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im Skien-Fjord ein. Aber erst nach Dunkelwerden landeten wir beide in einem Boot in der Nähe der Stadt und begaben uns sofort nach dem Polizeigebäude.

      Dronting kannte den Polizeidirektor von Skien persönlich.

      Herr Jöns Torstensen war über unser Erscheinen nur wenig überrascht. Er führte uns in sein Dienstzimmer und sagte, als ich ihn in die Sachlage einweihen wollte:

      „Herr Schraut, das ist nicht mehr nötig. Herr Harst hat mir bereits alles mitgeteilt. Er wird sich wohl sehr bald einfinden. Er wollte gegen zehn Uhr hier sein.“

      „Tolle Geschichte, Torstensen – wie?“ meinte Dronting und nahm nickend die dargebotene Zigarre an. Harst jagt dem „Gespenst“ nach, das ein reparaturbedürftiges Objekt ist –“

      Er schwieg. – Es hatte geklopft, und sofort hatte sich auch die Tür geöffnet. Ein alter buckliger Herr trat ein – der richtige Witzblatt-Professor mit Botanisiertrommel, Schmetterlingsnetz und goldener Brille vor den zugekniffen Augen.

      „Ah – Sie auch da, Dronting!“ sagte er zu dem Inspektor und reichte uns nacheinander die Hand.

      Wer Harst in dieser Maske erkannt hätte, verdiente eine Prämie. Selbst ich war bei seinem Eintritt einen Moment im Zweifel, ob er’s wirklich wäre.

      Er nahm sein Zigarettenetui aus der Tasche und qualmte erst ein paar Züge, bevor er begann:

      „Ich komme direkt aus dem berühmten Skien-Museum, das oberhalb der Stadt liegt. Es ist ein Naturmuseum, ein riesiger Park mit einem Hauptgebäude und zahlreichen Blockhäusern mit echten uralten Möbeln und Geräten. Der Verwalter, Herr Lingnörg, wohnt im Hauptgebäude – Erdgeschoß. Man kann durch die Vorhänge in die erleuchteten Zimmer hineinsehen.“

      Wieder blies er ein paar Rauchringe.

      „Sie wissen, Herr Torstensen,“ fuhr er fort, „daß ich für den Museumsverwalter seit gestern einiges Interesse habe, nachdem Sie mir auf meine Frage, ob hier in Skien vor fünf Jahren ein Mädchen verschwunden sei, geantwortet hatten, Herrn Lingnörgs einziges Kind mit Namen Sigrid käme dann allein in Betracht –“

      Ich hörte mit atemloser Spannung zu. Auch Dronting ließ kein Auge von Harst.

      „Sigrid Lingnörg war an Scharlach erkrankt,“ sprach Harald weiter. „Eines Morgens fand man ihr Bett leer und das Fenster offen. Seitdem hat niemand mehr etwas von dem Kinde gehört.“

      „Donnerwetter!“ entfuhr es Dronting. „Wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, Sigrid Arbang könnte hier aus Skien geraubt worden sein?!“

      In demselben Moment ging mir ein Licht auf. Aber ich schwieg.

      „Das will ich Ihnen anderswo auseinandersetzen, lieber Dronting,“ erwiderte Harst. „Brechen wir auf. Lingnörg hat gerade Besuch – eine Verwandte! Und noch jemand dürfte in der Nähe sein. – Vorwärts – sonst geschieht ein Unglück, bevor wir an Ort und Stelle sind!“ –

      Wir schritten zu zweien durch die stillen Straßen. Harald ging mit mir voraus.

      „Ich weiß jetzt Bescheid,“ sagte ich leise. „Das reparaturbedürftige Objekt war die kranke Sigrid.“

      „Das stimmt. Du hättest auch sofort darauf kommen können. Es war wirklich nach dem ganzen Inhalt des Briefes nicht schwer.“

      „Und – wer ließ das Kind rauben? Wer zahlte Orstra die 25 000 Kronen?“

      „Das Gespenst! Dasselbe Gespenst, das jetzt mit Orstra im Auto hergeeilt ist, um sich die Beute auf jeden Fall zu sichern. – Frage jetzt nichts! Du wirst sehen!“ –

      Harst führte uns an eine Seitenpforte der Parkmauer des Museums. Sein Patentdietrich öffnete das Schloß. Dann befahl er: „Nun bitte kein lautes Wort, kein Geräusch! Einer hinter dem andern!“

      Über schattige Wege, Rasenflächen und Holzbrückchen ging es dem linken Flügel des Hauptgebändes zu.

