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      Vor Sophia von Bergen und Tochter hatte es einen Vorbesitzer des Hauses gegeben, Ricky und Fabian Rückert waren am Anfang ihrer Ehe hier glücklich gewesen, waren weggezogen, hatten es vermietet. Und vor der angeblichen Gerda Schulz und ihrer Tochter hatte es Vormieter gegeben, und nun würde es Nachmieter geben.

      Oben auf dem Herrenhof, wo die Menschen lebten, die viele Leute glühend beneideten, herrschte auch nicht eitel Sonnenschein. Carlo Heimberg, der zweite Ehemann von Marianne von Rieding, der Erbauer der Siedlung, war krank und hatte unglaubliche Probleme damit, nicht mehr so zu können, wie er wollte.

      Und Sandra Münster hatte sich mit ihrem Sportflitzer, weil sie den Geschwindigkeitsrausch liebte, um einen Baum gewickelt. Das Auto war Schrott, sie hatte zum Glück überlebt, doch sie hatte kurz vor der Geburt ihr Baby verloren.

      Und das waren nur ein paar Beispiele. Auch im Sonnenwinkel blieb die Uhr nicht stehen, und auch hier lagen Glück und Leid dicht beieinander.

      Roberta hatte das Haus ihrer Patientin erreicht, lief durch den Vorgarten, den Angela sehr liebevoll und geschmackvoll gestaltet hatte, ging zur Eingangstür, die vorher ziemlich protzig gewesen war. Die hatte man ausgewechselt gegen ein schlichtes Modell.

      So war es halt, warum sollten Veränderungen vor der Haustür Halt machen?

      Sie klingelte, drinnen näherten sich energische Schritte, und dann stand sie Teresa von Roth gegenüber.

      »Hallo, Frau Doktor, heute haben Sie nur eine Patientin zu besuchen. Angela schläft, und ich glaube, wir sollten die Ärmste schlafen lassen. Sie bekommt ja kaum ein Auge zu, und ich bin überzeugt davon, dass sie Schmerzen hat, aber die können auch nicht kleiner werden, wenn sie sich immerfort Sorgen um ihre Mutter macht. Dabei haben wir doch alles im Griff, Sophia fehlt es an nichts. Gerade haben wir mit ihr zu Abend gegessen, Magnus ist eben gegangen, und ich sorge dafür, dass für die Nacht alles vorbereitet wird. Warum hört Angela nicht auf, sich zu sorgen? Ihre Krankheit kommt ja vom Stress.«

      »Stress kann unter anderem ein Auslöser sein, dieser Zoster, wie man die Gürtelrose kennt, kann viele Ursachen haben, neben Stress kann es ein geschwächtes Abwehrsystem sein, dieser Virus, der in jedem schlummert, der mal die Windpocken hatte, kann Jahrzehnte in Lauerstellung liegen, um dann zuzuschlagen, wenn eine Schwäche da ist, die, wie gesagt, alle möglichen Ursachen haben kann. Bei meinem nächsten Besuch werde ich mir Frau Halbach noch einmal vornehmen, eindringlich mit ihr reden. Es ist schön, Frau von Roth, dass Sie sich so selbstverständlich kümmern.«

      Teresa winkte ab.

      »Wäre es umgekehrt, ich bin überzeugt davon, Sophia würde es auch für mich tun. Es ist schön, dass sie in den Sonnenwinkel gezogen ist. Mit ihr können Magnus und ich über alte Zeiten plaudern, über unser früheres Leben in einem völlig anderen Landstrich. Wir haben eine Vorstellung von unserer alten Heimat, wir haben dort gelebt, hatten eine wundervolle Jugend, waren glücklich, bis …«

      Sie brach ab.

      »Was soll es, die Vergangenheit ist tot, man kann sie nicht zurückholen, doch manchmal ist es einfach nur schön, sie kurz wieder heraufzubeschwören. Sophia ist im Wohnzimmer, wenn etwas sein sollte, ich habe in der Küche zu tun.«

      Sie nickte Roberta zu, dann entfernte sie sich, eine stolze, hochgewachsene alte Dame. Roberta mochte die von Roths sehr gern, nicht nur die, auch die Auerbachs gehörten zu den Menschen im Sonnenwinkel, die sie besonders mochte, und ja, Angela Halbach und Sophia von Bergen mochte sie auch sehr, obwohl die noch nicht lange hier wohnten.

      Sophia von Bergen saß auf dem Sofa, daneben stand ihr Rollstuhl, auf den sie seit ihrem Unfall angewiesen war, der ihr gesamtes Leben, aber auch das ihrer Tochter, mit einem Schlag verändert hatte. Sophia lächelte, als sie Roberta erblickte, die Frauen begrüßten einander, Roberta setzte sich, umfasste Sophias schlanke Rechte, an der sie einen wunderschönen Brillantring trug, der ein altes Familienerbstück war, mit ihren beiden Händen.

