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Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch. Walther Kabel
Читать онлайн.Название Harald Harst Krimis: Über 70 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Buch
Год выпуска 0
isbn 9788075831200
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Sehr eigenartiges Briefpapier. Braungelb und nicht zu stark.“
„Die Größe?“
„Der nur in der Mitte gefaltete Bogen mag 14 mal 22 Zentimeter groß gewesen sein.“
„Und die Umschläge? War ein Absender vermerkt?“
„Nein. Die Adresse war mit Maschine geschrieben. Die Umschläge waren große, starke, gelbe Geschäftsumschläge.“
„Haben Sie die leeren Briefbogen nochmals irgendwie zu Gesicht bekommen?“
„Nein.“
„Weshalb fürchteten Sie sich vor Ihrem Chef so sehr, daß Sie sich im Hühnerstall verbargen?“
„Oh – der Mann ist sehr jähzornig. Überhaupt – man muß vor ihm Angst haben. Er – er hat grausame, tückische Augen.“
„Sie scheinen nicht gerade zu den Mutigen zu gehören, Herr Lehmann –“
„Ich bin keineswegs feige, Herr Harst. Es handelt sich hier doch auch darum, daß ich meine Stellung zu verlieren fürchte. Heutzutage ist es schwer, ein neue zu finden. Und doch habe ich dieses Risiko auf mich genommen. Ich habe eben das deutliche Gefühl, daß die ganze Firma Allemannia irgendwie faul ist.“
„Sollte Ihr Chef Sie nun morgen ausforschen, wo Sie heute abend gewesen sind, – was werden Sie dann tun?“
„Ich wollte ihm zuvorkommen und ihm morgen ganz harmlos erzählen, daß ich bei Ihnen war. Er weiß, daß mir vor vier Tagen aus meinem Schreibtisch bei Frau Rölde, meiner Wirtin, außer dreihundert Mark auch sämtliche Familienpapiere gestohlen worden sind. Ich bin Waise, Herr Harst. Mein Vater hatte so eine Art Familienchronik angelegt und von verstorbenen Verwandten alle Papiere gesammelt. Es waren vier umfangreiche Päckchen. Ich habe damals den Diebstahl der Polizei gemeldet und auch scherzend zu Gumlowsky gesagt, daß es schade sei, daß Sie in Norwegen wären; sonst hätte ich Sie gebeten, den Dieb zu suchen. – Vorgestern las ich dann, daß Sie heimgekehrt seien, und da schoß es mir heute nachmittag so durch den Kopf, ich könnte eigentlich Ihnen die Sache mit den sechs leeren Briefbogen mal vortragen.“
„Eine Sache, der Sie zu viel Bedeutung beilegen, Herr Lehmann. Es wird sich fraglos um etwas ganz Belangloses handeln. Um nun aber Ihre fromme, für Gumlowsky bereit gehaltene Lüge zu unterstützen, werden wir Sie nach Ihrer Wohnung begleiten und uns den Schreibtisch ansehen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß Ihr Chef jetzt vor dem Hause Sie erwartet. Wir wollen daher auch in zwei Partien mein Heim verlassen. Schraut mag durch den Gemüsegarten gehen, und wir beide benutzen den Vorderausgang. Wir treffen mit meinem Freunde dann wieder vor Kantstraße Nr. 36 zusammen.“
„Oh – das ist ein sehr guter Gedanke, Herr Harst! Gumlowsky wird mir so eher Glauben schenken.“
„Hoffentlich –“ –
Ich durchschritt den Gemüsegarten sehr langsam. Als ich in den Feldweg einbog, gewahrte ich einen Mann, der im Schatten eines Baumes auf einem Wege des Laubengeländes stand. Der Mann folgte mir. Ich drehte mich nicht um. Aber ich ließ meinen Spazierstock einmal fallen und blickte beim Bücken zurück. Der Mann blieb weiter hinter mir, bis zur Kantstraße. Auf der Straßenbahn hatte er sich auf die vordere Plattform gestellt.
Als ich mit Harald und Herrn Karl-Ernst Lehmann zusammentraf, sagte Harst sofort:
„Natürlich war auch hinter Dir jemand her?“
Ich war überrascht.
„Gumlowsky verfolgte mich!“ erklärte ich sehr bestimmt.
