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hatte meine Arbeit verloren, die Wohnung konnte ich mir nicht mehr leisten. Ich musste alles verkaufen, was sich zu Geld machen ließ, mit den mir verbliebenen Habseligkeiten, die alle in mein klappriges Auto passten, fuhr ich los, zunächst ziellos, dann Richtung Norden. Ich wollte zu einer alten Freundin, von der ich mir Hilfe erhoffte.

      Ich verfuhr mich. Als ich einen entlegenen Bauernhof entdeckte, fuhr ich hin, um mich nach dem Weg zu erkundigen.

      Ich entdeckte zwei tote Männer auf dem Hof, einen dritten Toten in einem Auto, in dem ein Baby ganz kläglich weinte. Und ich entdeckte noch etwas. Eine Tasche voller Geld.

      Ich versuchte, auf dem Hof jemanden zu finden, da war niemand, es gab nur die Toten, das Baby und das Geld. Für mich war es ein Fingerzeig des Himmels.

      Ich nahm das Baby, das Geld, dann ging ich zu meinem Auto zurück und fuhr los.

      Dass es Unrecht war, darüber dachte ich nicht nach. Ich hatte mich immer nach einem Kind gesehnt, und nun hatte ich es, und das Geld, es war mehr, als man für das Leben brauchte.

      Wenn man Geld hatte, konnte man alles mühelos erreichen, man bekam auch Papiere. Aus mir wurde Gerda Schulz, und auch meine Tochter Leonie wurde rechtmäßig in meinem Pass eingetragen.

      Es war so einfach.

      Natürlich las ich von der Entführung und der Lösegeldzahlung, von den verzweifelten Aufrufen von Isabella Duncan. Sie tat mir leid, einen Moment lang dachte ich daran, den Sachverhalt aufzuklären.

      Dann war das süße Gift der Versuchung einfach zu groß. Diese Frau konnte alles wieder haben, aber ich nicht.

      Sie war schön, sie war berühmt, sie hatte Geld im Übermaß.

      Nein, es ging nicht, diese Chance konnte ich mir nicht entgehen lassen, das Schicksal hat mich auf diesen Hof geführt, und ich wollte endlich auch ein Stück von dem großen Kuchen haben.

      Du heißt Claire, aber so konnte ich dich nicht nennen, um nicht aufzufliegen.

      Was ich getan habe, das war nicht richtig. Und ich bitte dich, mir zu verzeihen.

      Ich habe dir all meine Liebe gegeben, und ich habe alles getan, um dich zu einem ordentlichen Menschen zu erziehen.

      Mein Liebling, ich wünsche dir viel Glück, möge Gott auf all deinen Wegen sein.

      In Liebe.«

      Der Brief war nicht unterschrieben, was hätte diese Frau auch schreiben sollen, deine Mama?

      Roberta legte den Brief beiseite, sie war erschüttert. Wie hatte sie sich in dieser Gerda Schulz so täuschen können. Und insgeheim bat sie Abbitte. Sie war verärgert gewesen, hatte Verschwörungstheorien vermutet, dabei war Lars auf der richtigen Spur gewesen. Roberta war sich sicher, dass er diese Frau mit seiner Beharrlichkeit aus der Reserve gelockt hatte.

      Was sie getan hatte, das war durch nichts zu entschuldigen.

      »Diese Frau muss von der Polizei verhaftet werden. Auch wenn sie das Mädchen nicht entführt hat, sie wusste, wohin das Baby gehörte und hat eiskalt Geld und das Baby genommen und viel, viel Unglück über die leibliche Mutter gebracht.«

      Hilda war ganz resigniert.

      »Diese Person hat sich längst aus dem Staub gemacht und hat das arme Mädchen eiskalt zurückgelassen, genauso eiskalt, wie sie es an sich genommen hatte.«

      »Wir müssen dennoch die Polizei einschalten, und wenn es Ihnen recht ist, dann sofort. Aber lassen Sie mich noch etwas tun, ich rufe meine Frau Hellenbrink an, die soll die Patienten der Vormittagssprechstunde anrufen und absagen, und die unangemeldet kommen, soll sie für den Nachmittag bestellen.«

      So war die Frau Doktor!

      Sie wusste es und sagte dennoch: »Aber Frau Doktor, das geht doch nicht.«

      »Doch, liebe Frau Hellwig, es geht. Oder soll ich Sie mit allem allein lassen?«

      Oh Gott, nein!

      Sie sprach es nicht aus, aber ihrem Gesicht war wohl anzusehen, dass sie alles überforderte.

      Roberta lächelte beruhigend.