      »Wie fühlen Sie sich mit den neuen Tabletten, Frau von Bergen?«, erkundigte sie sich.

      »Ich habe mich noch nie so gut gefühlt, Frau Doktor. Diese Tabletten wirken Wunder.«

      Dann erzählte sie ausführlich über die Wirkung, und Roberta freute sich. Das war eine gute Nachricht. Sie verließ sich nicht auf das, was die Pharmavertreter der einzelnen Firmen ihr in ihren Besuchen erzählten, sie informierte sich nicht nur durch die Fachzeitschriften oder auf den Ärztekongressen, nein, sie ging über die Grenzen hinaus und wollte auch wissen, was sich international so tat. Und da war es gut, wenn man weit vernetzt war. Enno Riedel hatte ihr geholfen, und Roberta freute sich, ihn bald zu sehen. Er und seine Familie würden nicht mehr in den Sonnenwinkel oder nach Deutschland zurückkehren, sie hatten ihren Lebensmittelpunkt in Philadelphia gefunden.

      Roberta hatte sich entschlossen, das Haus, in dem sie derzeit noch zur Miete wohnte, zu kaufen, und Ennos Kommen wäre nicht nötig gewesen, doch er wollte seinen Aufenthalt damit verbinden, nicht nur Roberta wiederzusehen, sondern auch alte Freunde und Familie.

      »Frau von Bergen, das sind gute Nachrichten«, freute Roberta sich, »dann können wir jetzt die Dosis erhöhen, und ich bitte Sie, morgens und abends nicht nur eine von diesen Tabletten zu nehmen, sondern jeweils zwei.«

      Sophia nickte, bedankte sich bei Roberta, dann bekam ihr Gesicht einen ganz bekümmerten Ausdruck.

      »Ach, Frau Doktor, ich habe ja solche Schuldgefühle. Mir geht es von Tag zu Tag besser. Der Physiotherapeut, der Herr Kuhlmann, den Sie mir besorgt haben, vollbringt wahre Wunder an mir. Ich kann sogar schon an zwei Krücken bis dorthin zur Tür laufen, und er ist überzeugt davon, dass er meine Mobilität wieder herstellen wird, ganz herstellen, sagt er. Ich muss nur Geduld haben.«

      Roberta ließ die Hand der alten Dame los, richtete sich auf.

      »Das sind doch ganz wundervolle Nachrichten, weswegen blicken Sie denn dann so bekümmert drein?«

      Sophia seufzte.

      »Weil es auf Kosten meiner Tochter geht«, sagte sie leise und hatte Tränen in den Augen.

      »Wie kommen Sie denn darauf?«

      Wieder ein Seufzer. »Als ich diesen Unfall hatte, hat sie ihr eigenes Leben für mich aufgegeben, sie ist mit mir hierher gezogen, um immer für mich da zu sein. Dadurch hat sie ihren Ehemann verloren, alle Privilegien, mein Schwiegersohn lässt sich scheiden und lässt sie am langen Arm verhungern. Und als sei das nicht schon genug. Jetzt hat sie vor lauter Stress auch noch diese schreckliche Krankheit bekommen, und die so richtig heftig. Sie haben doch gesagt, dass bei meiner armen Angela nicht nur eine Nervenbahn betroffen ist, sondern mehrere. Warum hat ausgerechnet sie diese Teufelsschmerzen und nicht eine nur ganz schwach ausgeprägte Gürtelrose, die manchmal sogar nur mit einem ausgeprägten Juckreiz der Haut verläuft?«

      Sie blickte Roberta an.

      »Ich sage es Ihnen, Frau Doktor«, ihre Stimme klang düster, »alles meinetwegen.«

      Jetzt fing Sophia auch noch damit an.

      »Und ich sage Ihnen, liebe Frau von Bergen, dass das nicht stimmt. Wie gesagt, kann Stress ein Auslöser sein, doch wenn, dann hat es damit viel früher angefangen, in der Ehe Ihrer Tochter. Sie war mir gegenüber sehr ehrlich und hat mir erzählt, wie sehr sie unter ihrem Ehemann gelitten hat, der sie als sein Eigentum betrachtete, als etwas, was er sich gekauft hat.« Roberta wurde ernst. »Frau von Bergen, Sie befinden sich auf dem Weg der Besserung, und Ihre Tochter wird die Krankheit auch überstehen, davon wird man wieder gesund, sie ist nur ­äußerst unangenehm und schmerzhaft. Schuldgefühle sind kein guter Wegbegleiter. Blicken Sie nach vorne.«

      Sophia überlegte.

      »Es stimmt ja alles, was Sie sagen, und ich habe die Worte meiner Mutter noch im Ohr, die immer sagte, der liebe Gott mutet einem nur das zu, was man auch ertragen kann.«

      Zum Glück musste Roberta dazu jetzt nichts sagen, denn in diesem Augenblick kam Teresa von Roth in den Raum.

      Sophia begann zu strahlen.

      »Mein guter Engel«,

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