Скачать книгу

Samantha lief zu ihrem Vater und stürzte sich in seine Arme. Sie drückte ihn fest. »Ich hab dich vermisst«, fügte sie in ernstem Ton hinzu.

      »Ich dich auch, Schatz«, beteuerte er leise. »Danke dafür, dass Sie auf dieses kleine Geschöpf aufgepasst haben«, fuhr er fort und stellte seine Tochter wieder auf den Boden. Dann streckte er eine Hand aus. »Ich heiße Rick.«

      Die Stewardess schüttelte sie. »Debbie. Sie war ganz brav, ich habe mich gern mit ihr beschäftigt. Allerdings brauche ich irgendeinen Ausweis von Ihnen«, erklärte sie. »Bestimmungen und so weiter.«

      »Verständlich.« Rick nahm seine Brieftasche heraus. »Genügt das?«

      »Wow, Kriminalbeamter … genügt völlig.« Nachdem er ihr den Ausweis gegeben hatte, glich sie seinen Namen mit jenem ab, der auf einer Karte an Sams Hals stand. »Passt alles«, verkündete sie schließlich.

      »Nochmals danke. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.« Rick nahm seinen Ausweis wieder entgegen und gab Debbie erneut die Hand. »Gehen wir, Herzchen!«, sagte er zu Sam.

      »Bye, Debbie!«, rief die Kleine, während ihr Vater sie zum Gepäckband mitnahm. Die Flugbegleiterin winkte ihr und zog ihren kompakten Rollkoffer Richtung Ausgang.

      »Ich mag sie, sie ist nett«, meinte Sam zu ihrem Dad.

      »Ich auch, Schatz«, pflichtete er mit nachdenklicher Miene bei. Dann drehte er sich noch einmal um, weil er einen letzten Blick auf Debbie erhaschen wollte, doch sie war schon fort.

      »Was suchst du denn, Daddy?«, fragte Sam mit verschmitztem Grinsen.

      »Sei nicht so neugierig, sonst setzt's was, Frechdachs!«, knurrte Rick in gespieltem Zorn.

      »Ohhh! Daddy, dir gefällt Debbie!«, stichelte das Kind.

      »Sie ist hübsch, das stimmt, aber ich kenne sie ja gar nicht. Vielleicht hätte ich –«

      Sam unterbrach ihn: »Du hättest sie zum Ausgehen einladen oder wenigstens nach ihrer Nummer fragen sollen, du großes Dummerchen.«

      Rick schaute seine Tochter mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Jetzt reicht's … Du legst es darauf an, was?«, wollte er wissen. »Lass uns deine Sachen abholen, Nervensäge.«

      Vater und Tochter gingen zur Ausgabe, wo sie sich auf eine Bank setzten. Auf dem Fließband lagen keine Koffer, und es lief auch noch gar nicht.

      »Sieht so aus, als hätten wir noch ein paar Minuten, also erzähl mal, wie war dein Flug?« Rick schaute hoch auf einen Fernsehbildschirm, der in der Nähe der Gepäckrücknahme hing. Gerade waren Nachrichten im Programm, doch das Gerät war stumm geschaltet.

      »Ganz gut – es war lustig mit Debbie, sie ist fast die ganze Zeit bei mir gewesen.« Sam sprach weiter, doch Rick hörte nicht richtig zu. Er versuchte zu verstehen, was sich in dem Bericht abspielte. Auch ohne Ton schlussfolgerte er, dass die Ausschnitte Aufnahmen von einer Straßenschlacht aus Boston zeigten. Der Sprecher steckte sich einen Finger ins Ohr und schaute nach unten, um zu verstehen, was ihm jemand per Funk mitteilte. Daraufhin drehte er sich mit verwundertem Blick nach links um. Als er sich wieder der Kamera zukehrte, machte er ein finsteres Gesicht. Anscheinend äußerte er dann jene Zeile, für welche Nachrichtensprecher leben: Was Sie nun sehen, ist nichts für zarte Gemüter, und Kinder sollten wegschauen. Die Regie blendete zu einem Lokalreporter über, der ziemlich verängstigt aussah. Eine Gruppe von ungefähr dreißig abgehärmten Personen näherte sich einer Polizeiabsperrung. Diese war augenscheinlich in aller Hast errichtet worden: zwei Streifenwagen, die Kühlergrill an Kühlergrill parkten, und ein paar Yards davor einige Sandsäcke mit etwas Stacheldraht. Sie blockierte fast die ganze Straße. Die Beamten standen hinter den Autos und stützten sich mit gezogenen Waffen auf die Motorhauben oder Kofferraumdeckel. Die Nachrichtenkamera zeigte den Reporter vor diesem Hintergrund, während die Menge aus der Ferne anrückte. Plötzlich – ohne dass sie provoziert worden wäre – eröffnete die Polizei das Feuer auf die unbewaffneten Zivilisten.

