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leise, – von seinen Enttäuschungen, von dem Ringen ums tägliche Brot, dem Tode seiner Eltern, die nie damit einverstanden gewesen waren, daß ihr einziges Kind Kunstmaler wurde.

      Blendel schwieg und ließ den anderen sich das Herz einmal freireden.

      Dann hielt der Kraftwagen in einer engen Seitenstraße in der Nähe des Stadtbahnhofs Tiergarten vor einem zweistöckigen Hause, das alles andere als vornehm aussah, – mehr wie ein wegen Baufälligkeit leerstehender altehrwürdiger Steinkasten.

      „Ist das das Klubgebäude?“ fragte Lossen erstaunt. Er hatte von einem Klub der Fünfzig noch nie etwas gehört.

      Wieder lachte der Baron laut heraus, sagte aber nichts, bezahlte den Chauffeur und schritt auf die verwitterte Haustür zu, die er dann mit einem Schlüssel öffnete, den er an silberner Kette in der Beinkleidertasche trug.

      In dem kahlen Flur brannte eine Gaslampe mit halb zerbrochenem Stumpf. Links lief ein Gang nach dem Hofe zu, rechts führte eine verwahrloste Treppe in die oberen Stockwerke.

      In den Gang mündeten ein paar Türen. Gelächter, Gläserklirren und die Töne eines nicht gerade erstklassigen Klaviers schalten aus den Erdgeschoßzimmern hervor.

      „Gehen wir in den Olymp“, meinte der Baron. „Hier unten ist’s zu lebhaft.“

      Erst im zweiten Stock machte er halt. Überall zeigte das Haus denselben Verfall und dieselbe Ärmlichkeit. Lossen war starr. Blendel hier in diesem Rattenbau?! Der elegante, millionenschwere Blendel …?! Und dies sollte ein Klubhaus sein …?!

      Der Baron öffnete eine Tür und trat ein. Das Zimmer war dunkel. Er rieb ein Zündholz an und machte Licht. Als die Gasflamme puffend sich entzündete, als das gelbliche Glühlicht den Raum erhellte, stand Lossen eine Weile ganz verwirrt da.

      „Bißchen eigenartig, nicht wahr?“ sagte Blendel vergnügt. „Ja, schau nur!! Wir befinden uns hier in einer getreuen Nachahmung eines Kirgisen-Wohnzeltes. Nur die Gaslaterne paßt nicht hinein. Und – Nachahmung ist auch falsch. Alles ist echt, mein Alter, alles: echter Kirgisenfilz, die Zeltwände, echt die Ruhelager, echt der Steinherd, die Tischchen und so weiter. Hat ein Sündengeld gekostet, die Geschichte! Hab’s selbst dem Klub gestiftet. Direkt aus der Kirgisensteppe importiert. Nur entlaust mußte jedes Stück werden, bevor das Zelt hier wieder aufgebaut wurde. – Setz’ Dich, Patroklus, – setz’ Dich!“

      Der Baron tastete durch einen Spalt der Zeltwand hindurch nach der elektrischen Klingel. Gleich darauf erschien ein altes Männchen im schwarzen Bratenrock und vielen Kriegsdenkmünzen auf der Brust.

      „Ich stelle Dir hier Herrn Leberecht Kniebel vor, unseren Hausmeister, lieber Patroklus“, sagte Blendel. „Veteran von 66 und 70–71, treu wie Du, ehrlich wie ein preußischer Finanzminister und trunkfest wie Bismarck in seinen besten Jahren! – Also – Leberecht, bringen Sie Sekt und dazu eine kalte Schüssel.“

      Der Hausmeister verschwand. Eginhard von Blendel reckte sich, gähnte und warf sich dann der Länge nach auf eines der diwanähnlichen, mit Wolfsfellen bedeckten Ruhelager.

