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sich Anschrift und Telefonnummer aufschrieb.

      Sie reichte der Frau am Schalter das Telefonbuch zurück.

      »Können Sie mir bitte sagen, wo ich die Cäcilienallee finde?«

      »Ja, ist ganz einfach. Sie überqueren den Marktplatz, gehen in die Schlüterstraße, am Stadttheater vorbei, und dann können Sie den Stadtpark sehen. Aber vorher rechts, das ist die Cäcilienallee. Sie ist nicht zu verfehlen, denn das ist die schönste Straße hier bei uns.«

      Bettina bedankte sich, dann ging sie hinaus.

      Lenis Tochter war also in sehr guten Verhältnissen, in einer sehr guten Gegend aufgewachsen. Aber was sagte das schon. Bettina hoffte, dass Dr. Wiedemann und seine Frau gute Eltern für Lenis Kind gewesen waren und dass sie jetzt als Erwachsene glücklich und zufrieden war.

      Sie musste jetzt erst einmal einen Kaffee trinken, weil sie das Gefühl hatte, eine totale Leere in ihrem Kopf zu haben und eine Rolle in einem Film zu spielen und nicht sie selbst zu sein.

      Es war erstaunlich, man erkannte sie in diesem Café.

      »Na, wieder mal in unserer Stadt?«, wurde sie freundlich von der Bedienung begrüßt.

      Fremde schienen sich hierhin nicht zu verirren. Aber Winkenheim war kein Touristenort, und Geschäftsleute oder Handelsvertreter, die hierher kamen, besuchten wohl größere Restaurants.

      Aber das Café war wieder gut besucht.

      Bettina bestellte sich einen Kaffee und schaute auf die Tafel, auf die die Tagesgerichte geschrieben worden waren.

      Bandnudeln mit Pfifferlingen

      Matjes mit grünen Bohnen und Röstkartoffeln

      Gemischter Salat mit Putenstreifen

      Kleines Pilzrahmsüppchen mit Croutons

      Hörte sich alles gut an, und auch die Preise waren wieder ganz erstaunlich. Kein Wunder, dass fast jeder Tisch besetzt war, obschon es erst früher Mittag war.

      Bei den Einheimischen war es wohl ein Geheimtipp.

      Nach einigem Zögern entschied Bettina sich für den Matjes, den hatte sie lange nicht gegessen und hoffte nur, dass er mild und nicht salzig war, wie man ihn oft bekam, wenn man ihn nicht irgendwo an der Küs­te, speziell der holländischen, bestellte. Dazu bestellte sie sich eine Apfelschorle.

      Während sie ihren Kaffee trank, der ihr bereits serviert worden war und sie augenblicklich belebte, dachte sie an das Gespräch mit Helene Schäffer.

      Welch ein Glück, dass sie eine so nette Frau war, voller Verständnis, aber auch mit ganz viel Herz.

      Nach dem Essen würde sie zur Cäcilienallee laufen. Die Frau in der Post hatte ja gesagt, dass es nicht weit war.

      Ein paar Schritte an der frischen Luft würden ihr guttun. Außerdem lag noch eine längere Rückfahrt vor ihr.

      Sie hatte gerade ihre Tasse beiseite geschoben, als die Bedienung an ihren Tisch kam.

      »So, der Matjes für Sie und eine Apfelschorle«, sie stellte den Teller und das Glas hin, »ich wünsche Ihnen guten Appetit.«

      Bettina schaute auf ihren Teller, auf dem das Essen sehr appetitlich angerichtet war. Die Bratkartoffeln waren goldbraun, die grünen Bohnen, in Speck eingewickelt, waren frisch und nicht aus der Dose, und wenn die Matjes, es waren vier Filets, so schmeckten, wie sie aussahen, dann hatte Bettina die richtige Wahl getroffen.

      Sie pickte zuerst in eine Kartoffel, sehr gut, fast wie bei Leni. Die Bohnen waren köstlich, und der Matjes, den sie als letztes probierte, war ein Gedicht – butterzart und geschmacklich hervorragend. Und das ganze Essen kostete sage und schreibe sechs Euro neunzig.

      Bettina genoss ihr Essen und gönnte sich zum Abschluss, obschon sie ja eigentlich nicht mehr so viel Kaffee trinken wollte, einen Espresso. Aber der musste jetzt einfach sein.

