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und zu erwarten, von ihr Auskünfte über eine Adoption zu erhalten, die vor mindestens dreißig Jahren stattgefunden hatte.

      Es war verrückt. Eigentlich hätte Bettina sich am liebsten umgedreht und wäre zu ihrem Auto zurückgelaufen, um die Aktion abzublasen. Doch sie spürte den neugierigen Blick des Nachbarn in ihrem Rücken. Bettina drehte sich um. Der Mann hatte seine Harke wieder in der Hand, stützte sich darauf und schaute voller Neugier zu ihr.

      Natürlich konnte es ihr gleichgültig sein, ob oder was ein Fremder dachte. Aber irgendwie gab genau das den Ausschlag für sie, nicht aufzugeben.

      Sie straffte sich, atmete tief durch, dann öffnete sie das niedrige Gartentörchen.

      Auch Helene Schäffer bewohnte eines dieser kleinen Siedlungshäus­chen, die sich ähnelten wie ein Ei dem anderen.

      Aber ihr Vorgarten war schlichter. Es gab nur einige niedrige Sträucher und Blumen, die farblich aufeinander abgestimmt waren. In diesem Vorgarten dominierten Hortensien, was Bettina als ein gutes Zeichen deutete. Sie mochte Hortensien in allen Variationen.

      Sie ging die fünf Stufen zur schlichten Haustür empor, zögerte noch einen Moment, atmete noch einmal tief durch, dann drückte sie entschlossen auf den Klingelknopf.

      Es dauerte nicht lange, da wurde die Tür geöffnet.

      Helene Schäffer war eine hochgewachsene, fast hagere Frau mit kurzgeschnittenen graumelierten Haaren. Sie trug eine graue Hose und einen leichten blassrosafarbenen Pulli und wirkte auf den ersten Blick sehr sympathisch.

      Fragend schaute sie Bettina an.

      »Guten Tag, Frau Schäffer … mein Name ist Bettina Fahrenbach. Haben Sie einen Moment Zeit für mich?«

      Es war blöd, so anzufangen, aber Bettina war froh, wenigstens die paar Worte herauszubringen.

      »Wenn Sie mir ein Zeitungsabonnement verkaufen wollen oder mich als Mitglied eines Bücherclubs werben wollen – nein. An einer Versicherung bin ich auch nicht interessiert.«

      »Nein, nein, ich möchte Ihnen nichts verkaufen. Ich …«, wie sollte sie es nur sagen. »Es geht um eine Adoption.«

      Erstaunt blickte Helene Schäffer ihre junge Besucherin an.

      »Da sind Sie hier völlig verkehrt. Ich bin nicht mehr im Amt. Wer hat Sie denn zu mir geschickt?«

      »Niemand. Ich habe es herausgefunden, weil …«

      Weil was. Inzwischen hatte es angefangen zu regnen. Helene Schäffer zögerte einen Moment, dann sagte sie, sehr zu Bettinas Erleichterung.

      »Kommen Sie herein. Sie müssen ja nicht nass werden. Außerdem haben Sie mich ein wenig neugierig gemacht.«

      Sie durchquerten einen schmalen Flur, dann führte Helene Schäffer sie in ein kleines Wohnzimmer, das mit hellen schwedischen Möbeln ausgestattet war, beigen Sesseln und einer beigen Couch, auf der bunte Kissen drapiert waren. An den Wänden hingen Aquarelle, die sehr hübsch waren, aber den Laien erkennen ließen. Vielleicht malte die Hausherrin ja.

      Durch das große, zum Garten hinausführende Fenster und die leicht geöffnete Terrassentür blickte man in einen Garten, der in erster Linie einen alten Obstbaumbestand aufwies.

      »Bitte, nehmen Sie doch Platz und erzählen mir, was Sie hierher geführt hat.«

      Frau Schäffer war ausgesprochen sympathisch, aber dennoch hatte Bettina das Gefühl, beim Examen vor einer Prüfungskommission zu sitzen und nichts zu wissen.

      Wie sollte sie nur anfangen!

      Bettina schaute ihr Gegenüber an. Frau Schäffer blickte interessiert, ihr Gesichtsausdruck war offen, die ganze Person schien sehr nett zu sein. Da fasste sie sich ein Herz.

      »Bitte, halten Sie mich nicht für verrückt. Aber ich möchte einer Frau helfen, die mir sehr am Herzen liegt, die selbstlos und gütig ist und unter einem schwerwiegenden Fehler, den sie aus lauter Verzweiflung begangen hat, sehr, sehr leidet.«

      Dann sprudelte es aus Bettina nur so heraus, als habe sie Angst, von Frau Schäffer des Hauses verwiesen zu werden, ehe sie mit ihrem Vortrag fertig war.

