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sperrte auf und ließ ihn herein. Chris betrat das Appartement, blieb aber abrupt stehen, als er die Flinte bemerkte. Er schaute Rick misstrauisch an. »Kommen Sie ruhig«, bat dieser und richtete die Waffe auf den Boden. »Ich bin Polizeibeamter.« Mit diesen drei Worten verhielt es sich stets so, dass sie entweder Ängste aufhoben, schürten oder wütend machten, und ein guter Bulle konnte immer vorhersagen, welche Reaktion sie heraufbeschwören würden, bevor er sie äußerte. Rick spekulierte auf die erste und irrte sich nicht.

      »Ich weiß, dass Sie bei der Polizei arbeiten, darum bin ich hier.« Der Junge fuhr sich mit einem Unterarm über die Stirn, wobei Rick auffiel, dass er schwitzte.

      »Wo drückt der Schuh, alles okay mit Ihnen?«

      »Ja, äh … es ist bloß so, dass in letzter Zeit komische Dinge passieren, und deshalb hab ich ein bisschen Schiss. Ich bin während der letzten Stunden online gewesen, und einige Bekannte von mir haben geschrieben, diese Infektion habe sich überall ausgebreitet. Ich brauche jemanden, der mir sagt, was genau los ist, und Sie waren die erste Person, an die ich dachte. Vorhin habe ich Schüsse gehört, und als ich aus dem Fenster geschaut habe, waren Sie mit zwei Sanis unten auf der Straße. Sie haben diesen Mann abgeknallt; war er krank?«

      »Davon gehe ich aus«, seufzte Rick. »Er hat alle Anweisungen ignoriert und einen der Sanitäter angegriffen – gebissen.«

      »Gebissen?« Jetzt sah Chris wirklich ängstlich aus. »Zwei meiner Freunde meinten, die Infektion übertrage sich durch Bisse, und wenn man sich ansteckt, verliere man innerhalb kurzer Zeit den Verstand, woraufhin man alles und jeden in der Umgebung anfallen würde.«

      »Mist«, fluchte Rick und schaute auf seine Hand. Ein Hoch darauf, dass Menschen im Alter die Zähne ausfielen … »Also gut, Sie heißen Chris, meinten Sie?« Der Junge wirkte fast traurig darüber, dass sich Rick seines Namens nicht sicher war. Schließlich nickte er. »Wie genau kann ich Ihnen behilflich sein?«

      »Äh, na ja … Sie sind bewaffnet …«

      Rick zog seine Augenbrauen hoch.

      »Nur darum geht es mir … Ich habe keine Kanone und werde so langsam nervös, also dachte ich mir, ich könnte vielleicht vorübergehend bei Ihnen bleiben.«

      Der Mann machte einen Eindruck wie ein verschüchtertes Mädchen im Grundschulalter, während er seine Augen aufriss und fahrig auf seiner Unterlippe kaute.

      »Tja, dann habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie, Sportsfreund«, sprach Rick. »Die gute lautet, dass ich so etwas wie ein Waffennarr bin, und die schlechte, dass ich in zwei Stunden von hier aufbrechen werde.« Er gab Chris eine kleine Pistole: ein Kaliber .32, gekauft für seine Frau, als er noch in Boston gewohnt hatte. Sie war rigoros dagegen gewesen, die Waffe zu tragen, sogar nachdem sie einen Schein gemacht hatte. Bei seinem Umzug zurück nach San Francisco hatte Rick sie mitgenommen und in seinen Schließkasten gelegt, wo sie bis zuletzt ungebraucht geblieben war.

      »Unter normalen Umständen würde ich ihnen keine Schusswaffe anvertrauen«, stellte er klar, »aber momentan geht es alles andere als normal zu.« Er schaute Chris an, während dieser die Pistole entgegennahm. »Haben Sie schon einmal geschossen?«

      Der junge Mann schaute die vernickelte Waffe an und bejahte nickend.

      »Gut, dann wissen Sie hoffentlich, wie man damit umgeht.«

      Kapitel 4

      Da Paul schon lange in der Vorstadt von San Francisco wohnte, war er nächtliches Sirenengeheul gewohnt, doch heute nahm es wirklich überhand. Er war gegen halb zehn zu Bett gegangen und nicht mehr der Jüngste, zudem stand er gern früh auf und legte sich dementsprechend auch zeitig hin. Irgendwann im Lauf der Nacht wurde er wach, weil er pinkeln musste. Als er sich aus dem Bett erhob, bemerkte er, dass sein Digitalwecker nicht eingeschaltet war. Er drückte einen Knopf, woraufhin ihn die grell blaue LCD-Hintergrundbeleuchtung vorübergehend blendete. Nachdem er mehrmals geblinzelt hatte, erkannte er die Ziffern: 3:26 Uhr. Verschlafen schlurfte er ins Bad und erleichterte seine Blase. Auf dem Rückweg zum Bett schaute er aus dem Fenster und sah, dass wohl der Strom in seinem Viertel ausgefallen war. Der Lichtbogen vorn an seiner Einfahrt – eine Gasentladungslampe – funktionierte aber noch, was auch auf alle anderen zutraf, wie er feststellte, als er die Straße hinunterschaute. Die Lampe vorm Nachbarhaus beleuchtete eine befremdliche Szene: Drei Personen knieten rings um eine vierte und nahmen etwas von dem Unglückseligen.