      „Patroklus, mein Alter, – Du sitzt noch immer wie ein Häufchen Unglück da“, meinte er unzufrieden. „Du bist jetzt Kirgise! Also mach’s wie ich! – Hinlegen!!“ rief er im Kommandoton, als exerziere er einen Zug von Vaterlandsverteidigern. „So, – – so gefällst du mir! Hier – Zigarre gefällig? – – Du befindest Dich jetzt also in sehr geheiligten, sehr verrückten Räumen unter mehr oder minder verrückten Menschen. Der Klub der Fünfzig besteht drei Jahre. Gegründet wurde er von ein paar Künstlern und reichen Geschäftsleuten, die etwas Eigenartiges, außerhalb jeder Schablone Liegendes ins Leben rufen wollten. Mehr wie fünfzig Mitglieder darf die Vereinigung nicht haben. Erst der Tod öffnet also Anwärtern die Tür zu diesem Hause. Und der Tod hält häufig Ernte unter uns. Vorige Woche erschoß sich Menscherski, der bekannte Rennfahrer, Kinkert, der Flieger, stürzte mit seiner Luftkutsche ab, und Palzow schied aus, weil er drei Jahre Zuchthaus wegen Hochstapeleien erhielt. Ganz und gar alle unsauberen Elemente fernzuhalten, ist leider trotz der scharfen Aufnahmebedingungen nicht möglich. Jedenfalls findest Du hier an Berufen so ziemlich alles vertreten. Und alle diese Herren sind genötigt gewesen, sozusagen ein Gesellenstück abzulegen, bevor sie Mitglieder wurden. Durchschnittsmenschen gibt es unter uns nicht. Zum Teil sind es sogar Berühmtheiten. – Gesellenstück – hm, ja. Du sahst mich dabei so fragend an, scheinst wissen zu wollen, was ich denn Besonderes geleistet habe. Ich war vor zwei Jahren bei unseren Antipoden, habe auch Haiti auf meiner Weltreise besucht und dabei den Neger-Geheimbund der Mamaloi studiert, nachher eine Schrift darüber veröffentlicht. –

      Doch nun zu Dir. Ich werde mal eine Weile verschwinden. Vielleicht ist Scharfer unten. Du kennst doch den Kommerzienrat vom Hörensagen, nicht wahr? Ich will ihn für Dich zu interessieren suchen. Er hat überall seine Verbindungen. Du mit Deinem Talent Dekorationsmaler einer Filmfirma – ein Unding!! Ich werde sehen, was sich machen läßt. Entschuldige mich also …“

      „Einen Augenblick!“ unterbrach Lossen ihn ernst. „Es hat keinen Zweck, sich irgendwie für mich zu verwenden. Wirklich nicht!“ Der bittere, weltschmerzliche Zug grub sich wieder deutlich in tiefen Falten um des Malers Mund ein. „Ich sagte Dir ja schon unter den Linden, daß ich vielleicht ein Lump geworden bin. Für die Welt da draußen gelte ich tatsächlich für erledigt. Ich habe zwei Jahre Gefängnis hinter mir, Blendel. Das ist die Sache! Zwei Jahre wegen Diebstahls. Du bist damals wohl gerade im Auslande gewesen, als mein Prozeß eine Woche lang die Spalten aller deutschen Zeitungen füllte. Mein Name wurde durch den Schmutz geschleift. Meine Eltern starben vor Gram. Ich bin entehrt, vorbestraft, geächtet …!!“

      Werner Lossen war aufgesprungen. Seine Augen schimmerten feucht vor innerem Weh.

      „Laß mich also wieder gehen“, rief er mit erstickter Stimme. „Ich bin kein Verkehr mehr für den Baron Blendel.“ Er griff nach Hut und Überrock.

      „Blech, Blödsinn!“ sagte der Baron, erhob sich und nahm dem Freunde die Sachen wieder ab. „Hinlegen, alter Patroklus! – Du und stehlen!! – Ah – da ist der Sekt! – Einschenken, Kniebel! – So – – auf Dein Wohl, Werner Lossen, auf unser Wiedersehen!“

      Der junge Maler war auf den Rand des Ruhebettes gesunken, hatte den Kopf in beide Hände vergraben und schluchzte leise.

      Blendel setzte sich neben ihn.

      „Tränen sind Weibersache“, meinte er hart. „Erzähle mir die Geschichte. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn man Deine Unschuld nicht beweisen könnte.“

      Dann legte er Lossen den Arm um die Schulter, zog ihn wie ein Kind an sich.

      „Beruhige Dich!“ sagte er weicher. „Ich bin noch immer etwas rauh und rüdig. Du weißt, mich nannten sie in Kulm Achilles! Und das war gewiß ein wenig zartbesaiteter Krieger, diese griechische Trojakämpfer, den Homer als Menschenschlächter besungen hat.“

      Der Maler hob den Kopf.

      „Wie wohl das tut“, meinte er leise. „Wie das tröstet! Du glaubst ohne weiteres an mich, an meine Unschuld! Meine Eltern nicht … Sie ließen mich fallen.“

      „Armer Kerl! – Hier, stoß’ nun endlich mit mir an. Prosit! Auf Deine Zukunft!“

      Er stürzte den Inhalt der flachen Sektschale hinunter und schleuderte sie dann in eine Ecke.

      „Scherben bedeuten Glück, Lossen! – Vorwärts erzähle!“

      2. Kapitel

       Im Kirgisenzelt

       Inhaltsverzeichnis

      Die Flasche Sekt war leer, als Lossen die Schilderung seines Unglücks beendet hatte.

      Der Baron hütete sich während dieser halben Stunde, den Freund auch nur mit einer einzigen Frage oder Zwischenbemerkung zu unterbrechen. Der Maler hatte sich in eine Erregung hineingesprochen, die seinem Bericht nur zugutekam. Nichts

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