      Wer als Tourist Skien besucht, kennt auch das Skien-Museum, kennt das weiße Hauptgebäude mit den beiden Flügeln, den vielen blanken Fenstern und den weiten Sälen.

      Buchen, Eichen und Kastanien umgeben das Haus. Wir vier huschten von Baum zu Baum. Dann ein Zeichen – wir blieben stehen.

      Vor uns vier erleuchtete Fenster. Bei zweien waren die unteren Flügel geöffnet. Auf den weißen Vorhängen zeichnete sich dann und wann der Schatten eines in dem Zimmer hin und her gehenden Mannes ab.

      Aber – draußen vor einem der offenen Fenster gab es noch etwas zu sehen. Dort stand ein anderer Mann – kaum zwanzig Schritt von uns entfernt.

      Er schien zu horchen; er regte sich nicht. –

      Harald flüsterte uns zu:

      „Näher heran – ganz leise – bis an den letzten Baum –

      Jetzt war der Mann nur noch acht Schritt vor uns; jetzt vernahmen wir Stimmen.

      Und – dann erschien auf den Vorhängen ein anderer Schatten, der eines hageren Weibes.

      „Es wird Zeit!“ sagte eine Frauenstimme sehr laut.

      Im gleichen Augenblick griff der Mann in das Fenster hinein, zog den Vorhang bei Seite, streckte den rechten Arm aus.

      „Halt –!“ brüllte Harst da so plötzlich, daß ich vor Schreck zusammenfuhr.

      Den Bruchteil einer Sekunde später ein Schuß – ein Schrei.

      Der Mann hatte geschossen – hatte sich (und damit rechnete Harst nicht!) in das Fenster hineingeschwungen.

      Harald jagte auf das Fenster zu. Ich hinterdrein.

      Dann war er im Zimmer. Ich ebenfalls.

      Auf dem Teppich dicht am Fenster lag ein Weib; neben ihr kniete ein graubärtiger Herr, stierte uns an, rief:

      „Was – was bedeutet das alles?!“

      Harst lief auf die Tür gegenüber den Fenstern zu, rüttelte am Drücker. Die Tür war von außen verschlossen.

      Er drehte sich um und näherte sich langsam der Frau und dem alten Herrn, sagte leise:

      „Herr Lingnörg, es ist anders gekommen, als ich annehmen konnte. Mein Name ist Harst. Ihre Schwester hat die Kugel des Mannes, der einst Ihr Kind raubte, in die Stirn erhalten, wie ich sehe –“

      Lingnörg erhob sich und setzte sich schwerfällig in den nächsten Stuhl. Er schaute Harst verständnislos an, schaute dann zu Torstensen und Dronting hinüber, die nun auch durch das Fenster in das Zimmer gestiegen waren.

      „Herr Lingnörg,“ fuhr Harald fort, „ich muß nochmals auf die Ereignisse vor fünf Jahren zu sprechen kommen. Damals war Sigrid schwer krank. Ihre Schwester, Frau Marnö, pflegte das Kind. Aber – sie pflegte sie nicht gesund. Nein – sie hintertrieb die Genesung Sigrids, indem sie das Kind nachts als Gespenst in wilde Angst versetzte. Sie wissen ja, daß Sigrid in steter Angst vor Gespenstern sich befand. Daran war Frau Marnö schuld. Sigrid sollte sterben –“

      Lingnörg wischte sich den Schweiß von der Stirn, stammelte ungläubig:

      „Das – das kann nicht sein! Meine Schwester soll so – so heimtückisch – Nein – nein! Weshalb sollte sie wohl mein sterbenskrankes Mädchen noch so geängstigt haben?!“

      „Sie sind reich, Herr Lingnörg, sehr reich. Ihre Gattin ist seit langem tot. Starb Sigrid, so beerbte die Frau Sie, die jetzt hier vor uns als Leiche liegt, erschossen von demselben Manne, der Sigrid auf Ihrer Schwester Betreiben stahl und in einem Koffer wegschaffte. Frau Marnö war es, die nachher das Gerücht aufbrachte, Sigrid sei in ihren Fieberdelirien hinab zum Fjord gelaufen und dort ertrunken. Ich habe hier zwei Briefe Ihrer Schwester, gerichtet an einen gewissen Ottmar Orstra, einen Verbrecher, der vor nichts zurückscheut. Diese Briefe sind der Beweis, daß Frau Marnö Sigrid erst durch das „Gespenst“ umzubringen suchte

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