      »Um Gottes willen!«, wisperte Rick bei sich. Samantha bemerkte nichts, sondern plapperte weiter.

      Auf dem Bildschirm zuckten und zitterten die Getroffenen. Einige brachen sofort im Kugelhagel zusammen, doch die meisten wurden nicht einmal langsamer. Rick erkannte, dass ein Teil der Personen, die auf die Polizisten zukamen, schwer verletzt waren. Im selben Augenblick drehte sich einer von ihnen um und blaffte den Reporter an, wobei er auf etwas hinter ihm und seinem Kameramann zeigte. Dieser richtete das Objektiv auf seinen Kollegen, und gemeinsam ergriffen sie die Flucht. Das Gerät blieb eingeschaltet und zeigte ein verwackeltes Bild des Bodens, während die beiden davonrannten. Nach wenigen Sekunden brach die Übertragung ab, und man sah erneut den Sprecher im Studio. All dies hatte sich in sonderbarer, gespenstischer Stille abgespielt.

      »Daddy? Daddy!«

      Rick zwang sich, vom Bildschirm wegzuschauen.

      »Hast du mir nicht zugehört?«, fragte Sam, während sie zu ihm hochblickte.

      »Tut mir leid, Schatz, im Fernsehen sind gerade wichtige Nachrichten gelaufen«, erklärte Rick. Das Laufband setzte sich in Bewegung, und aus einem viereckigen Loch in der hinteren Wand purzelten die ersten Gepäckstücke. »Holen wir deinen Kram«, sagte er.

      Als ein Rucksack mit Motiven von Littlest Pet Shop heranrollte, rief Sam: »Da ist er!« Rick hielt einen Gurt fest und wuchtete ihn auf seine Schulter. »Wie sehe ich damit aus?«, fragte er.

      »Daddy«, empörte sich das Mädchen. »Deine Schuhe passen überhaupt nicht dazu.«

      Die beiden verließen die Flughafenhalle lachend.

      Vor dem stummen Fernseher hatte sich ein Auflauf gebildet, und das Gepäckband war vergessen.

      Kapitel 2

      Sam war nun schon seit drei Tagen in San Francisco. Sie ging bereitwillig zwischen acht und neun Uhr ins Bett. Nach dem Essen heute Abend – Burger von McDonald's – hatte Rick seine Tochter gegen halb neun mit einem Stofftiger aus dem neusten Disney-Film hingelegt. Das Plüschtier war in einem Happy Meal enthalten und sie sofort vernarrt gewesen. Rick schloss sachte die Tür des Kinderzimmers und schaltete den Fernseher ein. Immer noch bestimmten Nachrichten zum Infektionsausbruch alle Programme. Früher am Tag hatte man die Worte »Krankheit« und »Epidemie« fast beiläufig verwendet, doch nun sahen die Sprecher besorgt aus.

      Handfeste Informationen aus Neuengland gab es eigentlich nicht, und Rick konnte sich nicht mit seiner Exfrau Brenda in Verbindung setzen, die nach ihrer Scheidung drei Jahre zuvor gemeinsam mit Sam zurück in den Osten gezogen war. Er machte sich zusehends Sorgen um sie; Brenda gehörte zu jenen Müttern, die jeden Abend anriefen, um mit ihrer Tochter zu sprechen, wenn diese den Vater besuchte, hatte sich aber noch nicht gemeldet, und dass Rick nicht zu ihr durchkam, machte es umso bedenklicher. Weder ihre Festnetz- noch ihre Handynummer funktionierte. Wählte er Erstere, ertönte die Aufnahme »Kein Anschluss unter dieser Nummer«, und das Mobiltelefon schaltete direkt auf Anrufbeantworter. Er kam einfach nicht durch. Rick hatte einen Kumpel in einer SWAT-Einheit in Boston, doch der war ebenfalls nicht erreichbar.

      Plötzlich klingelte das Telefon auf dem Beistelltisch laut. Rick hob sofort ab, damit seine Tochter nicht aufwachte. »Ja bitte?«

      »Rick, Meara hier, du musst heute Nacht herkommen«, verlangte eine geisterhafte Stimme.

      »Mike? Du hast mich zu Tode erschreckt!«, schnaufte Rick in den Hörer.

      »Rick, wir brauchen dich jetzt hier, kein Scheiß.«

      »Machst du Witze? Ich hab Urlaub, und meine Tochter ist hier, das weißt du!«

      »Abgesagt, hol dir einen Babysitter. Der ganze Stab, Streifen wie Detectives, wird einberufen. Da passiert extrem seltsamer Scheiß, so wie drüben an der Ostküste«, erzählte Mike.

      Rick gefror das Blut in den Adern. Er hatte im Zusammenhang mit dieser Erkrankung absonderliche Dinge in den Nachrichten mitbekommen – von gewalttätigem Verhalten und Personen, die auf wildfremde

Скачать книгу