Lehmann schüttelte den Kopf. „Das ist wohl ausgeschlossen, Herr Schraut. Gumlowsky hatten Herr Harst und ich als Verfolger.“
„Öffnen Sie erst die Haustür,“ meinte Harald. „Es gibt dann eben zwei Gumlowskys.“
Die Geschichte der sechs Briefbogen wurde interessant.
Oben in Lehmanns nett möbliertem Zimmer setzte Harald sich sofort vor den Schreibtisch.
„Wo lagen das Geld und die Papiere?“ fragte er.
„In der Mittelschublade. Sie hat ein Sicherheitsschloß, das ich selbst einsetzen ließ. Alle Wirtinnen sind neugierig. Ich mag meine Sachen nicht durchschnüffeln lassen.“
Er gab Harald den Schlüssel.
„Ah – ein vortreffliches Schloß,“ meinte Harst. „Da war mit Nachschlüsseln nichts auszurichten.“
Er nahm einen kleinen Schraubenzieher aus seinem Etui und schraubte nun das Schloß heraus, schraubte es auseinander und besichtigte es von innen.
„Hm – das dürfte mit dem richtigen Schlüssel geöffnet worden sein, Herr Lehmann. – Wann wurde der Diebstahl verübt?“
„Vormittags zwischen zehn und zwölf Uhr, als Frau Rölde auf dem Wochenmarkt war.“
„Besinnen Sie sich mal –“ – Harst setzte das Schloß wieder ein. – „War Herr Gumlowsky an jenem Vormittag im Geschäft oder ausgegangen?“
„Hm – richtig, er war anderthalb Stunden weg.“
„Hätte er Ihr Schlüsselbund mitnehmen können – also auch diesen Schlüssel?“
Karl-Ernst Lehmann starrte Harald sprachlos an.
„Glauben Sie etwa, daß Gumlowsky der Dieb war?“ fragte er hastig. „Jetzt, wo Sie mich auf diese Möglichkeit hinweisen, erscheint sie mir insofern nicht ganz unbegründet, als ich im Büro ein Schränkchen für meine Bürojacke und die Schutzmanschetten habe und morgens dort die Schlüssel im Schloß stecken lasse – das ganze Schlüsselbund also. Ob es damals vormittags da war, weiß ich nicht. Ich achte nie darauf.“
Harald lehnte sich im Schreibsessel zurück.
„Hat Gumlowsky gewußt, daß Sie so viel Familienpapiere besitzen, Herr Lehmann?“
„Ja. Ich erzählte es ihm mal gelegentlich.“
„Wurde hier in der Wohnung damals noch etwas gestohlen?“
„Ja – aus der Speisekammer ein Stück Speck und eine halbe Dauerwurst.“
„Da Sie an dem Schlüsselring auch den Sicherheitsschlüssel der Flurtür haben, hätte Ihr Chef hier sehr bequem eindringen können. Speck und Wurst wurden nur zum Schein mitgenommen, ebenso die dreihundert Mark. Der Dieb hatte es auf die Papiere abgesehen.“
„Aber Herr Harst – was sollten die ihm wohl für einen Vorteil bringen?“
„Das bleibt aufzuklären, Herr Lehmann. – Ist die Familienchronik ebenfalls verschwunden?“
„Nein. Die steht dort im Bücherschrank.“
„Falls ein Stammbaum dabei ist, könnten Sie ihn mir mitgeben und einige Zeit überlassen.“
Lehmann holte die Chronik und nahm ein einzelnes Blatt heraus. „Bitte, Herr Harst. Dies ist der Stammbaum.“
Harald steckte ihn in die Tasche.
„Sie werden also morgen Ihrem Chef erzählen, daß Sie bei mir waren, daß ein Unbekannter Sie verfolgt hätte und daß Sie von uns aus dem Hühnerstall herausgeholt wurden. Von den beiden Leuten, die dann Schraut und uns beiden auf dem Herwege auf den Fersen blieben, natürlich kein Wort. Ich hoffe, daß auf diese Weise Gumlowskys Argwohn zerstreut werden wird. Sollte er fragen, was ich hier bei Ihnen festgestellt hätte, so erklären Sie, ich wäre der Meinung, der Dieb habe hier mit Nachschlüsseln gearbeitet, sei aber gestört worden, sonst hätte er wohl mehr gestohlen.“
„Gut, Herr Harst. Und – und was halten Sie von den sechs leeren Briefbogen und den beiden Männern, die offenbar beide ganz gleich aussahen? Ich meine unsere Verfolger –“
„Das