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sie wurde von einem Weinkrampf geschüttelt, und Marianne überlegte schon, ob sie einen Arzt rufen sollte.

      Sandra sollte sich doch nicht aufregen!

      Allmählich ebbte der Tränenstrom ab, und Marianne wagte ihre Tochter zu fragen, was in aller Welt sie auf der Neugeborenenstation gewollt hatte.

      Fast hätte das zu einem neuen Ausbruch geführt, Sandra unterdrückte gewaltsam ihre Tränen, und dann erzählte sie ihrer Mutter, dass sich das zufällig ergeben habe, sie sei, um das Gehen mit dem Gips zu üben, dort gelandet.

      »Mama, und dann habe ich durch die Scheibe geblickt und all die Babys gesehen, das hat mir fast das Herz gebrochen. Ich hätte auch ein so liebreizendes Wesen haben können. Ich habe unser Kind umgebracht, und ich wundere mich, dass ich nicht angeklagt werde und dass Felix überhaupt noch mit mir redet, ich wollte so gern noch ein Kind haben und war überglücklich, dass ich nach einigen Fehlversuchen schwanger war.«

      Marianne von Rieding war so schockiert, dass sie erst einmal nicht in der Lage war, dazu etwas zu sagen. Wie sich das anhörte … Mord … Gefängnis … Was spielte sich da bloß in Sandra ab!

      »Sandra, es war ein Unfall, es war tragisch, doch höre doch jetzt bloß auf, dich in diese Gedanken zu verrennen. Geschehen ist geschehen, und es ist durch nichts mehr zu ändern. Das, was du jetzt tust, ist wahrhaftig nicht der richtige Weg einer Aufarbeitung des Geschehens, des Umgangs mit der Trauer ….« Sie blickte ihre Tochter an. »Weiß Felix von deinem …, von dem, was du mir gerade erzählt hast?«

      Sandra schüttelte den Kopf.

      »Dann erzähle ihm nichts davon«, beschwor Marianne ihre Tochter. »Ich bin nicht dafür, dass man Geheimnisse vor seinem Partner hat. Doch das, was passiert ist, ist so schwierig. Jeder Mensch geht anders mit seiner Trauer um, verarbeitet sie auf unterschiedliche Weise. Ich bin der Meinung, dass Felix nicht mehr darüber reden will. Das ist seine Art, damit umzugehen. Die Babystation, deine Schuldgefühle, das würde alles wieder aufwühlen. Und ehrlich, Sandra, das wäre nicht gut für eure Beziehung. Es geht mit euch wieder, zum Glück muss man sagen, aufwärts. Doch ihr bewegt euch noch auf einem sehr dünnen Eis. Bitte, erzähle es ihm wirklich nicht, und du tue dir so etwas bitte auch nicht mehr an. Das bringt doch nichts. Egal, was du tust, rückgängig machen kannst du nichts. Es ist gut, dass du morgen nach Hause kommen kannst, da kann ich mich ganz anders um dich kümmern.«

      Normalerweise freute sich jeder, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bei Sandra hatte man nicht den Eindruck. Und das verwunderte Marianne.

      »Freust du dich denn nicht?«, wollte sie wissen.

      Sandra war wirklich in einer sehr schlechten Verfassung, sie begann wieder zu weinen, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie sich beruhigt hatte.

      »Mama …, normalerweise würde ich mich freuen, im Krankenhaus zu sein, das ist schrecklich. Doch ich habe Angst, ich habe Angst davor, das Kinderzimmer zu betreten, das Felix und ich voller Vorfreude und mit viel Liebe für das Baby eingerichtet haben.«

      Marianne nahm die schmale, blasse Hand ihrer Tochter, tätschelte sie.

      »Sandra, mein Kind, ich weiß, dass du Schreckliches durchleidest und dass du Angst davor hast, das Kinderzimmer zu betreten. Deine Sorgen sind unbegründet. Felix hat das Zimmer längst ausgeräumt, und er hat alles verschenkt. Die jungen Leute, die alles bekommen haben, waren außer sich vor Freude, sie konnten ihr Glück überhaupt nicht fassen. Diese Aktion hat seinen Schmerz ein wenig gemildert. Ach, weißt du, Sandra, dein Mann ist wirklich großartig. Man merkt immer wieder, wie sehr er dich doch liebt und welche Sorgen er sich um dich macht. Ich glaube, es ist für uns alle gut, in Arizona einen Neuanfang zu wagen. Bei all dem Neuen, was auf uns alle zukommt, verblasst das Negative, das derzeit unser Leben bestimmt. Weißt du, ich bin so gerührt, dass Felix meinem Carlo und mir sofort spontan angeboten hat, mit euch nach Arizona zu gehen. Es ist nicht selbstverständlich, mit den Schwiegereltern im Gepäck in ein neues Leben zu reisen.«

      Sandra konnte nicht sagen, dass die Worte ihrer Mutter sie jetzt erleichterten. Schuldgefühle ließen sich nicht daran festmachen und machten alles leichter, wenn ein paar Möbel und Spielsachen nicht mehr da waren. Das wäre zu einfach. Aber beruhigend war es schon, damit nicht mehr konfrontiert zu werden, was sie mit so viel Vorfreude, mit so viel Glück ausgesucht hatten. Felix war wirklich ein toller Mann, und ihre Mutter hatte recht, es war keine Selbstverständlichkeit, die Schwiegereltern mitzunehmen.