      Helene Schäffer hörte zu, ohne Bettina zu unterbrechen.

      »So, jetzt wissen Sie alles«, beendete Bettina ihren Monolog.

      »Es spricht für Sie, dass Sie dieser Dame helfen wollen. Aber was soll ich dabei tun? Unabhängig davon, dass ich Ihnen keine Auskünfte geben darf, auch nicht als Pensionärin, kann ich mich doch nicht an Fälle erinnern, die so lange zurückliegen. Wissen Sie, wie viele Adoptionen ich während meiner Amtszeit bearbeitet habe? Außerdem ist überhaupt nicht sicher, dass das Jugendamt involviert war. Adoptionen werden auch über kirchliche oder caritative Einrichtungen vermittelt … aber selbst, wenn ich seinerzeit den Fall bearbeitet hätte, dürfte ich Ihnen keinerlei Auskunft geben, so verlangt es das Gesetz.«

      »Aber adoptierte Kinder können sich doch nach ihren leiblichen Eltern erkundigen.«

      Helene Schäffer nickte.

      »Ja, das ist richtig. Wenn ein adoptiertes Kind sechzehn Jahre und älter ist, hat es ein Recht darauf, Auskunft zu erhalten.«

      »Ja, das bedeutet doch …«

      Bettina wurde von ihrem Gegenüber unterbrochen.

      »Das adoptierte Kind hat das Recht. Da Ihre … Bekannte noch nichts von ihrem leiblichen Kind gehört hat, sieht es in diesem Fall ganz so aus, dass das Kind nicht daran interessiert ist, etwas über die leiblichen Eltern zu erfahren. Schauen Sie, Sie sagten, das Kind müsse mindestens dreißig Jahre alt sein. Es hätte vierzehn Jahre Zeit gehabt, etwas herauszufinden.«

      »Vielleicht weiß die Tochter nicht, dass sie adoptiert ist. So etwas soll es ja auch geben.«

      »Dann sollte man den Fall erst recht ruhen lassen. Nein, es tut mir leid. Ich kann Ihnen nicht helfen. Es ist zwar lobenswert, wie sehr Sie sich bemühen. Aber, um sich Enttäuschungen zu ersparen, sollten Sie mit Ihren Nachforschungen aufhören. Dreißig Jahre … selbst wenn ich es könnte und wollte, würde ich mich nicht erinnern.«

      Sie wollte aufstehen, und ihre Besucherin verabschieden.

      »An diesen Fall werden Sie sich bestimmt erinnern, die Mutter des Kindes hieß auch Helene Schäfer, nur dass ihr Familienname mit einen F geschrieben wurde.«

      Die Frau stutzte.

      Wie gebannt blickte Bettina zu ihr hin und wusste sofort, dass Helene Schäffer sich erinnerte. Nicht eine andere Einrichtung hatte die Adoption eingeleitet, sondern das Jugendamt von Winkenheim.

      In Bettinas Hirn begann es fieberhaft zu arbeiten. Sie musste Helene Schäffer dazu bewegen, ihr etwas zu sagen. Sie war ihrem Ziel so nahe, und um dorthin zu gelangen, benötigte sie die Mithilfe dieser Frau, die ihr gegenüber saß.

      »Nicht wahr, Sie erinnern sich«, sagte Bettina mit vor Aufregung ganz heiser klingender Stimme.

      »Ja, es war ein tragischer Fall damals. Der jungen Frau brach fast das Herz, als sie ihr Kind abgeben muss­te. Aber sie hatte doch keine andere Wahl, und für das Kindeswohl war es auf jeden Fall besser. Welche Chance hätte die Kleine denn bei einer Mutter gehabt, die nicht einmal in der Lage war, sich selbst zu ernähren. Sie hatte ihre Stelle verloren, keine eigene Wohnung, weil sie ja in dem Hotel, in dessen Res­taurant sie als Köchin angestellt gewesen war, gewohnt hatte … wir haben das Kind zu sehr guten Eltern vermittelt.«

      »Frau Schäffer, ich bin sehr froh, dass Sie sich an Leni erinnern und auch daran, dass sie ihr Kind nicht leichtfertig abgegeben hat. Bitte helfen Sie mir, die Tochter zu finden.«

      »Frau Fahrenbach, ich wiederhole es. Das darf ich nicht.«

      »Aber Sie sind pensioniert …«

      »Auch das wiederhole ich. Ich darf es nicht, selbst wenn ich es wollte.«

      Bettina wollte einfach nicht aufgeben. Sie begann zu weinen, nicht, um die Andere zu

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