      »Sehen Sie, Frau Hellwig, nun lassen Sie mich mal machen. Wenn Sie allerdings für mich einen Kaffee hätten, das wäre ganz wunderbar.«

      Na klar, sie hatte die Frau Doktor bestimmt vom Frühstückstisch weggeholt, wie peinlich.

      Sie stand auf. »Ich hole Ihnen den Kaffee, wie immer nur schwarz?«

      Roberta nickte.

      Ehe Hilda den Raum verließ, sagte sie: »Frau Doktor, mir fällt ein Stein vom Herzen, wie schön, dass Sie da sind. Nun weiß ich, dass alles gut wird, alles wird gut, was Sie in die Hand nehmen.«

      Sie ging, und Roberta blieb ein wenig verlegen zurück. Sie konnte wirklich nicht mit Lob umgehen, weil für sie alles ganz selbstverständlich war, was sie tat.

      Das war schon ein Ding, was ihr Lars da aufgedeckt hatte. Wäre er mit seiner Spürnase, mit seiner Beharrlichkeit nicht gewesen, hätte diese Gerda Schulz weiter ihr Unwesen treiben können, und sie wäre weiter unentdeckt geblieben, eine Mutter hätte sich weiterhin die Augen ausgeweint, und ein heranwachsendes Mädchen hätte weiterhin keine eigene Identität gehabt.

      Roberta war wütend, doch das durfte sie jetzt nicht sein, sie brauchte ihren klaren Verstand. Zuerst rief sie Ursel Hellenbrink an, auf die sie sich hundertprozentig verlassen konnte, dann wählte sie die Nummer der Polizei, ließ sich mit der Kriminalpolizei verbinden, denn die war in diesem Fall zuständig.

      *

      Während sich um Claire, wie sie jetzt auch genannt werden wollte, die Ereignisse überschlugen, ging das Leben weiter.

      Roberta durfte ihre Patienten nicht vernachlässigen, und so hatte sie mehr Arbeit als gewöhnlich und konnte ganz froh sein, dass Lars mit seinen Kapiteln beschäftigt war, die er unbedingt vor seiner Abreise in die Arktis abgeben musste.

      So sehr sie ihn liebte, so gern sie mit ihm zusammen war, viel Zeit hatte sie nicht. Denn obwohl Hilda Hellwig sich rührend um das Mädchen kümmerte, musste auch sie ein Auge auf Claire haben. Eigentlich müsste die jetzt psychologisch betreut werden, doch das wollte sie um keinen Preis, also musste sie das übernehmen. Sie tat es gern, denn Claire durfte jetzt auf keinen Fall einen seelischen Schaden erleiden.

      Ach, ihr Lars, der war wirklich ein unglaublicher Mann. Er fühlte sich bestätigt, und eigentlich hätte er jetzt triumphieren können, weil er es gewesen war, der alles ins Rollen gebracht hatte. Nichts davon. Da war er in seinem Job ähnlich wie sie in ihrem, über Selbstverständlichkeiten sprach man nicht.

      Heute wollte Roberta nach einem anstrengenden Tag noch mal bei Sophia von Bergen vorbei. Die ersten Tage waren um, sie musste mit ihr die neue Dosierung der Pillen aus Amerika abstimmen, vor allem wollte sie wissen, ob sie überhaupt das Resultat brachten, das Roberta sich erhoffte.

      Und einen Blick auf die arme Angela wollte sie auch werfen. Die war medikamentös versorgt, auch die drei Helferinnen sorgten für deren leibliches Wohl, was selbstverständlich war, da sie sich doch um Sophia kümmerten. Die Schmerzen konnte sie Angela nicht nehmen, sie konnte sie lindern. Und das tat Roberta.

      In das Haus von Sophia von Bergen konnte Roberta zu Fuß gehen, und sie atmete tief die frische Luft ein und beeilte sich nicht, um recht viel davon zu haben.

      Es hatte ganz schön viele Turbulenzen gegeben, und sie durfte den Patienten nicht immer nur predigen, sie sollten auf sich aufpassen. Sie musste es auch tun. Sie war ebenfalls nur ein Mensch, und manchmal überholte sie sich wirklich selbst in der Kurve.

      Roberta hatte das Haus erreicht. Es war eines der Häuser, die Carlo von Heimberg gebaut hatte, die zu der Siedlung gehörten, für die er bereits mehrere Preise bekommen hatte.

      Der Sonnenwinkel …

      Ein Ort, der die heile Welt verkörperte, doch das nur scheinbar. Alles war einem Wandel unterworfen, auch hier lagen Freude und Schmerz beieinander. So

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