      Arizona …

      Natürlich würde sie mit ihrer gesamten Familie in ein neues Leben gehen. Auf der einen Seite freute sie sich, auf der anderen Seite erschreckte es sie. Sandra fühlte sich auf dem Anwesen Erlenhof wohl. Im Gegensatz zu ihrer Mutter genoss sie alles, auch all die Privilegien, die sie in ihrem Leben unterhalb der Felsenburg hatte. Sie genoss alles, was ihr Großvater ihnen vererbt hatte. Sie sah das auch nicht so emotional wie ihre Mutter. Sie sah es eher als eine Wiedergutmachung für alles, was dieser hartherzige Mann ihnen angetan hatte, insbesondere ihrem Vater. Den hatte er aus seinem Leben gestrichen, weil der es gewagt hatte, die Frau zu heiraten, die er liebte. Und das war zufällig eine Bürgerliche. Es war bitter, dass ihn weder seine Schwiegertochter noch seine Enkelin interessiert hatten.

      Darum musste sie sich keine Gedanken mehr machen. Das war ja jetzt wohl vorbei. Sie würden alles verlassen, verkaufen. Sandra blickte ihre Mutter an.

      »Gibt es schon ernsthafte Interessenten für das Anwesen?«, erkundigte sie sich. Am liebsten wäre ihr, es würde sich niemand finden, und sie könnten bleiben. Doch das war nur Wunschdenken.

      »Ja, stell dir vor«, Marianne von Rieding wurde richtig lebhaft, »deswegen bin ich in erster Linie auch hergekommen. Es gibt mehrere Interessenten, entweder für die Dependance oder für das Herrenhaus. Es interessiert sich sogar jemand für die Felsenburg. Aber das wollen wir ja nicht. Ernsthaft interessiert am gesamten Besitz sind drei Bieter, wovon zwei den Preis drücken wollen, und der Dritte akzeptiert unsere Forderung. Es ist irgendein Graf, der im Herrenhaus wohnen will und in die Dependance seine Firma legen möchte. So etwas bietet sich ja an.«

      »Ein Graf?«, wiederholte Sandra. »Haben die nicht meist selbst ein Schloss oder eine Ritterburg oder etwas in der Richtung?«

      »Na ja, das ist nicht zwangsläufig so. Es gibt auch den Etagenadel, also Adelige, die ganz normal in Wohnungen wohnen. Hier soll es wohl so sein, dass es sich bei diesem Interessenten um einen Zweitgeborenen handelt. Und da ist es ja so, wie übrigens auch auf großen Bauernhöfen, dass immer der Älteste den gesamten Besitz erbt, damit der nicht zerstückelt wird und für die nächste Generation erhalten bleibt. Für diesen Grafen war es wohl bitter, leer auszugehen, und er sucht schon lange einen repräsentativen Besitz. Er hat sich sofort verliebt und möchte das Anwesen um jeden Preis kaufen, obwohl er es nur von den Unterlagen des Maklers kennt.«

      Marianne zuckte die Achseln.

      »Vielleicht hat er sich alles schon mal von außen angesehen, wer weiß. Auf jeden Fall will er schnellstmöglich einen Termin mit uns vereinbaren und dann zum Notar gehen. Er zahlt, ohne mit der Wimper zu zucken, jeden Preis, und glaube mir, den hat mein Carlo ziemlich hoch angesetzt, um einen gewissen Spielraum zu haben. Doch wie es scheint, geht es so in Ordnung.«

      Sandra ließ sich in ihr Kopfkissen zurücksinken.

      Sie hatten es besprochen, sie hatte zugestimmt, doch jetzt, als es konkret geworden war, machte es etwas mit ihr. Eine leichte Wehmut beschlich sie. In ihrem wunderschönen, von Felix mit viel Aufwand umgestalteten Haus würde sich bald eine Firma befinden, im Herrenhaus würden andere Leute wohnen.

      Und die Felsenburg, das Wahrzeichen des Anwesens, die geschichtsträchtige Ruine, die stolz alles überragte, würde auch diesem Grafen gehören.

      Marianne von Rieding verstand ihre Tochter nicht. Was war denn nun schon wieder los?

      »Sandra, besser geht es nicht. Es ist ein unglaubliches Glück, so schnell einen solventen Käufer zu finden. Das Anwesen hat einen stolzen Preis, und der Unterhalt für alles ist sehr hoch, das kann und will sich auch nicht jeder erlauben.«

      Sandra blickte ihre Mutter an.

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