      Sie gab ein reichliches Trinkgeld und wurde dafür sogar von der Bedienung zur Tür geleitet.

      »Besuchen Sie uns bald wieder, und einen schönen Tag noch.«

      Bisher war ihr Tag schön gewesen, doch wie würde er weiter verlaufen?

      Bettina bedankte sich, dann schlenderte sie über den Marktplatz und vermied es geflissentlich, nicht hinüber zum »Kaiserhof« zu sehen, wo Lenis Exfreund und der Vater von Lenis Kind wohnte, dem sie am liebsten noch einmal die Meinung gesagt hätte.

      Der Regen hatte wieder aufgehört, aber es blieb ein grauer, trüber Tag, an dem zu erkennen war, dass es endgültig Herbst wurde und die schönen Tage gezählt waren. Aber das tat Bettinas Laune nicht den geringsten Abbruch, nicht nach dem Wunderbaren, was sie heute schon erlebt hatte.

      Sie fand die Cäcilienallee sofort. Es war eine sehr schöne Straße, links und rechts gesäumt von schönen Einfamilienhäusern und Villen, in der Mitte bestanden von ausladenden Platanen, die die Straße allerdings auch ein wenig düster erscheinen ließen und ihr Licht nahm.

      Durch die Platanen war die Straße geteilt, aber auch durch den Spazierweg mittendrin.

      Bettina war froh darum, denn so konnte sie sich vorsichtig dem Haus Nummer 40 nähern.

      Es war eine alte Villa, die ein wenig zurückgesetzt in einem Garten mit altem Baumbestand lag. Rechts vom Haus waren die Garagen, zu denen eine breite Auffahrt führte, zu der man gelangte, wenn man das große weiße Holztor öffnete.

      Es war alles sehr gediegen.

      Hier also war Lenis Tochter aufgewachsen.

      Die Haustür öffnete sich, ein großer, schlanker Mann mit grauen Haaren kam heraus. Er trug etwas in der Hand und ging damit um das Haus.

      War das Dr. Wiedemann?

      Bestimmt.

      Ihren ersten Impuls, zu dem Haus zu laufen, zu klingeln, sich vorzustellen, unterdrückte Bettina.

      Irgendetwas sagte ihr, nicht hinzugehen, nicht zu klingeln.

      Heute würde sie überhaupt nichts mehr tun, sondern nach Hause fahren.

      Sie war innerlich aufgewühlt, verwirrt.

      Leni würde jetzt sagen: »Gut Ding will Weile haben«, und daran wollte sie sich halten. Jetzt nichts überstürzen, jetzt nichts falsch machen.

      Sie wusste, wo sie Lenis Tochter finden würde, und das musste für den Anfang reichen.

      Auch wenn es bis Winkenheim eine längere Autofahrt war, die würde sie gern auf sich nehmen, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen hielt, Dr. Wiedemann und seine Familie aufzusuchen.

      Sie blieb noch eine ganze Weile stehen und starrte, geschützt durch die Bäume, auf die Villa. Doch je länger sie dastand, umso überzeugter war sie davon, heute nichts zu unternehmen, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen.

      Es hatte wieder angefangen zu regnen, und das gab den Ausschlag. Bettina wandte sich ab und beeilte sich, zu ihrem Auto zurückzukommen.

      Sie würde nach Hause fahren und sich nichts anmerken lassen von dem Erfolg ihrer Mission.

      Ein wahrer Erfolg würde es ohnehin erst sein, wenn sie mit Lenis Tochter gesprochen hatte und diese davon überzeugen konnte, dass ihre leibliche Mutter nicht irgendein Monster war, sondern ein herzensguter Mensch.

      Bettina war froh, ihr Auto erreicht zu haben, sie zog ihre Jacke aus und strich ihr nasses Haar zurück.

      Auf den letzten Metern hatte es so richtig geschüttet.

      Auf Radio hatte sie jetzt keine Lust, sie kramte in ihren CD’s herum. Dabei fiel eine kleine Einkaufstüte herunter.

      Richtig, sie hatte sich eine neue CD gekauft und sie dann im Auto vergessen. Welch ein Glück! Nun konte sie die CD während der langen Heimfahrt hören. Und das war genau das, was sie im Moment brauche.

      Gregorianische Gesänge, die überall auf den ersten Plätzen in den Charts

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