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kennengelernt, Sie sehen mich. Ihre Menschenkenntnis muss Ihnen doch sagen, dass wir nichts tun würden, um Lenis Tochter zu schaden. Leni weiß ja nicht einmal, dass ich hier bin, und das werde ich ihr auch nicht sagen. Nicht, weil ich befürchte, dass Sie mit irgendetwas Miss­brauch treiben würden, sondern, um ihr eine Enttäuschung zu ersparen. Sie hat genug gelitten und leidet immer noch. Nein, ich würde die Tochter aufsuchen, mit ihr reden, ihr erzählen, wer ihre Mutter wirklich ist. Und wenn die junge Frau es ablehnt, ihre leibliche Mutter kennenzulernen, dann gebe ich auf. Dann will das Schicksal es nicht, dass die Beiden sich begegnen. Aber es könnte ja auch anders kommen. Leni würde sich niemals zwischen ihre Tochter und deren Adoptiveltern stellen. Das könnte sie doch auch nicht. Das Mädchen ist bei den anderen Leuten aufgewachsen, sie waren es, die es von Baby an begleitet haben. Sie werden doch immer die Eltern bleiben. Ach, Frau Schäffer, ich weiß nicht, was ich jetzt noch sagen soll. Ich spüre, dass alles gut werden kann, wenn die Beiden sich begegnen und Leni weiß, dass ihre Tochter in guten Händen ist.«

      »Das Mädchen ist in guten Händen, außerdem … jetzt ist es doch längst erwachsen und geht eigene Wege.«

      »Und einer dieser Wege könnte zu der leiblichen Mutter führen.«

      »Frau Fahrenbach …«

      Bettina ahnte, dass Frau Schäffer sie jetzt vor die Tür setzen wollte, und das war ja auch ihr gutes Recht. Sie war nett und zuvorkommend gewesen und hatte ihren Standpunkt, der auch verständlich war, deutlich klargemacht.

      Aber das hier war ihre letzte Chance, die durfte sie einfach nicht ungenutzt vergehen lassen. Ein zweites Mal würde Helene Schäffer nicht mit ihr reden.

      »Frau Schäffer, ich will Sie nicht in Schwierigkeiten bringen, und ich werde auch alles, was wir miteinander geredet haben, vertraulich behandeln. Sie kennen mich leider nicht, sonst wüssten Sie, dass ich die Wahrheit sage, dass ich Ihnen nichts vormache. Und schade, dass Sie Leni jetzt nicht sehen können, wie Sie auf meinem Hof lebt, zusammen mit ihrem Mann, und dann gibt es auch noch Toni … wir sind mehr oder weniger eine Familie, die fest zusammenhält. Die Dunkels, ich meine, Leni und ihren Mann, und Toni sind eigentlich mehr als meine Familie. Meine eigene Familie fällt mir immer nur in den Rücken …«

      Sie hätte vermutlich noch ewig weitergeredet, wenn sie nicht durch ihr Gegenüber gestoppt worden wäre.

      »Bitte, Frau Fahrenbach. Ich glaube Ihnen ja, dass Sie ehrlich und aufrichtig sind, und wie Sie sich für Ihre Leni einsetzen, das ehrt Sie.«

      Sie zögerte einen Augenblick, überlegte, dann nickte sie, als habe sie sich in diesem Moment selbst von etwas überzeugt.

      Sie schaute Bettina an.

      »Dr. Wiedemann war ein sehr guter Augenarzt. Leider hat er aus Altersgründen seine Praxis aufgegeben. Sie können ihn nur noch privat erreichen.«

      Das Wunder war geschehen!

      Frau Schäffer hatte ihr geholfen.

      Bettina stand auf, Frau Schäffer hatte sich ebenfalls erhoben.

      Sie lächelte leicht, und Bettina konnte nicht anders, sie musste die Frau umarmen.

      »Danke«, flüsterte sie, »tausend Dank … man sagt ja, dass man einmal am Tag eine gute Tat begehen soll. Das, was Sie getan haben, das reicht für ein ganzes Leben.«

      Frau Schäffer machte sich aus Bettinas Umarmung frei.

