war dann – in ihrem Kerker, in dem eisigen Keller des Stalles, erwacht, – war eine Gefangene!

      Arbang behandelte sie jetzt völlig als gefährliche Feindin, machte gar kein Hehl daraus, daß sie nicht sein Kind sei und daß er sie ihren Eltern geraubt hätte –

      zu einem bestimmten Zweck!

      betonte er mit brutaler Offenheit. –

      Sigrids Hilferufe hörte niemand. Arbang ließ ja keinen Menschen in den Garten, und die nächsten Gebäude lagen hundert Meter entfernt. Außerdem übertönte auch das Geräusch der Wasserfälle die schwachen Laute, die aus dem erweiterten Keller nach oben drangen.

      Woche um Woche verstrich. Sigrid ahnte, daß Arbang Gunnar ermordet hatte. Eines Tages schleuderte sie ihm diese Anklage ins Gesicht. Er blieb stumm.

      Sigrid besann sich jetzt auch, daß sie in jenem Kleiderkoffer zwei Briefe gefunden hatte, die an Ottmar Orstra, Stockholm adressiert gewesen waren. Die Briefe waren jedoch in einer Geheimschrift geschrieben. Sie hatte den Inhalt nicht entziffern können.

      Und wieder eines Tages rief sie dann Arbang zu, als er ihr das Essen gebracht hatte:

      „Ich weiß, wer Du bist! Du bist Ottmar Orstra!“

      Die Wirkung dieser Worte war stärker, als Sigrid erwartet hatte. Arbang erbleichte, prallte zurück, rief dann:

      „Was weißt Du von Orstra?! Er ist tot – für immer! – Woher kennst Du den Namen?“

      Sie schwieg beharrlich. Da

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