      Paul wurde wütend. Als ehemaliger Polizist führte für ihn kein Weg daran vorbei, dass er dies anzeigte. Kürzlich war er in eine Schießerei verwickelt worden, als er einen drogenabhängigen Dieb, der eine Tankstelle ausrauben wollte, mit seiner Pistole unschädlich gemacht hatte. Der Täter war ums Leben gekommen und Paul von einigen als Held gefeiert worden, wohingegen ihn andere der Selbstjustiz bezichtigten. Die Polizei behielt seine Schusswaffe in Verwahrung, solange die Ermittlungen andauerten, also konnte er dem Opfer, das gerade auf der Straße ausgenommen wurde, nicht zur Hilfe kommen.

      Was auch immer die Halunken stehlen wollten, tropfte. Die drei schienen es vor ihre Gesichter zu halten, fast wie um davon zu essen. Sie waren zu weit weg, um es genauer zu erkennen, weshalb Paul seinen billigen kleinen Feldstecher aus der Nachttischschublade nahm. Damit beobachtete er oft die Kinder beim Baseballspielen im Park am Ende der Straße; er hatte die Jugend schon immer gern dabei beobachtet und noch mehr seit sein Sohn, als er das Erwachsenenalter erreicht hatte, weggezogen war. Paul stellte das Fernglas scharf, um zu erkennen, was vor dem Haus nebenan geschah.

      Das Treiben glich einer Szenerie aus einem Albtraum: Die drei Knienden aßen einen anderen Menschen. Sie waren über und über besudelt, Blut lief an ihren Gesichtern hinunter. Jeder stopfte sich Fleischbrocken des Opfers in den Mund. Einer zog schwankend mit einem Unterschenkel – so sah es zumindest aus – von dannen, doch weitere tauchten auf und stolperten auf den Tatort zu. Paul glaubte zunächst, einige der Neuankömmlinge würden vielleicht helfen, doch auch sie knieten nieder und begannen, sich an dem Hilflosen gütlich zu tun! Der alte Mann sah ein, dass es sich nur um die gleiche Entwicklung wie in Boston handeln konnte. Auf einmal erschauderte derjenige am Boden, der verspeist wurde. Die Angreifer schienen kurz innezuhalten und betrachteten ihre Mahlzeit. Dann stieß das Opfer sie mit dem Armstumpf, der ihm geblieben war, von sich! Er versuchte sich aufzurichten, doch sein Körper hatte schon zu sehr gelitten. Beide Beine waren abgerissen, und mit dem einen Arm, dessen Hand fehlte, konnte er nicht genügend Kraft aufbringen, um sich vom Pflaster abzudrücken. Seine Peiniger standen auf und trotteten davon, wobei sie gegen Hindernisse stießen oder darüber stolperten.

      Paul wusste, dass er als Nächstes auf der Menükarte stehen könnte. Mittlerweile drangen Schreie aus einem der Häuser in der Nähe, und die Straße füllte sich zusehends mit diesen schwerfälligen Gestalten, die nach dem Ursprung des Lärms strebten.

      Woher kamen die bloß alle? Jetzt waren mindestens dreißig von ihnen da draußen, alle auf dem Weg zum von Paul aus gesehen dritten Haus auf der anderen Straßenseite. Er ging zum Telefon, um seinen Sohn anzurufen, doch die Leitung war tot. Ein Handy besaß er nicht, weil er die Teile nervig fand. Sollte er versuchen, von hier zu fliehen, würde er nie und nimmer an den vielen Herumstreifenden draußen vorbeikommen. Wohin könnte er überhaupt gehen? Der Weg zu Ricks Haus war zu weit … Rick! Ja, sein Sohn würde ihn abholen. Paul überlegte, dass er sich im Keller verstecken könne, bis Rick eintraf. Er verkroch sich zwar ungern, während andere in Gefahr waren, hatte aber keine Waffen, und die Zahl der Kranken vorm Haus war zu hoch. Das musste es sein, was mit ihnen nicht stimmte: Sie waren infiziert. Als er begriff, welche Konsequenzen dies nach sich ziehen mochte, wurde ihm eiskalt vor Schreck. Ein dumpfer Knall auf seiner Vorterrasse steigerte seine Beklommenheit. Wäre er nicht gerade auf dem Klo gewesen, hätte er jetzt nicht mehr an sich halten können. Mehrere schleppende Schritte vorm Haus und schließlich ein Klopfen an der Tür, dann war der Fall klar: Paul hastete zur Kellertreppe. Er blieb auf der oberen Stufe stehen und schloss die Tür hinter sich, dann verbarrikadierte er sie mit zwei überkreuzten Schaufelstielen, die er zusätzlich fixierte, indem er das herumstehende Gerümpel davorschob. Diese Barriere würde bestenfalls wenige Minuten lang halten. Paul ging leise nach unten und warf einen verstohlenen Blick aus

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