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meine Leiche.«

      Diese Worte überzeugten Leonie-Claire: »Ich möchte, dass wir für immer zusammen sein werden, Hilda, kannst du mir das auch versprechen?«

      Hilda wunderte sich über sich selbst, sie wuchs über sich hinaus.

      »Wenn du es willst, dann bleiben wir für immer zusammen«, versprach sie.

      Das Mädchen kuschelte sich enger, vertrauensvoll an sie.

      »Das ist gut, mit dir habe ich keine Angst, ich wusste sofort, dass du so etwas wie eine Omi für mich bist, die ich mir immer gewünscht habe, und die ich leider nicht hatte.«

      Vielleicht hatte sie die ja sogar, noch wusste man nicht viel über die Familie. Aber das war Hilda im Augenblick gleichgültig. Sie hatte immer eine Omi sein wollen, sie genoss es, die Rolle spielen zu dürfen.

      »Liebes, hast du eigentlich schon etwas gegessen?«, wollte Hilda wissen.

      Ein Kopfschütteln war die Antwort.

      »Dann wird es höchste Zeit, dass du etwas zu dir nimmst. Auch wenn alles ganz schlimm ist, darf man das Essen nicht vergessen. Was hältst du von Spaghetti?«

      Die konnte man immer essen, egal, wie man auch drauf war.

      Die Kleine nickte, und Hilda fragte sich, wie sie das Mädchen nun anreden sollte, Leonie ging ja wohl nicht mehr, doch Claire, das war fremd. Ein ganz schönes Durcheinander.

      Blacky kam aus einer Ecke hervor.

      »Und was bekommt dein Kater?«, wollte Hilda wissen. Er war nun mal da und konnte nichts für den ganzen Schlamassel.

      »Den habe ich noch gefüttert, aber darf ich mit dir in die Küche kommen? Ich mag jetzt nicht allein sein, und danke, dass ich bei dir bleiben darf. Ich habe nur noch dich. Und, nicht wahr, Hilda-Omi«, wie selbstverständlich kam das über die Lippen des Mädchens, »solange ich bei dir bin, da muss ich keine Angst haben.«

      Hilda war so gerührt, dass sie spontan ihre Arme ausbreitete, Leonie-Claire presste sich schutzsuchend an sie. Die Kleine kam Hilda vor wie ein junges Vögelchen, das aus dem Nest gefallen war. Und irgendwo stimmte der Vergleich ja auch. Sie strich dem Mädchen übers Haar, über den Rücken.

      »Du musst keine Angst mehr haben, mein Herzchen, alles wird gut.«

      Wie das funktionieren sollte, wusste Hilda nicht. Es war eine Situation, die sie noch nie erlebt hatte, doch mit den Herausforderungen wuchsen auch die Kräfte. Und gab es nicht immer einen Ausweg?

      Sie legte einen Arm um die Kleine, dann gingen sie gemeinsam in die Küche, gefolgt von dem Kater, und Hilda stellte fest, dass es überhaupt nicht unangenehm war, so ein Tier um sich zu haben …

      *

      Vor lauter Erschöpfung und Stress schlief Leonie-Claire, Hilda hatte beschlossen, sie erst einmal so zu nennen, sehr schnell ein. Doch sie selbst konnte keinen Schlaf finden. Die Geschichte ließ sie nicht los. So etwas las man normalerweise in Romanen und zweifelte an der Glaubwürdigkeit. Es real zu erleben, das war wirklich unfassbar. Wie sollte alles weitergehen?

      Natürlich würde das Mädchen bei ihr bleiben, aber auf ewig ging das nicht. Sie wusste nicht, ob sie jetzt die Polizei einschalten musste, ob es eine Möglichkeit gab, sich mit Isabella Duncan in Verbindung zu setzen. Das wäre gut, aber wahrscheinlich ging es nicht ohne Polizei, es handelte sich schließlich um eine Straftat.

      Hildas Gedanken drehten sich im Kreis. Je länger sie über alles nachdachte, umso unruhiger wurde sie. Sie fühlte sich durch die ganze Situation überfordert. Sie war nicht mehr die Jüngste, und abgesehen von dem Ärger mit ihrer Tochter, war ihr Leben immer gerade verlaufen.

      Hatte sie zu vollmundig zu vieles versprochen, was sie nicht halten konnte?

      Das arme Mädchen hatte man furchtbar enttäuscht, sie hatte jegliches Vertrauen verloren. Sie durfte sie nicht auch noch enttäuschen.

      Was also sollte sie tun?