      »Das haben Sie nett gesagt. Doch jetzt bitte ich Sie, zu gehen. Ich wünsche Ihnen viel Glück, aber bitte, kommen Sie nicht mehr hierher. Ich möchte nicht, dass es im Falle eines Falles … ich meine, es sollte keine Spur hierher zu mir verfolgt werden können. Was ich gerade getan habe, war nicht richtig, und ich hätte es nicht tun dürfen.«

      »Doch, Frau Schäffer, es war richtig. Ich werde Ihr Vertrauen nicht missbrauchen, das verspreche ich. Ich würde Ihnen sehr gern als Zeichen meiner Dankbarkeit ein paar Blumen schicken. Aber vermutlich wollen Sie das nicht.«

      »Nein, das möchte ich nicht. Sie gehen jetzt, und wir werden niemals mehr etwas voneinander hören, auch nicht, wenn – und das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen – Ihre Aktion psoitiv verlaufen wird.«

      Bettina begann in ihrer Handtasche zu kramen und beförderte einen wunderschönen bronzenen Engel hervor, der sie, als er von ihr gekauft worden war, durch seine Schlichtheit beeindruckt hatte.

      Sie hatte ihn als Talisman seither immer in ihrer Tasche getragen.

      Sie hatte sich durch ihn beschützt gefühlt, und er hatte ihr Glück gebracht, besonders heute, und dieses Glück wollte sie jetzt weitergeben.

      »Bitte, Frau Schäffer, nehmen Sie als Zeichen meiner Dankbarkeit diesen kleinen Engel an. Er soll Sie immer an Ihre Großherzigkeit erinnern und daran, dass Sie Menschen sehr glücklich gemacht haben. Denn ich bin überzeugt davon, dass nun alles gut wird.«

      Helene Schäffer wollte protestieren, aber Bettina drückte ihr den Engel einfach in die Hand.

      »Dieses kleine Geschenk kommt von ganzem Herzen, und deswegen dürfen Sie es auch annehmen. Danke nochmals für Ihre Hilfe, tausend Dank. Ich werde Sie niemals vergessen.«

      Bettina drehte sich rasch um. Es war alles gesagt, sie wollte Helene Schäffer nicht in Verlegenheit bringen, und sie wollte auch nicht riskieren, dass sie den kleinen Engel nicht annahm. Aber von Bestechung konnte auch keine Rede mehr sein, Helene Schäffer war ja nicht mehr im Amt.

      »Auf Wiedersehen, nein … adieu, Frau Schäffer«, sagte sie von der Tür her und sah, dass Helene Schäffer den kleine Engel fest an ihre Brust gedrückt hatte.

      Ihre spontane Entscheidung war richtig gewesen, der Anderen gefiel das kleine Geschenk, und das machte Bettina ganz glücklich.

      Sie verließ das Haus und eilte an dem Mann in der Nachbarschaft vorbei, der noch immer in seinem Vorgarten werkelte und jetzt so gern etwas erfahren hätte.

      *

      Als Bettina in ihrem Auto saß, war sie zunächst einmal nicht in der Lage, es zu starten. Ihre Hand zitterte so stark, dass sie den Zündschlüssel einfach nicht herumdrehen konnte.

      Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

      Sie hatte den Namen des Adoptiv­vaters!

      Augenarzt Dr. Wiedemann!

      Die Adresse herauszusuchen würde ein Leichtes sein.

      Bettina konnte einfach nicht glauben, dass auf einmal alles so leicht gegangen war. Doch es muss­te wohl so kommen.

      »Die Dinge passieren, wenn die Zeit reif ist.«

      Dieser Satz fand wieder einmal seine Bestätigung. Wenn etwas geschehen sollte, lief alles glatt, wenn es noch nicht an der Zeit war, gab es Widerstände um Widerstände.

      Passanten, die vorübergingen, schauten neugierig zu ihr ins Auto. Sie wollte nicht riskieren, dass jemand sie etwas fragte, also atmete sie noch einmal tief durch, und dann gelang es ihr, ihr Auto zu starten.

      Sie lenkte es in Richtung Innenstadt. Sie erinnerte sich, dass sie auf dem Marktplatz auch ein Postamt gesehen hatte, dort wollte sie aus dem Telefonbuch die genaue Anschrift von Dr. Wiedemann heraussuchen. Außerdem würde sie sich in das nette, kleine Bistro setzen, um eine Kleinigkeit zu essen.

      Den »Kaiserhof« würde sie meiden. Aber es war schon verrückt, dass der Kindesvater und seine Tochter in einer Stadt lebten, ohne voneinander zu wissen. Aber dieser Mann wusste ja nicht einmal, dass es eine Tochter war, er hatte Leni ja schon in den ersten Schwangerschaftswochen verlassen.

      Bettina fand sofort einen Parkplatz, ging in das kleine Postamt und ließ sich dort das örtliche Telefonbuch geben.

      Dr. Kurt Wiedemann, Augenarzt, Marktplatz 4.

      Obschon es die Praxis doch nicht mehr gab, war der Eintrag noch nicht gelöscht worden, aber so wuss­te sie wenigstens seinen Vornamen, und es war ein Leichtes, die Privatadresse herauszufinden, auch die Telefonnummer.

      Dr.

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