      Hilda hatte keine Ahnung. Sie wälzte sich von einer Seite auf die andere, sie trank heiße Milch mit Honig. Nichts half!

      Irgendwann, der Morgen zeigte sich bereits am Himmel, als ihr eine rettende Idee kam. Warum war sie denn nicht sofort darauf gekommen?

      Ja, das war es, sie musste mit Frau Dr. Steinfeld reden, die war nicht nur eine fantastische Ärztin, sondern eine kluge, besonnene Frau für alle Lebenslagen.

      Jetzt war Hilda beruhigt, und sie konnte sogar noch ein wenig schlafen, doch nicht lange, sie musste die Frau Doktor erreichen, ehe sie mit der Sprechstunde begann.

      Hilda stand auf, zog sich an, kochte sich einen starken Kaffee, dann setzte sie sich an den Tisch und beobachtete die Zeiger ihrer Küchenuhr, die sich viel zu langsam fortbewegten.

      Sieben Uhr …, nein, das war wirklich zu früh, sieben Uhr dreißig …, ja, da konnte man es wagen, da war sie bestimmt bereits aufgestanden.

      Hilda wählte ihre Nummer, die sie auswendig kannte, und die Frau Doktor meldete sich sofort.

      Hilda war so aufgeregt, dass sie nicht die richtigen Worte finden konnte, sie stammelte etwas von Notfall, dass sie die Frau Doktor unbedingt sprechen müsse. Nein, nein, mit ihr sei nichts, alles sei viel schlimmer.

      Roberta mochte die alte Dame, doch was die da alles erzählte, das klang einfach ein wenig zu konfus.

      »Frau Hellwig, bitte bleiben Sie ganz ruhig, ich setze mich jetzt in mein Auto und komme sofort zu Ihnen, einverstanden? Und dann können Sie mir in aller Ruhe alles erzählen.«

      Hilda wollte noch etwas sagen, brachte vor lauter Aufregung kein vernünftiges Wort heraus und bedankte sich schließlich nur noch dafür, dass die Frau Doktor kommen würde.

      Als das Telefonat beendet war, bekam Hilda ein schlechtes Gewissen, doch dieser Zustand hielt nicht lange an. Schließlich war sie so etwas wie ein Notfall!

      Hoffentlich wachte die Kleine nicht auf, es war besser, sie sprach erst einmal allein mit der Frau Doktor, zeigte ihr diesen ungeheuerlichen Brief.

      Sie trank die zweite Tasse Kaffee, wurde noch aufgeregter, dann begann sie eine unruhige Wanderung durchs Haus, und schließlich stellte sie sich in die Haustür, damit die Frau Doktor nicht klingeln musste.

      Hilda stellte sich auf eine Wartezeit ein, doch das war überhaupt nicht nötig, die Frau Doktor kam viel schneller als erwartet, sie musste geflogen sein.

      Schon als Hilda die Ärztin sah, wurde sie ruhiger, sie wusste, dass jetzt alles gut wurde.

      Roberta stieg aus ihrem Auto, griff nach ihrer Arzttasche und kam auf Hilda zugelaufen. Die war blass, wirkte aufgeregt, aber nicht wie ein Notfall.

      Ehe Roberta Fragen stellen konnte, bat Hilda sie in ihr Wohnzimmer, sie bat die Ärztin, sich zu setzen, dann reichte sie ihr den Umschlag mit dem verhängnisvollen Brief.

      »Bitte, Frau Doktor, lesen Sie das.«

      Das klang so eindringlich, dass Roberta keine andere Wahl hatte, als den Brief aus dem Umschlag zu nehmen. Sie faltete die Blätter auseinander, dann begann sie zu lesen.

      »Leonie, mein geliebtes Mädchen, ich wünschte mir von ganzem Herzen, du müsstest diesen Brief niemals lesen.

      Doch wenn das der Fall ist, dann bin ich nicht mehr bei dir, dann ist unser gemeinsamer Weg zu Ende, für mich die schönste Zeit meines Lebens. Du hast Licht, Glück, Sonne und unendlich viel Liebe in mein Leben gebracht.

      Und ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll.

      Es ist aufgeflogen, man weiß Bescheid.

      Du bist die Tochter von Isabella Duncan, der weltberühmten Pianistin, und du wurdest entführt.

      Doch mit dieser Entführung habe ich nichts zu tun.

      Du kamst zufällig auf meinen Weg, und für mich war es ein Geschenk des Himmels.

      Als ich dich fand, im buchstäblichen

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